Film

Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee
von Stanislaw Mucha
DE 2014 | 100 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
07.11.2014

Diskussion
Podium: Stanislaw Mucha
Moderation: Jessica Manstetten
Protokoll: Lisa Rölleke

Synopse

Ein Meer, zwei Kontinente, sieben Länder. Hier Jäger, da Sammler, singende Kinder, Ruinen eines Bürgerkrieges, Botox-Händler am Strand. Zwischen Nachbarhass, Postkommunismus und Nostalgie entstehen Bilder einer Grenzen überschreitenden Reise mit der Zeit. 

Protokoll

In ‚Tristia‘ berichtet der Dichter Ovid in kummervollen Elegien und klagenden Schilderungen von den Härten seines Exils am Schwarzen Meer. In Tristia – Eine Schwarzmeer – Odyssee wird immer wieder mit den Protagonisten über den Dichter und seinen Bezug zum Schwarzen Meer gesprochen. Sieben Länder auf zwei Kontinenten werden im Film durchreist, der zum Nachdenken über die Geschichten der Bewohner der Region und ihre Mythen über das Schwarze Meer anregt.

Zu Beginn der Diskussion möchte Jessica Mansetten wissen, wie das Konzept, klar definiert durch die festgelegte geographische Route, entstanden sei. Wie ist die Vorbereitung von Stattengegangen und wann hat Mucha die Recherche begonnen? Die Idee habe der Regisseur bereits mit sechs Jahren gehabt. Nachdem er eine Drehbuchförderung für einen Dokumentarfilm erhalten hatte, habe er mit dem Schreiben des etwa neunzigseitigen Drehbuches begonnen. Bereits für Die Pfandleiher (2011) habe er mit Gerd Haag zusammengearbeitet und ihn deshalb auch für Tristia – Eine Schwarzmeer – Odyssee angefragt. Nachdem die Finanzierung geplant gewesen sei, habe man eine erste und nach sechs Monaten eine zweite Reise ans Schwarze Meer gemacht. Die für das jeweilige Land oder die jeweilige Region zuständigen Assistenten seien dann bezüglich Einreise- und Drehgenehmigungen an die einzelnen Länder herangetreten. Teilweise habe sich das Team in großen Schwierigkeiten befunden. Besonders die Grenzübertritte seien oft heikel gewesen. Der Produzent gibt zu, dass teilweise auch Schmiergelder gezahlt werden mussten.

Manstetten lobt, dass eine Vielzahl von Protagonisten im Film zu Wort kommt. Obwohl diese meist nicht länger als zwei zu sehen sind, werden dem Zuschauer Themen wie Alltagsrassismus, Nostalgie und Erinnerungen and den Krieg erfahrbar gemacht. Tatsächlich habe bereits das Konzept diese kurzlebige Struktur vorgesehen, da es anders nicht möglich gewesen wäre, sieben Länder im Film unterzubringen, erklärt Mucha. Er habe deshalb im Vorfeld nach Referenzen gesucht und sei auf Der Mann mit Kamera von Dsiga Wertow und Menschen am Sonntag von Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer und Billy Wilder, beide etwa 1930, gestoßen. Hanka Knipper (Schnitt) erzählt, dass es sich um einen normalen Montageprozess handelte, da bereits vorgegeben war, welche Länge der Film haben sollte. Im Schnitt habe sie dann versucht eine „Perlenkettenstruktur“ herzustellen, in der der Kern der Aussagen noch enthalten ist.

Werner Ružička lobt zunächst den Titel des Films, der das Filmteam als Geprüfte deklariert und klarmache, dass es sich nicht um eine Lustreise handele. Dadurch lege der Film sich selbst eine hohe Messlatte auf. Besonders interessant findet Ružička die konkrete Anbindung an die antike Sagenwelt und die klugen Bilder der Films, die in der Lage sind, Farb- und Sprachtemperament der verschiedenen Regionen zu verdeutlichen. Der Film ströme seiner Meinung nach ein Aroma der Orte aus, welches auch von Gefahr und Aufgeladenheit der politischen Situation geprägt sei.

Ein Diskutant lobt die Bewegtbild-Portraits. Hier sei der Schnitt perfekt und die Länge der Einstellung genau richtig. Er möchte wissen, wie viel hier inszeniert wurde. Mucha sagt, dass im Grunde nichts inszeniert worden sei. Das Team sei lediglich zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen und habe die Kamera in den entsprechenden Moment spontan eingesetzt. Man müsse Augenblicke nutzen und auch etwas riskieren findet Mucha. Auch die Szenen, in denen Tiere vorkommen, habe man so zufällig vorgefunden. Seine Inspiration für die Portraits seinen die Fotografien von August Sander gewesen. Hierauf erwähnt eine Stimme aus dem Publikum, dass Gesichter vielen Filmen Muchas als ein Motiv genutzt würden. Hierbei spiegle sich die jeweilige Lebenssituation und die Landschaft auch in den Gesichtern wieder. Länderwechsel seien auch durch die Physiognomie der Gesichter der Menschen sichtbar. Dabei sei das Thema Grenze, also z. B. die Grenzübertritte im Film nicht präsent. Mucha sagt hierzu, dass die Grenzsituation sehr wohl, aber vor allem aus Sicherheitsgründen gefilmt wurden, falls etwas passiert. Er sei jedoch an einer Dekonstruktion von topografischen Grenzen interessiert.

Manstetten findet die wiederkehrenden Motiven von Stegen, die ins Meer führen und Denkmälern interessant. Diese Bilder habe man, so der Filmemacher, bereits im Drehbuch festgehalten. Jedoch sei der Drehprozess nie ein bloßes Herunterdrehen, sondern es diene als Sensibilisierung für bestimmte Figuren. Mucha sehe das Drehbuch als Trampolin. Vieles gehe hierbei jedoch auf Kosten der Nerven des Produzenten vonstatten.

Einen Diskutant erinnern die Portraits sowie die Aufnahmen der Denkmäler an die Filme von Michael Glawogger, wie etwa Workingman’s Death (2005). Ein ähnlicher Blick auf die Menschen sei hier zu erkennen. Manchmal zeige der Film aber durch den Schnitt eine Diskrepanz zwischen ernsthaften Momenten und Kalauern: Zwei Personen laufen über heiße Kohlen und in der nächsten Einstellung sehen wir einem Mann beim Grillen zu. Der Regisseur stellt klar, dass er den Film sehr ernst angegangen sei. Für ihn lasse sich Wahrheit wenn überhaupt auf der Grenze zwischen Komik und Tragik definieren. Diese Momente seien das größte Geschenk in einer Doku.

Ružička bewundert die unglaubliche Fallhöhe mit welcher der Film spielt. Auf der einen Seite komische Momente, auf der anderen Themen wie Krieg und Tod würden in Tristia abgedeckt. Hier bringt er noch einmal den Grenzbegriff ins Spiel, da die Ressentiments der Einwohner bezüglich der Nachbarländer tiefer in den Boden gerammt scheinen, als die topografischen Grenzen. Einem Diskutant haben besonders die Szenen in Zeitlupe gefallen. Sie seien mit Sehnsucht aufgeladen gewesen und hätten ihn zum Lachen aber auch fast zum Weinen gebracht. Die Komik und Tragik im Film entstehe alleine durch die starken Kontraste am Schwarzen Meer. So gebe es viele schöne aber noch mehr hässliche Orte. Der Diskutant möchte wissen, wo sich das Team auf der Reise am wohlsten gefühlt habe. Mucha betont daraufhin, dass ihnen überall Gastfreundschaft entgegengebracht worden sei. Aber gerade die Unberechenbarkeit der Menschen habe ihn fasziniert. Ihm sei jedoch aufgefallen, dass sich die Menschen am Schwarzen Meer vielmehr ähneln, als sie selbst annehmen würden.