Film

Thomas Hirschhorn – Gramsci Monument
von Angelo A. Lüdin
CH 2015 | 94 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 39
05.11.2015

Diskussion
Podium: Angelo A. Lüdin
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Hajo Wildeboer

Synopse

Kunst als gesellschaftliches Engagement konfrontiert mit Gesellschaft: Der Installationskünstler Thomas Hirschhorn kommt in die Bronx und baut mit den Einwohnern einer Sozialbausiedlung sein „Gramsci Monument“. Unbedingter künstlerischer Gestaltungswille trifft auf bedingte lebensweltliche Gestaltungsmöglichkeiten. 

Protokoll

Regisseur Angelo A. Lüdin verzichtete vor der Projektion auf einen einführenden Kommentar. Während der Vorführung des Films waren Affekte im Publikum besonders dann zu bemerken, wenn ein Konflikt zwischen dem Regisseur und dem Künstler Thomas Hirschhorn aufkam. „I am not working for you!“ sagt Letzterer während einer emotional aufgeladenen Ansprache in die Kamera, nachdem eine Person aus Lüdins Team gefragt hatte, ob ein Stromgenerator für die Dreharbeiten verschoben werden könne. Angesprochen auf eine Auseinandersetzung mit einem Arbeiter, sehen wir Hirschhorn später mit erhobenen Finger wiederholt ins Off zischen, man müsse „Ganz klar sein!“.

In der anschließenden Diskussion ist der Protagonist Hirschhorn nicht körperlich anwesend aber trotzdem sehr präsent. Die Erklärungen des Regisseurs kreisen um den Abwesenden. Der Konflikt um den verschobenen Stromgenerator ist bis heute ungeklärt. Lüdin verspürt das Bedürfnis, sich erneut zu rechtfertigen: „Wir wollten nur, dass er besser gehört werden kann.“ Er bringt aber heute auch Verständnis für die Reaktion des Künstlers auf. Das Problem sei gewesen, dass die Anfrage bezüglich des Generators Hirschhorn als Projektleiter umgangen habe. Daraufhin habe dieser vor der Mannschaft seine Autorität wiederherstellen müssen. Letztendlich, so tröstet sich Lüdin heute, war der Wutausbruch für den Film ein Geschenk. Moderator Werner Ruzicka steht dem Regisseur bei und unterstellt dem Protagonisten ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis, dass viel über die Beziehung zwischen Herrschaft und Demokratie aussage. Er zeigt Respekt für Lüdins Widerstand gegen Hirschhorns Missionierungsversuche und lobt seinen Versuch, die Streits um die lokalen Regimes offenzulegen.

Eröffnet hatte Ruzicka die Diskussion mit der Frage, wie der Kontakt mit dem Künstler zustande kam. Man kannte sich, so Lüdin, vom Sehen aus dem Studium an der damaligen Züricher Hochschule für Gestaltung und Kunst, wo Hirschhorn Grafikdesign und Lüdin Fotografie studierte. Hirschhorns Ruhm hatte Lüdin schon im Studium begleitet. Dass der Künstler seine Diplomarbeit zusammen mit Daniele Buetti anfertigte, habe damals in der Züricher Kunst-Hochschulwelt als „Revolution“ gegolten. Als Lüdin dann Hirschhorns Schweizer Pavillon auf der Biennale 2011 besuchte, sei er in einen inneren Konflikt geraten. Die dort ausgestellte Arbeit habe in ihm Skepsis hervorgerufen. Eine Skepsis, der er aber auf Grund des ausgezeichneten Rufs des Künstlers misstraut habe. Lüdin widerstrebt es noch heute, den Biennale Pavillon zu beschreiben oder zu bewerten. Die Arbeit ließe sich nur schwer einordnen. Auf Nachfragen Ruzickas stellt sich heraus, dass Lüdin der mit vielen Wattestäbchen ausgestattete Raum zu vollgestopft vorkam, ihn die Energie und die Ausstrahlungskraft aber faszinierten. So sei das Bedürfnis entstanden dahinter zu blicken. Ein Teil dieser Skepsis habe auch in den Film Einzug gehalten. Sie führte zu der Entscheidung, im Film keine Akteure des Kunstbetriebes sprechen zu lassen, sondern einen Film zu machen, der Hirschhorns Arbeit nur anschaut und sie sich selbst erklären lässt.

Jegliche weitere Konzeptionierung des Filmprojektes sei aber durch den Künstler selbst sabotiert worden. So habe es Hirschhorn nicht gewollt, dass der Regisseur vor Beginn des Projektes Kontakt zu den Bewohnern aufnahm, und daher nur grob verschiedene Stadtteile angegeben, die in Frage kommen könnten. Lüdin, der trotz dieser ungenauen Angaben zur Vorbereitung nach New York flog, kann heute für sich nur reklamieren, dass er auf seinen Streifzügen durch den Stadtteil Bronx dem späteren Drehort, der Wohnsiedlung Forest House, erstaunlich nah gekommen ist. Er habe andere Projekte in New York besucht, aber ein wirklicher vorbereitender Besuch des Ortes sei von Hirschhorn erfolgreich verhindert worden.

Eine klare konzeptionelle Entscheidung war laut Lüdin, sich im Film auf die Interaktionen von Künstler und Mitarbeitern vor allem während des Aufbaus zu beschränken. Das erkläre, warum im Film wenig von den 77 Tage dauernden Aktionen (Theater, Radion, Vortrag, Workshop) zu sehen ist. Diese Entscheidung sei vor dem Dreh gefallen und habe nichts mit dem Schnitt zu tun. Dass es überhaupt Anteile davon im Film gibt (die Radiostation; die Frau, die mit den Kindern arbeitet), ist Hirschhorns Einfluss geschuldet. Nach einer gemeinsamen Sichtung des Rohschnittes habe der Künstler diese Änderungen eingefordert. Er habe sich bei diesem Treffen mit dem Filmprojekt grundsätzlich loyal erklärt und später auch nicht mehr gefordert, die fertige Fassung abzunehmen. Zwei Monate später habe Lüdin allerdings über Umwege eine E-Mail von Hirschhorn zu Gesicht bekommen, in der dieser in sehr schlechten Tönen über den Film spricht. Lüdin ist daher heute von Hirschhorn sehr enttäuscht: „Er hatte nicht den Mut, mir ins Gesicht zu sagen, dass er den Film schlecht findet.“

Diskussionsteilnehmerin Iris Fraueneder interessieren Interaktionen während des Drehs zwischen Lüdin und Hirschhorns Team. Gab es Komplizenschaften oder sei auch sein Projekt auf Vorbehalte gestoßen? Nach dem Wutausbruch, so erzählt der Regisseur, sei die Stimmung erst einmal schlecht gewesen. Die Arbeiter hätten sich gegenüber dem Filmteam sehr zurückhaltend und ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal verhalten. Im Laufe des Drehs besserte sich diese Stimmung aber, sodass beim Abschied das gesamte Filmteam herzlich umarmt worden ist. Da es für die Arbeit an Dokumentarfilmen sehr wichtig ist, Vertrauen aufzubauen und ein Gefühl für die Protagonisten zu entwickeln, sei es nicht zu unterschätzen, in welches Defizit Hirschhorn das Filmteam durch das Kontaktverbot vor Projektbeginn gebracht hat.

Diskussionsteilnehmer Michael Sennhauser hat eine Frage zur Dramaturgie des Films wie sie im Schnitt entstanden ist. Zum Ende des Films erklärt Hirschhorn in einer Szene, er sehe sich als Soldat für die Kunst, und es gebe in seiner Arbeit keinen Platz für Emotionen. Das prominente Platzieren dieses sehr „freestylig-jazzigem“ Statements am Ende des Films lasse die weitaus präziseren und konsequenteren Selbstbeschreibungen des Künstlers zu Beginn des Filmes in den Hintergrund treten. So entstehe der Eindruck einer Degeneration im Projekt. Ist das eine Übersteigerung oder war das wirklich so? Die Frage, ob so ein Abschied für ihn nicht emotional sei, habe Hirschhorn zur soldatischen Selbstbeschreibung gebracht, erzählt Lüdin. Die eigentümliche Antwort erklärt der Regisseur sich nicht nur über die Anspannung, den Zeitdruck und die Reizbarkeit des Künstlers gegen Ende des Projektes, vielmehr seien diese Improvisationen Ausdruck der Herrschaftsstrategie Hirschhorns: „Er versucht einfach immer, dich bloßzustellen.“ Dass die Situation manchmal unerträglich war, illustriert Lüdin mit der Bemerkung, dass selbst der äußerst souveräne und erfahrende, damals 73-jährige Kameramann des Films, Pio Corradi, einen Tag hatte, an dem er einfach nur noch weglaufen wollte. Weil kein Tag geplant war, sei er als Regisseur auf die intuitive Zusammenarbeit mit Corradi und Tonmann Oliver Jean Richard angewiesen gewesen. Sie hätten immer ohne viel Erklärungen gewusst, was zu tun ist. Aus dieser Arbeitsweise, die für ihn eher ungewöhnlich ist, habe er viel gelernt. Das Authentische habe dem Film gutgetan.

Ruzicka fragt vorsichtig nach, ob es dem Film nicht gut getan hätte, neben den Macho-Allüren und Showeinlagen Hirschhorns auch etwas mehr von den Projektinhalten nach Fertigstellung des Monuments zu zeigen und aus dem Publikum wird die Frage gestellt, ob Hirschhorns Kunst-Projekt aus Sicht des Regisseurs funktioniert habe. Er liebe Menschen und möchte Zusammenhänge visualisieren, erklärt Lüdin daraufhin und verweist auf die beiden Damen, die das Projekt regelmäßig besucht haben. Sie hätten den Film gerettet. Sein Kameramann habe von ihm die Anweisung bekommen, wann immer die beiden kämen, mit ihnen zu drehen. Zum Glück seien sie jeden Tag gekommen. Die beiden Frauen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, hätten alle Lectures von Markus Steinweg besucht, nicht immer alles verstanden, aber sich Notizen gemacht. So arbeite Hirschhorn: Er bringe Wissen an einen Ort, um es den Leuten zu überlassen, damit zu machen, was sie wollen.

Während Ruzicka sich für den Verbleib des zweiten Hündchens der Damen interessiert kommt im Publikum noch die Frage nach der Diskrepanz zwischen Gramscis marxistischen Denken und Hirschhorns Rolle als weißer, europäischer Arbeitgeber auf. Die Diskussionsteilnehmer verweisen auf die kurze Szene, in der eine Kritikerin gezeigt wird, die ihren Unmut über den paternalistischen Gestus des Projektes ausdrückt. Inwieweit wurde im Rahmen des Projektes über politische Zusammenhänge gesprochen? Welche Rolle spielten Sanktionierungen im Konflikt um die Lohnfortzahlung im Falle von Nichterscheinen. Für Lüdin stand der schöpferische Prozess Hirschhorns im Vordergrund. Die soziale Situation im Stadtteil Bronx sei erschreckend gewesen. Die Diskussion um die mangelnde Arbeitsmoral schien ihm vor dem Hintergrund des täglichen Existenzkampfes der BewohnerInnen absurd.

Zum Ende der Diskussion ermutigt Moderator Ruzicka den Regisseur noch einmal, seine Skepsis im Filmemachen beizubehalten und schlägt vor, den abwesenden Meister zu einem Versöhnungstreffen in fünfzehn Jahren auf die Filmwoche einzuladen.