Synopse
Ein Vorort von Havanna: Spärliches Auskommen in kleinen Räumen und Zweckgemeinschaften. Familien leben von der Hand in den Mund, die Parolen der Dissidenten und der Machthaber verhallen im Alltag und bewegen die Menschen doch. Hier hatte der Gelegenheitsarbeiter Andres sieben Jahre lang immer eine Kamera dabei.
Protokoll
„Wer, wenn nicht ich, kann diese Bilder machen?“ Bilder, die Amateurfilmer Andres in seiner Heimat Kuba aufnimmt, abseits der filmisch vielfach transportierten Klischees, aber inklusive der ,typischen Heiterkeit der Kubaner‘. Bilder, die er in seinem unmittelbaren Lebensumfeld filmt, einem Arbeiterviertel in Havana. Von der illegalen Schweinezucht im ,Eigenheim‘. Von Cocorio, dem Kringel backenden Dissident aus der Nachbarschaft, der zum Sturz der Diktatur aufruft, und gegen die Verhaftung seiner Frau protestiert, einer der ,Damas de Blanco‘. Von bourgeoisen Katzen, die die Arbeit verweigern und eine Ratte als Co-Haustier akzeptieren. Von seiner kleinen Tochter Leydis, aus deren Mund beharrlich die Parolen der Revolution widerhallen, die für Cocorio nicht viel übrig hat und Fidel die Treue schwört. Von seinem Freund und Nachbarn Chicho, seiner Frau Mercedes und seiner Geliebten Maydel. Und erneut von Leydis, die ein paar Jahre älter und der Indoktrinierung durch Schule und TV entwachsen scheint, jetzt nach Mexiko will, wo sie Verwandte hat, jedoch nicht ausreisen darf, und von den USA gar nicht erst träumt, denn wenn es schon schlecht mit Fidel ist, wie soll es dann erst mit Obama sein.
Insgesamt über sechs Jahre hinweg filmte Andres Fragmente seines Alltags, mit einer Kamera, die er 2007 von einem mehrmonatigen Deutschlandaufenthalt mitgebracht hatte. Insgesamt 116 Kassetten sendete er nach und nach an Annett Ilijew, die Regisseurin und Friederike Schuchardt, die Schnittmeisterin von Somos Cuba. Kennengelernt hatten er und Ilijew sich im Jahr 2000 als diese nach Kuba reiste. Sechs Jahre später entstand in der Ahnung eines möglichen politischen Wandels, den es gegebenenfalls zu dokumentieren gälte, die Idee, gemeinsam einen Film zu realisieren.
Via gemietetem Telefon und gemieteter E-Mail-Adresse seitens Andres konnte unter den Dreien auch zwischen einzelnen Treffen kommuniziert und die Dramaturgie in permanentem Austausch entwickelt werden. Bis zu Andres unerwartetem Tod im Jahr 2014, der dem zeitlich undefinierten Projekt einen Endpunkt setzte.
Erst während der Arbeit am Material kristallisierten sich einzelne Personen als geeignete Protagonist_innen heraus. Was die Strukturierung betrifft, erwies sich eine Anordnung der Alltagsfragmente entlang thematischer Cluster anstatt eines strikt chronologischen Aufbaus als sinnvoll. Protest, Freunde, Überleben, Glück, Verschwinden. Katrin Mundt merkt an, dass eine Chronologie innerhalb des Films vor allem über Leydis spürbar sei, wohingegen die Erwachsenen in einer ewigen Gegenwart voller Wiederholungen zu leben schienen.
Eine Erzähldramaturgie zu entwickeln, die Kontinuität vermittelt und Einfühlbarkeit ermöglicht, sei tatsächlich schwierig gewesen, stimmt Ilijew zu, nicht zuletzt deswegen hätte sich Leydis als Hauptprotagonistin geeignet. Den Bildern einen Off-Kommentar ihres Filmers beizufügen wäre zwar vorgesehen, doch durch dessen Ableben nicht mehr möglich gewesen, weshalb die Entscheidung fiel, erklärende Zwischenkommentare in Schriftform einzublenden.
Andres’ Kameraeinsatz habe sich oft situativ und intuitiv geformt, so in einer Szene, wo er die Kamera während des Aufnehmens seinem Gesprächspartner reicht, wodurch im Film ein ganz anderer Raum eröffnet wird, als es etwa ein klassisches Schuss-Gegenschuss-Verfahren getan hätte: ein Raum, in dem sich Argumente über die Geste des Übergebens der Kamera begegnen können. Diesem Begegnungsmodus, knüpft Mundt an, entspräche auch die Vielstimmigkeit, die den gesamten Film durchzieht. Die Stimmenvielfalt betrifft nicht nur die Menge der gefilmten Protagonist_innen, sondern auch externe Stimmen, die in den Film montiert wurden: beispielsweise die Stimmen der Castro-Brüder. Aber brauche man, so fragt Mundt, denn überhaupt die Originalstimmen als Widerhall der Macht, wenn doch sowieso alle bereits die Sprache der Macht sprächen? Etwa Leydis, wenn sie auf dem Schoß ihrer Tante sitzend auf Fragen ihres Vaters nach ihren politischen Ansichten einer Bauchrednerpuppe gleich antwortet. Ilijew darauf: Die offiziellen Stimmen seien im kubanischen Alltag omnipräsent, ein fester Bestandteil des Klangraums Kuba, so wie bei uns die Werbung. Der Generationenkonflikt, der in den Gesprächen zwischen Leydis und der kritischen Stimme ihres Vaters spürbar würde, sei zu einer spannenden Reibungsfläche des Films geworden, auch hinsichtlich der Erziehungsarbeit, die er leistet.
Hinsichtlich der expliziten Kritik, die die Aufnahmen transportieren, stellt Mundt die Frage ob es denn Momente gegeben hätte, wo die Gefahr, dass die Kamera die Schwelle zwischen ihrer Rolle als Aufklärerin überschreitet und zur potentiellen Denunziantin wird, das Team veranlasst hätte, einen Abbruch des Projekts zu erwägen. Sie erinnert an die im Film geschilderte unvorhergesehene Wanderung des Materials, das Cocorios Protest dokumentiert, zunächst ins Internet und weiter zu einem TV-Sender in Miami, den wiederum die Kubaner_innen zu empfangen wussten. Ernsthafte Sorge, so die Antwort, hätte nicht bestanden, da Andres die Gefahr meist ausreichend abschätzen konnte. Auch waren sich alle Protagonist_innen dessen bewusst, dass das gedrehte Material für einen Film und dessen öffentliche Vorführung vorgesehen war. Die Personen im Film immer nur mit Vornamen zu nennen habe aber eine wichtige Schutzfunktion erfüllt.
Werner Ružička spricht dem Film das Kompliment aus, ihm ein bislang ungekanntes Bild von Kuba vermittelt zu haben, indem er sich abseits der Polarisierungen im etablierten Kuba- Genre bewege und im guten Sinne beiläufig bliebe, nicht intentional agiere, niemals Mittel zum Zweck würde. Jemand aus dem Publikum wendet hingegen ein, nicht zuletzt die Auswahl des Materials sei ihm doch sehr intentional erschienen.
Ružička fragt nach einer möglichen Benennung der triadischen Autor_innenschaft, die hinter dem Film steht, worauf Ilijew die Gleichberechtigung und das starke Vertrauensverhältnis untereinander betont. Andres hätte in seinem Filmen und Fragen oftmals wie ein Journalist agiert und mit seinem Material auch teils die Grenzen der Übersetzerinnen strapaziert, die manches als zu düster empfunden hätten um es guten Gewissens übersetzen zu können. Hinsichtlich der Rolle der Übersetzerinnen streicht Schuchardt neben dem Aspekt der Infragestellung des über die Aufnahmen vermittelten Bildes von Andres’ sozialer Schicht auch den der Bestätigung in Form eines „Ja, so ist es in der Tat“ hervor.
Eine weitere Frage richtet sich nach der Haltung, mit der dem Film in Kuba begegnet würde, ob er dadurch, dass er keinen Blick in eine glorreiche Zukunft vermittle, nicht mancherorts auf Gegenwehr stoße. Skepsis, so die Antwort, habe es bisher eher seitens der Verleiher gegeben.
Mundt spricht abschließend den Bühnen- bzw. Telenovela-Charakters einzelner Abschnitte an, etwa der Szene von Chichos Seitensprung.
Somos Cuba – ein vielseitiges Experiment, das nach der Spiegelung der Politik im täglichen Leben fragt und damit selbst zu einem politischen Film wird, auch wenn er keine Parolen formuliert.