Film

Last Exit Alexanderplatz – Der städtebauliche Ideenwettbewerb 1993
von Hans Christian Post
DE/DK 2015 | 56 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 39
06.11.2015

Diskussion
Podium: Hans Christian Post, Karoline Schulz (Schnitt)
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Christian Lailach

Synopse

Geschichte ausradieren oder zurückgewinnen, bauen für die Ideologie oder für die Menschen: Der Alex bietet Platz für Projektionen, entsprechend zeitigt seine Umgestaltung Diskussionen. Die Bewerber zur Umsetzung des ehrgeizigsten Nachwendeprojekts sollen ungleiche Erinnerungen und Gesinnungen in Beton gießen. 

Protokoll

Katrin Mundt begrüßt und müsse zuallererst einmal öffentlich gestehen, dass sie einst wenig mitbekommen habe von all den Diskussionen, möglicherweise seien sie von denen über den Potzdamer Platz überschattet worden. Auf jeden Fall hätte Post eine Lücke geschlossen und sie danke ihm für einen lehrreichen Film über städtebauliche Planungen und deren Scheitern in Zeiten des Aufbruchs und Größenwahns der Nachwendejahre.

Zuerst interessiere sie Posts Verhältnis zur wissenschaftlichen Arbeit. Er, Hans Christian Post, habe 2007 seine Doktorarbeit abgeschlossen, ein Jahr zuvor in einer Filmproduktion gearbeitet, wo man meinte, er solle doch einfach die Kamera zu den Interviews mitnehmen. Überraschender Weise waren die Interviewpartner für ein Filminterview auch weitaus leichter zu begeistern, sie erschienen gar in Krawatte, fügt er schmunzelnd hinzu. Die Interviews habe er dann inhaltlich für seine Doktorarbeit genutzt, die durchaus polemisch geworden sei – doch spreche er in seiner Arbeit selbst. Im Film, der ursprünglich einmal Teil dieser werden sollte, überließe er dies den anderen.

Parallel zum Film hätte er auch in seiner Doktorarbeit Libeskind zum Helden stilisiert und Kollhoff die Rolle des „bad guy“ zugeschrieben. Er habe zwar keine besondere Beziehung zu Libeskinds Architektur, jedoch habe dieser die Arbeit gemacht, die die Stadt hätte tun müssen. Libeskind habe versucht, die Geschichte – beispielsweite die Tatsache, dass die Gegend um den Alexanderplatz vor 1945 ein jüdisches Viertel gewesen sei – aufzuarbeiten, sie anzuschauen, statt einen Stadtteil einfach „platt“ zu machen.

Mundt habe expressionistische Bilder, Zeichnungen im Stile des Bauhauses gesehen, für deren Modelle sich Post begeistert. Kollhoff hingegen sei im Geiste ein Rockefeller, Vertreter der amerikanischen Hochhausarchitektur, in dessen Entwurf viele Ostberliner durchaus auch den Stalinismus gesehen hätten.

Ja, mit Last Exit Alexanderplatz wäre ihm ein „testosteronhaltiger“ Film gelungen, so Mundt, der von persönlichen Eitelkeiten, Kränkungen und tiefen Wunden berichte. Gleichzeitig stelle er Architektur und Städtebau zu großen Teilen nur „von oben“ dar und laufe damit Gefahr, den im Film kritisierten „Bürgerausschluss“ zu übernehmen und fortzuführen. Ja, meint da Post, und Karoline Schulz fügt an, dass die „Menschen“ im Film tatsächlich eher der Illustration dienten. Mundt sehe dies auch in dem amorphen Stimmengewirr, der einem Soundteppich gleiche, woraufhin Post ein wenig zu kompensieren sucht, wäre er 1993 dabei gewesen, hätte er mit Sicherheit das Geschrei der Menschen dokumentiert.

Die Musik sei stattdessen ein tragendes Element im Film, im Abspann habe Mundt gesehen, dass Post selbst viel davon geliefert hätte. Er habe meist abends komponiert, viel und weitestgehend ziellos, im Stile der 80-er Jahre. Daraus hatten sie dann schöpfen können, wenngleich er im Nachgang eingestehen müsse, dass insgesamt weniger Musik auch mehr gewesen wäre.

Auf die Tonspur meldet sich auch eine Stimme im Publikum. Gegen Ende des Films läge Schnee – es müsse also später Herbst oder Winter gewesen sein – da sei, und sie sei sich sicher, das Geschrei eines Mauerseglers zu hören. Der Saal ist amüsiert, das Podium irritiert ob dieser ornithologischen Kompetenz – und diese fährt fort mit der Frage, ob nun eben benannter Mauersegler bewusst hineingeschnitten worden sei, als Zeichen der Hoffnung und Zuversicht, da dieser in unseren Regionen jedoch eher im Mai, also im Frühjahr auftauche. Schulz kann versichern, dass sie nicht bewusst nach oder auf Jahreszeiten geschnitten hätten, sie sich aber zu der Funktion des Mauerseglers für die kommenden Diskussionen etwas einfallen ließen. Die Stimme möchte noch hinzufügen, dass sie der Film stark berührt und angesprochen habe. Die „Weg-Mentalität“ und „Investorenhörigkeit“ mache auch vor Duisburg nicht Halt, weshalb der Film aktueller denn je sei.

Post stimmt dem zu, es gäbe noch immer diese Einstellungen, wenngleich sie nach dem Fall der Mauer insular ihren Höhepunkt hatten. Damals wäre die Aufbruchstimmung ungelenkt einer regelrechten „Wachstumseuphorie“ gewichen. Als schon bald die Realität Einzug hielt und klar wurde, dass niemand kommt und baut, habe man die Euphorie einfach ins Gesetz geschrieben: wenn gebaut würde, dann das. Daraufhin hätten die Investoren – meist ohne ernsthaften Bauwillen – schnell und günstig Grundstücke erworben und Kredite gewährt bekommen.

Ob denn an diesen Plänen zu rütteln sei und mittlerweile das „Bewahren“ – immerhin seien Plattenbauwohnungen derzeit „hip“ in Berlin – zu einer neuen Leitlinie tauge, interessiert sich Mundt. Klar, könnte hier alles auch rückgängig gemacht werden, klärt Post. Doch wollten letztlich alle Politiker ihre eigenen „Türme“ – derzeit sei man übrigens bei sechst statt 13 Hochhäusern angelangt – und mit dem bisher Realisierten à la „Alexa“ (eine Shoppingmall) sei alles statt, wie ursprünglich beabsichtigt, einheitlicher einfach nur bunter geworden. Hoffnung läge in der Tatsache, und hier habe Mundt Recht, dass seither ziemlich exakt 25 Jahre vergangen seien. Genau die Zeit, die es in der Regel brauche, um das, wovon man sich zu lösen suchte, wieder „schön“ zu finden.

Werner Ružička bekennt sich in diesem Kontext zu körperlichen Leiden, die ihm seit jeher am Alexanderplatz und – noch viel mehr – am Potsdamer Platz überkämen, und stellt – zurück zum Film – die didaktischen Fähigkeiten des „Baukönigs“ (Hans Stimmann) heraus. In diesem Hinblick hätte er sich durchaus mehr Redundanz gewünscht, schließlich wisse der Bildungsbürger zu wenig über all die Künste und Theorien des Bauens und Planens von Städten.

Im Publikum wird zum Ende hin die Frage nach der Finanzierung des Films laut, Indiegogo sei im Abspann entdeckt worden, dänische, jedoch keine deutschen Förderungen. Der Film sei mit geringen finanziellen Mitteln realisiert worden, gibt Post zu, da er sich als Däne mit der deutschen Förderlandschaft nicht auskennen. Zwar habe er einige Stiftungen angeschrieben, die hätten ihm jedoch allesamt abgesagt. Und sein Produzent, der zu einem späteren Zeitpunkt einstieg, sei – bis heute – auch bei diversen Fernsehsendern erfolglos geblieben.