Film

Orbitalna
von Marcin Malaszczak
DE/PL 2014 | 25 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
07.11.2014

Diskussion
Podium: Marcin Malaszczak
Moderation: Pary El-Qalqili
Protokoll: Matthias Wannhoff

Synopse

Sphärische Bilder einer Mondlandschaft. Ein Förderband befördert. Das Licht gleißt. Eine Arbeiterin im Arbeitsstand. Ein Anruf des Schichtführers. Das Förderband befördert. Weiter, und immer weiter. Gleißendes Licht über der Beziehung zwischen Maschine und Mensch. 

Protokoll

Marcin Malaszczak ist trotz seines jungen Alters bereits ein vertrautes Gesicht auf der Filmwoche. Malaszczak, Jahrgang 1985, gewann mit seinem Film „Sieniawka“ im letzten Jahr den ARTE-Dokumentarfilmpreis, und man ist versucht sich vorzustellen, wie sein damaliger Gewinnerfilm auch nach dem Abspann im Vorführzimmer heimlich weitergelaufen ist und sein Nachfolger „Orbitalna“ nun, für eine knappe halbe Stunde, den Output dieser erbarmunglos vorpreschenden Film-Maschine ausleuchtet. Zumindest legt das Setting von „Orbitalna“ ein solches Gedankenspiel nahe. Imitten einer Industriewüste im polnischen Nirgendwo, die bedrückend wirkend könnte, atmete ihr Gelbstich nicht die Aura des Unwirklichen, transportiert ein Förderband Geröll und Erde – warum und wohin, bleibt unklar. Pary El-Qalqili stellt zu Anfang fest, dass ihr dieser Schauplatz bereits aus „Sieniawka“ vertraut ist.

Warum ist Malaszczak für „Orbitalna“ an diesen Ort zurückgekehrt? Der Grund dahinter sei ein persönlicher gewesen, erklärt der Filmemacher. Er habe seine Tante Bogna in einem Film würdigen wollen. Sie ist jene Frau, die mit ausdrucksloser Miene die Maschinenwelt bewacht und der einzige Mensch, dessen Gesicht im Close-Up erscheinen darf. Doch sei es ihm nicht um die Romantisierung einer Person gegangen, schiebt Malaszczak hinterher. Tatsächlich wäre dies ein abseitiger Gedanke. Wenn der Regisseur im Gespräch nüchtern erzählt, er habe den Menschen als „Beiwerk“ der Maschine inszenieren wollen, trifft das präzise den Eindruck, den „Orbitalna“ beim Zusehen erweckt. Das stoische „Instandhaltenmüssen der Maschine“, das Malaszczak versucht habe einzufangen, erscheint im Film als reiner Selbstzweck.

Es sei ihm um eine Gleichbehandlung der Systeme Mensch, Natur und Maschine gegangen, so Malaszczak weiter, um eine endlose Bewegung, „die alles gleich macht“. Hierzu passt eine Kamerafahrt, die nacheinander die Windungen der Maschine, umherliegenden Schutt und Geröll und schließlich Fragmente von arbeitenden Körpern einfängt. Ein Zuschauer wirft die interessante Frage auf, ob diese Gleichmachung nicht auch für die Kamera gelte. Es habe auf ihn gewirkt, als verfolge die Bildregie selbst eine maschinelle Abtastbewegung, die reflexartig auf das Geschehen vor dem Sucher reagiert. Werner Ružička sekundiert, ihm gefalle die Idee, den Kameraduktus wie „eine écriture automatique“ zu begreifen, also wie ein unbewusstes Schreiben, bei dem die Hand von der Feder geführt wird.

Und doch ist „Orbitalna“ durchdrungen von bewussten Eingriffen, ein Extremfall von Gemachtheit. Malaszczak führt aus, wie der Film erst in der Postproduktion seine surreal- unweltliche Patina erhalten habe. Auch wenn es dem Zuschauer, wie der Regisseur einräumt, womöglich nicht auffalle, ist die Tongestaltung genau das, nämlich Gestaltung: Ein Freund habe für jedes Maschinengeräusch eine eigene Tonspur mit analogen Synthesizern hergestellt.

Auf gänzlich digitalem Wege kamen dagegen Farbgebung und Lichtsetzung zu jener schrillen Optik, von der eine Zuschauerin sagt, sie habe sich nahezu geblendet gefühlt. So kommt es, dass die Industrielandschaft mitunter wie ein „fremder Planet“ wirkt, eine Metapher, die im Gespräch mehrfach fällt und die auch im Filmtitel mitschwingt. Der Regisseur Michele Cirigliano stellt denn auch die Frage nach dem Genre, in dem „Orbitalna“ zu verorten sei. Für ihn sei der Zugang erleichtet worden, als er den Film nicht mehr als Dokumentation, sondern als Science-Fiction-Film ansah. Malaszczak gefällt diese Lesart: Da Science-Fiction für ihn eine Entfremdung vom Erfahrbaren bedeute, gebe es in der Tat Berührungspunkte zu „Orbitalna“. Ein anderer Zuschauer sieht gar eine Nähe zum strukturellen Experimentalfilm und merkt an, dass „Orbitalna“ ebenso auf den Oberhausener Kurzfilmtagen laufen könnte. Malaszczak merkt schmunzelnd an, den Film dort tatsächlich eingereicht zu haben. Damit lädt das Podium kurz zum Nachdenken über die Gretchenfrage ein, wo denn das Dokumentarische aufhört und das Fiktionale beginnt.

Wie seine Tante den Film empfunden habe, möchte ein Zuschauer fernab der Genre- Diskussion wissen. Malaszczak zitiert als einzige Negativaussage, dass sie die Schlussszene, in der die Kamera unaufhaltsam auf einer Maschine entlanggleitet, „zu lang“ fand. Später merkt eine Zuschauerin an, ihr sei in derselben Szene schwindelig geworden. Darauf entgegnet Malaszczak, dass er es interessant findet, die physischen Grenzen des Zuschauers zu überschreiten. Für Rücksicht, soviel steht fest, gibt es keinen Platz in der Maschinenwelt.