Film

Napps – Memoire of an Invisible Man
von Tami Liberman
DE 2014 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
04.11.2014

Diskussion
Podium: Tami Liberman, ██████████ (Protagonist)
Moderation: Joachim Schätz
Protokoll: Sarah Ben Hardouze

Synopse

Mr. X in Berlin. Unsichtbar, ohne Rechte. Mit Kamera. Ein Leben voll Warten. Im Camp auf das Dokument, vor einem Konzert auf den Einlass. Blicke. Erinnerungen an die Zeit in Afrika, an die Zeit im Auffanglager. Festhalten des Weges in eine ungewisse Zukunft. 

Protokoll

Der Film ‚Napps‘ beginnt mit einem Schwenk über eine Straßenkreuzung am Checkpoint Charlie in Berlin. Ein Sightseeing-Bus fährt vorbei. Napps, erklärt die Stimme eines Mannes aus dem Off, bezeichne in seiner Sprache die verrückte Sehnsucht, an einen bestimmten Ort zu gelangen. Der Mensch, der hier spricht ist, kein Tourist. Es handelt sich um Mr. X, einen westafrikanischen Flüchtling. Ohne Arbeitserlaubnis lebt er in Berlin, weswegen seine Identität im Film nicht enthüllt wird. In Voice-overs erzählt er von seinem Entschluss, seine Heimat zu verlassen und von den Erfahrungen, die er unterwegs gemacht hat. Mit der Kamera begeht er seine neue Umgebung und sammelt Bilder von Deutschland, die eine Br cke zu seiner Geschichte bauen.

Nun sitzen Mr. X, der im echten Leben ██████████ heißt, und die Regisseurin des Films, Tami Liberman, gemeinsam auf dem Podium der Duisburger Filmwoche. Das sei nicht selbstverständlich, erklärt Joachim Schätz zu Beginn der Diskussion. Die Situation von █████ sei weiterhin schwierig. Er könne nur deswegen auf dem Filmfestival auftreten, weil es juristisch nicht nachweisbar sei, dass er tatsächlich an dem Filmprojekt beteiligt war. Das erste Mal begegneten sich Liberman und █████ in einem Park in Berlin. Sie sprach ihn an, um ihn für ein ursprünglich anders angelegtes Filmprojekt zu gewinnen. Weil er nicht vor der Kamera zu sehen sein wollte, habe sie ihm angeboten, hinter die Kamera zu treten und selbst zu filmen. Der Aufenthaltsstatus von █████ sei so in den Mittelpunkt gerückt. Die Form des Filmes habe sich unmittelbar aus den Begrenzungen ergeben, die mit der Situation von █████ einhergingen. Für die Regisseurin, die zum Zeitpunkt des Drehs an der Freien Universität Berlin im Fach Visual and Media Anthropology studierte, bestand eine zentrale Frage darin, wie man visuelle Mittel verwenden könne, um eine Person zu zeigen, die nicht vor die Kamera treten kann. Die Gestaltung der Szenen fand gemeinsam statt. █████ erzählte Liberman von seinem Leben, anschließend versuchten sie für seine Erzählungen Bilder zu finden. Der Stimme von █████ wurde in der Tonmischung eine besondere Prägnanz verliehen, denn sie war das Einzige, das von ihm im Film erscheinen konnte. Liberman sagt, dass es wichtig gewesen sei, dass █████ seine Geschichte in eigenen Worten und in seinem eigenen Dialekt erzählen kann.

Joachim Schätz beschreibt ‚Napps‘ als einen Film, der sich mit Ideen von Registrierung und Dokumentation beschäftigt. █████ erzählt daraufhin, wie er in Europa mit dem Fotografieren begonnen habe. In seiner Heimat versuche man nicht Dinge festzuhalten, das Vergangene sei eben vergangen. Durch das Fotografieren beschäftigte er sich erstmals mit dem Konzept, einzelne Momente einzufangen. Die Fotografie diene aber auch als Medium, um mit Menschen in der Heimat kommunizieren zu können. Viele könnten weder lesen noch schreiben, Bilder aber seien für alle schnell entzifferbar und lieferten konkrete Informationen über Europa. Schätz empfindet auch die Frage der Repräsentation von Flüchtlingen als integrales Thema des Films. Er sieht ‚Napps‘ als eine Antwort darauf, wie etwa die Asylpolitik mit Flüchtlingen umginge. Liberman bestätigt dies und erklärt, dass der Film außerdem die Art der Darstellung von afrikanischen Flüchtlingen in westlichen Medien kommentiere.

Sie würden als Epidemie gezeigt, als eine Form der Verschmutzung oder als Opfer. Immer werde die Kamera dabei von weißen Menschen geführt. ‚Napps‘ wechsle die Blickrichtung. Das Gesicht von █████ wird nie gezeigt, dafür trete sie, als Filmemacherin vor der Kamera auf. Somit beziehe sich der Film auch auf die Stellung von Flüchtlingen in der Gesellschaft, in der sie systematisch marginalisiert würden. In einer Szene filmt █████ eine Gruppe von Afrikanern, die im inzwischen weitläufig bekannten Görlitzer Park in Berlin mit Drogen dealen. Pary El-Qalqili fragt, ob diese Bilder die Dealer nicht genauso klischeebeladen und schematisch zeigten, wie man es aus den Mainstream-Medien gewohnt sei: Als eine gesichtlose Masse. Liberman erläutert daraufhin, dass es viele gescheiterte Versuche gegeben habe, die Dealer in den Film einzubinden. Die Bilder seien spontan entstanden. Natürlich seien sie nicht perfekt. Doch gerade weil der Drogenverkauf durch Flüchtlinge eine oft emotional diskutierte Problematik sei, wäre es nicht in Frage gekommen, sie nicht zu thematisieren. █████ erläutert, dass er versucht habe herauszufinden was die Flüchtlinge dazu bewegte, den Park zu ihrem Lebensmittelpunkt zu machen. Er habe mit ihnen gesprochen, doch die Kamera rufe bei vielen Aggressionen hervor. Die Präsenz der Flüchtlinge im Park resultiere aus der Chancenlosigkeit, mit der sie konfrontiert seien. Das Leben als ‚Refugee‘ sei geprägt vom Warten und von der Ungewissheit.

Das Diskussionspublikum interessiert sich vor allem für die Hintergründe zu den einzelnen Szenen. Wie █████ seine deutsche ‚Landlady‘ kennengelernt habe, in deren Wohnung er ein Zimmer bezogen hat, will jemand wissen. Der Kontakt sei ebenfalls im Görlitzer Park über einen Bekannten entstanden. Im Film wie in der Diskussionsrunde berichtet er davon, wie er zu Beginn erstaunt gewesen sei über die vielen Erinnerungsstücke und die Kisten voller unbenutzter Dinge, die seine Gastgeberin in der Wohnung aufbewahrt. Er erklärt, dass man in seiner Heimat nicht an Gegenständen festhalte, die man nicht mehr brauche. Beim ersten Betreten der Wohnung sei Liberman klar gewesen, dass dieser Ort im Zusammenhang mit Geschichte im Film erzählt werden müsse. In einer anderen Szene zeigt den Gürtel, den er um seine Hüften trägt. Wie es zu dieser Episode gekommen sei, fragt ein Zuschauer. Der Gürtel sei der einzige Gegenstand gewesen, den er, außer seinem Geld, bei seiner Einreise nach Europa bei sich getragen habe, erklärt █████. Er sei ein Abschiedsgeschenk gewesen und habe für ihn eine symbolische Bedeutung. Er sollte ihn daran erinnern, sich selbst zusammenzuhalten. Den Gürtel an seinem Körper zu filmen, sei ihm unangenehm gewesen, sagt er. Genauso unangenehm wie das unerlaubte Filmen auf einem Konzert während des Africa Festivals in Würzburg oder das Drehen im Görlitzer Park. Tami Liberman habe ihn aber immer wieder ermutigt, diese Hemmungen abzulegen.

Eine Zuschauerin hebt eine Sequenz hervor, die das inzwischen aufgelöste autonome Flüchtlingslager am Kreuzberger Oranienplatz zeigt. Das Camp wirke auf sie wie ein Dschungel. Im Film werden diese Bilder genutzt um Erfahrungen zu reproduzieren, die Mohammed █████ in Italien gesammelt hat, als er in einem ähnlichen Lager untergebracht war. Das Konzept, dass die Menschen in seiner Heimat von Europa haben, sei falsch, glaubt er. Der Begriff Napps beinhalte auch die Vorstellung, dass der Westen ein Paradies sei, das ein gutes Leben garantiert. Das Lager am Oranienplatz stehe in direktem Kontrast zu dieser Vorstellung. Die Reise an die vermeintlichen Sehnsuchtsorte ende für viele Flüchtlinge in Enttäuschung. Doch statt sich mit produktiven Dingen zu beschäftigen, gingen viele junge Menschen in seiner Heimat verloren, im ‚Napps State of Mind‘.