Film

Göttliche Lage – Eine Stadt erfindet sich neu
von Ulrike Franke, Michael Loeken
DE 2014 | 99 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
03.11.2014

Diskussion
Podium: Ulrike Franke, Michael Loeken, Bert Schmidt (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Lisa Rölleke

Synopse

Gestern Stahlwerk, morgen See. Wie Phönix aus der Asche soll er die Brache zum Leben erwecken. Doch Baden wird verboten sein. Dafür gibt’s gute Aussichten und Nachbarn von der Terrazzo-Fraktion. Und frische Tünche für die Stahlarbeiter­generationen drumherum. 

Protokoll

Das städtebauliche Projekt im Dortmunder Stadtteil Hörde verwandelt ein ehemaliges Industriegebiet in ein vornehmes Wohnviertel rund um den künstlich angelegten Phoenix-See. Nachdem die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken bereits in Losers and Winners (2006, df 2006) und Arbeit Heimat Opel (2010) Umbrüche im Ruhrgebiet veranschaulicht haben, wurde für Göttliche Lage – Eine Stadt erfindet sich neu nicht nur der Umbau des Stahlwerksgeländes, sondern auch der damit einhergehende Strukturwandel in den umliegenden Wohnsiedlungen beobachtet. Neben den alteingesessenen Anwohnern, die über ihre Ängste und Wünsche für die Zukunft sprechen, werden auch die Planungsarbeiten und Baumaßnahmen filmisch festgehalten. Die Idee, diese zwei aufeinander treffenden Welten zusammenzubringen, kam Franke und Loeken bereits 2010, nachdem sie zuvor bereits häufig im Ruhrgebiet gedreht hatten. Eigentlich war der Film nur bis zur Flutung des Sees geplant. Trotzdem sei das Ende nie klar definiert gewesen und das Bedürfnis weiter zu erzählen habe schließlich dazu geführt, dass fünf Jahre lange Bildmaterial gesammelt wurde.

Werner Ružička weist in der Diskussion auf die Verwendung einer strategischen Kamera hin. Anders als in Losers and Winners, wo die Kamera weitestgehend beobachtete, seien in Göttliche Lage bestimmte Stilmittel eingesetzt worden. Loeken erklärt, dass während der Dreharbeiten noch kein klares Konzept verfolgt worden sei und das meiste sich erst im Schneideraum nach und nach ergeben habe. Bert Schmidt, der für den Schnitt verantwortlich war, erklärt außerdem, dass sich wiederkehrende Figuren erst im Schneideraum herauskristallisiert hätten, nachdem er sich einen Überblick über das Material verschafft hatte. Gemeinsam mit den Regisseuren habe man sich für die Protagonisten entschieden, die stark genug waren, den Film zu tragen.

Der Dreh mit den Anwohnern einerseits und dem Planungsteam andererseits, sei nur auf einer guten Vertrauensbasis möglich gewesen und habe die Filmemacher viel Geduld und Zeit gekostet. Der Polizist, der laut Ružička als Door opener funktioniert, wurde beispielsweise auch ohne Kamera bei etlichen Rundgängen durch Hörde begleitet. Jedes Mal, wenn durch ihn der Kontakt zu Anwohnern entstand, habe sich im Film eine Art zweiter Film geöffnet. Andererseits habe man den Mitarbeitern des Planungsbüros die Absicht hinter dem Film erklärt. Sicher sei auch der Grimme Preis, den die beiden Filmemacher zuvor für Loosers and Winners bekommen hatten, ein Grund für die Offenheit gegenüber dem Filmteam gewesen, so Franke. Anders als bei den Regisseuren, deren Arbeit am Dokumentarfilm von gelegentlichen Zweifeln begleitet wurde, sei auf der offiziellen Seite eine starke Souveränität zu beobachten gewesen. Trotz gewisser ironischer und absurder Momente, die der Film an vielen Stellen offenlegt, wurde nie Misstrauen gegenüber dem Filmteam geäußert. Erst nachdem die Mitarbeiter des Planungsbüros den Trailer zum Film gesehen hatten, ließen sie Unmut verlauten und waren, so Loeken, leider auch bei der Premiere in Dortmund nicht anwesend.

Eine Stimme aus dem Publikum weist darauf hin, dass neben dem Unbehagen der Anwohner auch zufriedene Dortmunder im Film zu Wort kommen. Schließlich sei die Industriebrache dem Menschen auch alles andere als zuträglich gewesen. Ružička weist an dieser Stelle auf die typische Haltung der Ruhrgebietsbevölkerung hin, die sich trotz großer anfänglicher Skepsis meist doch gut mit neuen Situationen arrangieren könne. Loeken möchte hier noch einmal auf die Absurdität des Projekts an sich aufmerksam machen: Die Renaturierung, die die Ingenieure nach Abbau der Brache anstreben, sei künstlicher als je zuvor (wenn es zum Beispiel darum geht die Gänsepopulation möglichst zu minimieren). Außerdem sei die Zwischenphase, die einsetzt, nachdem die ersten Arbeitsplätze wegfallen, in der Planung des neuen Sees übergangen worden. Der Fokus liege einzig und allein auf der Imagewahrung des neuen Wohn- und Freizeitareals. Loeken wirft zudem an späterer Stelle die Frage in den Raum, ob das das Projekt durch die Idee der Stadtvielfalt gerechtfertigt werden kann oder lediglich als Rendite-Objekt der Stadt Geld einbringen muss. Diese Anmerkungen sollen allerdings, und das betonen die Filmemacher ausdrücklich, nicht die geleistete Planungsarbeit schmälern. Es handle sich hier um eine Gratwanderung. Franke betont außerdem, dass nichts verfremdet oder zugespitzt dargestellt wurde.

Laut Ružička können die Protagonisten, die die Veränderung der ehemaligen Industriebrache aus ihrer Trinkhalle oder ihrem Wohnzimmer beobachten, selbst als Subjekte der Veränderung gesehen werden. Auch die Rückansicht, die den Blick der Protagonisten auf die Baustelle wiedergibt, ist ein interessanter Moment, da sie auf den Nah- und Fernbereich des Raums hinweist und damit eine differenzierte Raumerzählung schafft. Als weiteres auffälliges Motiv werden sowohl von Ružička als auch dem Publikum die Zeitraffer-Sequenzen angesprochen. Franke erzählt hierzu, dass die Idee entstanden ist, um ab dem Flutungsmoment die Zeit zu komprimieren. Die Kamera, die fest auf einem Gebäude installiert wurde, nimmt bis heute stetig Bilder auf und dokumentiert damit die kontinuierliche Veränderung rund um den See. Ursprünglich war nicht klar, ob diese Sequenzen in den Film integriert werden sollen. Auch Schmidt sei dieser Idee zunächst skeptisch gegenüber getreten. Obwohl er den Zeitraffer erst für einen abgegriffen Effekt hielt, habe er die Möglichkeit, den faszinierenden Prozess des sich wandelnden Gebiets darzustellen, später sehr zu schätzen gewusst.

Auch die verwendete Musik wird vom Publikum gelobt, da sie es schafft, verschiedene Elemente des Films gekonnt einzurahmen. Sowohl die abstrakte Sitzungsrealität, die Situation in der Nachbarschaft, als auch das pompöse Eröffnungsfest werden durch sie untermalt. Loeken merkt daraufhin an, dass ein Team von Komponisten aus einem Stück unterschiedliche Motive zu den jeweiligen Bildern komponiert habe. Die Musik habe sich also sehr organisch entwickelt. An einer Stelle bringt sie z. B. eine ironische Brechung hervor, die einige Stimmen aus dem Publikum zu hinterfragen scheinen. Nach einer Planungssitzung, in der über den Verbleib der Thomasbirne diskutiert wird, setzt kontrastierend eine fröhliche Musik ein, die einen komischen Effekt hervorbringt. Hierdurch werden eben genau die zwei Seiten der Medaille dargestellt, die der Film veranschaulichen möchte, so Loeken. Franken merkt hierzu außerdem an, dass es Spaß gemacht habe, diese Musik ausgerechnet an jene Stelle zu setzen.

Nachdem eine Stimme aus dem Publikum fragt, ob die Filmemacher das Bedürfnis haben, das unbenutzte Material in einer anderen medialen Form auszustellen, äußern die Regisseure die Idee, das nicht verwendete Material auf einer DVD öffentlich zugänglich zu machen. Gleichzeitig wolle man sich allerdings auf neue Projekte konzentrieren, auch wenn es schwer fällt, dieses spannende Projekt abzuschließen.

Abschließend weist Ružička auf eine Schlüsselszene des Films hin. Wenn eine Hörder Kioskbesitzerin erzählt, dass sie es genießt, in der Dunkelheit ihres Kiosk und selbst ungesehen, die vorbeigehenden Passanten zu beobachten, beschreibt sie eine ähnliche Situation, in der wir Zuschauer uns zeitgleich im Kinosaal befinden: Genau wie sie sind wir unsichtbare Beobachter, die gespannt den Strukturwandel und die damit verbundene Gentrifizierung in Hörde verfolgen.