Film

Riding My Tiger
von Ascan Breuer
AT/ID 2014 | 40 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
07.11.2014

Diskussion
Podium: Ascan Breuer
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Sarah Ben Hardouze

Synopse

Ein Tigergeist im Haus der Großeltern. Zentraljava. Vor sechzig Jahren zerschlugen Kolonialisierung und Kalter Krieg die Familie. Im Garten Eulen, Papageien, ein Affe. Der Mond zwischen den Zweigen. Raum für Spiritualität. Entschleunigung. Ein Schattentheater bahnt sich den Weg durch Nacht und Geschichte. 

Protokoll

Der Film Riding my Tiger ist der letzte Film einer Trilogie, in der sich Regisseur Ascan Breuer mit der indonesischen Insel Java beschäftigt, der Heimat seiner Mutter, die aus einer chinesisch-indonesischen Familie stammt. Breuer, der auch Protagonist des Filmes ist, wandert auf den Spuren seiner Familiengeschichte. Er besucht das legendenumwobene Haus, in dem seine Mutter aufgewachsen ist. Angeblich werde es von einem Tigergeist bewohnt. Gestalterisch bedient er sich neben dokumentarischen Elementen auch indigener Erzählformen und nennt diesen Stil ‚mystical documentary‘. In einer langen Sequenz, die fast die gesamte zweite Hälfte des Filmes ausmacht und von der Tradition des Wayang Kulits inspiriert ist, dem javanischen Schattenpuppentheater, begegnet Breuer Figuren der indonesischen Mythologie. Aus dem Schatten der Bäume im Garten oder auf die Wände des Hauses seiner Familie projiziert, halten sie ihm, dem Westler, einen kritischen Spiegel vor und offenbaren eine eigene Perspektive auf die Weltgeschichte.

Till Brockmann fragt, ob der Film auch mit einem Selbstfindungsprozess zu tun habe. Er könne nicht behaupten, dass er sich selbst gefunden habe, sagt Breuer. Der Film sei eher eine Karikatur des Sich-selbst-Findens und führe es ad absurdum. Am Ende des Filmes liegt Breuer nackt und mit Schlamm bedeckt auf dem Boden einer Duschkabine. Er sei im wahrsten Sinne übermannt worden von dem was im Film und auf der Reise geschähe. Ausgangspunkt für seine Arbeit seien seine Erinnerungen an die Erzählungen seiner Mutter über ihren Geburtsort und seine daraus resultierende Vorstellung von Java gewesen. Diese habe er nicht auf ihre Korrektheit überprüfen wollen. Es gehe weniger um die Wirklichkeit, als um die Wahrheit der Erinnerung. Eigentlich habe er niemals vorgehabt in einem seiner Filme vor der Kamera zu stehen. Da der Film aber von ihm und seinem Verhältnis zu der Heimat seiner Mutter handle, habe er sich nicht vorstellen können, nicht im Film zu sein. Gleichzeitig habe er aber auch nicht als rein dokumentarische Figur auftauchen wollen. Es sei nicht ganz einfach gewesen, sich neben seiner Rolle als Regisseur und Produzent auch noch vor der Kamera selbst zu inszenieren.

Die Reise nach Java und die Filmhandlung seien von der Suche nach dem Tigergeist initiiert worden, erläutert Breuer. Im Zentrum des Filmes stehe jedoch die Geschichte Javas. Die Inhalte, die in der Wayang-Sequenz wiedergegeben werden, habe er genau recherchiert. Der Text, den die Figuren sprechen, stamme aus seiner Feder und beschäftige sich neben den historischen Aspekten auch mit politischen Realitäten. Darüber hinaus habe Breuer in ihm unter anderem mit Zitaten von Walter Benjamin und Heinrich von Kleist gearbeitet. Anschließend habe er ihn ins Indonesische übersetzen lassen und einem Dalang übergeben, dem Wayang-Meister, der auf Grundlage des Textes die Wayang-Dichtung angefertigt habe. Dieser habe den Text oft anders interpretiert, als Breuer ihn gemeint habe. Die Änderungen habe Breuer dann ausführlich mit seinem javanischen Regieassistenten besprochen und manche von ihnen übernommen. Das Wayang-Theater sei in Indonesien übrigens keine populäre Kunstform mehr und von neuen Medien verdrängt worden. Joachim Schätz geht darauf ein, dass Breuer neben seiner karikaturistischen Darstellung von der Suche nach dem Selbst in einem exotischen Land auch typisch kolonialistische Vorstellungen der javanischen Kultur durch seine Bilder bediene. Dies wirke auf ihn wie eine Gratwanderung. Auch seiner Erzählerstimme, die durch den Film führt, sei von diesem Zwiespalt geprägt. Einerseits lade sie dazu ein, ihm auf seine Reise zu folgen, andererseits trage auch sie Züge einer Karikatur. Ob er nun tatsächlich an die Existenz des Tigergeistes glaube erfahre man am Ende nicht. Ja, er nehme Bezug auf Standardbilder kolonialer Fantasien, sagt Breuer. Man könne den Exotismus kritisieren aber nicht ignorieren, denn er existiere und sei eine Realität. Eine Auseinandersetzung mit ihm sei also berechtigt auch ohne Stellung zu beziehen. Werner Ružička bezeichnet die Kombination von Künstlichkeit und Wahrheit in Breuers Film als großes Kino und auch das Publikum hebt den magischen Blick, den der Film auf historische und politische Fakten werfe, als bemerkenswert hervor.

Eine Zuschauerin erklärt, dass sie fasziniert davon gewesen sei, wie die Projektionen der Figuren des Wayang Theaters das Familienhaus mit Erinnerungen förmlich aufluden. Pary El-Qalqili sagt, dass der Film auf sie wie die Umsetzung seiner Fantasie von Java wirke und will wissen, ob durch diese durch die Arbeit am Film brüchig geworden seien und ob auch ungeplante Dinge oder neue Einsichten in den Film eingeflossen seien. Breuer sagt, dass auch seine eigenen Erinnerungen an die Überlieferungen seiner Mutter und seine Fantasien eine Art von Realität seien. Dies werde im Film zum einen durch Inszenierungen aber auch durch dokumentarische Darstellungen von seiner Reise nach Java thematisiert.

Abschließend fragt Till Brockmann, wie die Zuschauer in Indonesien auf seinen Film reagiert hätten. Er habe vor der indonesischen Premiere aus verschiedenen Gründen Angst vor der Reaktion des Publikums gehabt, antwortet Breuer. Zum einen sei er chinesischer Abstammung und gehöre somit zu einer Minderheit, die im Land Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sei. Des Weiteren nehme der Film Bezug auf das Massaker in Indonesien von 1965, das dort ein Tabuthema sei. Außerdem habe er Szenen, in denen er nackt zu sehen ist, zensiert. Die Reaktionen auf den Film seien aber überraschend gut gewesen.