Film

Beyond Metabolism
von Stefanie Gaus, Volker Sattel
DE 2014 | 41 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
04.11.2014

Diskussion
Podium: Stefanie Gaus, Volker Sattel
Moderation: Pary El-Qalqili
Protokoll: Alexander Scholz

Synopse

Japan. Beton und Blicke. Strukturen und Achsen. Der gebaute Traum einer dynamischen Architektur. Die Geometrie eines Bienenstocks, Waben, die flexibel ineinandergreifen. Das Kongresszentrum von Kyoto gleicht einer Stadt, einer Utopie. Gut dreißig Jahre später folgt das Protokoll. 

Protokoll

„Nirgends erweist sich einem Kunstwerk oder einer Kunstform gegenüber die Rücksicht auf den Aufnehmenden für deren Erkenntnis fruchtbar“ – findet zumindest Walter Benjamnin in seinen Auslassungen zur Aufgabe des Übersetzers. Nach einem knappen Jahrhundert Sprachphilosophie ist noch immer nicht ganz klar, was damit genau gemeint ist; wie man diesen Satz genau in die allgemein verständliche Alltagssprache transferieren sollte. Im Geiste des gezeigten Films darf sich der Autor dieses Textes aber die Freiheit zu einer eigenen Interpretation nehmen: Gemeint sein könnte, dass Kunst dort, wo sie zu sehr auf ihren Rezipienten achtet, schlecht wird. Benjamins Formulierung erweckt nicht nur den Eindruck, sie wäre selbst mühsam übersetzt worden (und würde mindestens ein „als“ vermissen), sie führt – einmal in den eigenen Kontext übersetzt und interpretierend zurechtgebogen – zu zwei einleitenden Beobachtungen über Beyond Metabolism, einem Film über ein Konferenzzentrum in Kyoto und die Übersetzer, die dort arbeiten.

Denn sollte die These stimmen, kann erstens die architektonische Leistung am Konferenzzentrum in Kyoto nicht als künstlerische gelten. Zwar erinnern die durch den Bau vorgegebenen Blickachsen und ihre filmische Einführung durch statische Einstellungen Till Brockmann an die Raumkonstruktion in Science-Fiction-Filmen; zu funktional und zu sehr auf ökonomischen Gebrauch ausgelegt erscheinen jedoch die Räume, als dass sie im zitierten Sinne fruchtbare Kunst sein könnten. Dass zweitens die Arbeit der an diesem Ort wirkenden Übersetzer keinem künstlerischen Anspruch genügen will, scheint hingegen evindent: Auf internationalen Konferenzen gilt es Inhalte, nicht Formen weiterzugeben. Es herrscht Pragmatismus. Die Suche nach stilistischen Mehrwerten ordnet sich dem Gebrauchswert, mithin der einfachen Aufnehmbarkeit des Gesagten unter.

Gibt es nun aber eine Beziehung zwischen der architektonischen Leistung und die Arbeit der Übersetzer? Ist das Entwerfen von Räumen, die ganz auf die Ermöglichung von Dialogen hin ausgelegt sind, vielleicht selbst eine Übersetzungsleistung von Funktion in Form? Wirkt sich eine diese Übersetzung auf die Übersetzung von einer Landessprache in eine andere aus? Sind diese Transferleistungen vergleichbar? Liegt ihnen eine universelle Sprache zugrunde, die Architektur und verbale Äußerungen verbindet? Und ist das alles doch irgendwie Kunst?

Volker Sattel stellt bereits zu Beginn des Gesprächs mit Pary El-Qalqili heraus, dass die Wirkung der Architektur und die Frage, was diese zu übersetzen versuche, der Ausgangspunkt für die Arbeit an Beyond Metabolism gewesen sei. Stefanie Gaus ergänzt, die Formensprache des Gebäudes habe von den Filmemachern zunächst studiert werden müssen, um den Zusammenhang von Form und Funktion begreifen zu können. In einem zweiten Schritt habe man sich dann fragen können, ob dieser Zusammenhang als universell gelten könne oder aber kulturell geprägt sei und seinerseits wieder Übersetzung bedürfe. Der Metabolismus, eine japanische Architekturbewegung in den 60er-Jahren, habe sich als Gegenstand dieser Frage besonders geeignet. Es sei damals um eine Identitätsstiftung in architektonischen Formen gegangen, die besonders den urbanen Raum neu gestalten sollten. Der Versuch der Metabolisten, das dynamische Ineinandergreifen von Tradition und Moderne in funktionaler Architektur zu inszenieren, setze das ständige Hinterfragen von Zeichensystemen voraus. Dieser Aspekt fasziniert auch Werner Ružička, der den Film als eine Auffächerung des Übersetzungsbegriffs versteht. Wie Till Brockmann macht Ružička auf die unbewegte Kamera aufmerksam. Diese schaffe Bilder, die dem Zuschauer bereits beim Betrachten eine Art Übersetzungsarbeit abverlangten: Die statischen Bilder stellten sich dem stets dynamischen Blick des Menschen entgegen und müssten von diesem erst eingefangen werden – Wahrnehmung und Interpretation werden zur Übersetzung, mithin zum kreativen Akt.

Beyond Metabolism arbeitet häufig mit solchen perzeptiven Herausforderungen – mal durch Reizüberflutung, mal durch Reduktion: Einmal sind Untertitel vor dem Bild eines Simultanübersetzers zu sehen, der in seiner funktional eingerichteten Übersetzerbox sitzend hektisch versucht, die babylonische Flut der Stimmen um ihn zu ordnen. Ein anderes Mal sieht man leere Räume, deren Funktion man sich kaum erschließen kann und die zu allem Überfluss noch Namen wie Interpretation Room tragen. Auch der Sound des Gebäudes ist präsent. Ob es nun das dumpfe Stimmengewirr der Konferenzen oder die vereinzelten Geräusche der Reinigungskräfte sind: Stets obliegt es dem Zuschauer, die Bilder mit Bedeutung zu füllen oder schlicht ihre Formen zu erfassen. Dergestalt wird zwar nicht unbedingt auf ihn als Aufnehmenden Rücksicht genommen, seine Rolle als Übersetzer jedoch mitgedacht und selbst in den Vordergrund gerückt – umso schlimmer wenn dann im Kinosaal getuschelt und der Betrachter so von seiner schöpferischen Übersetzertätigkeit abgelenkt wird.

Die politische Dimension des Films ist in den Formen, die er zeigt, und der Formensprache, der er sich bedient, greifbar. Dass in dem Konferenzzentrum, das etwas abseits von Kyoto liegt und dessen Fenster den Blick auf scheinbar unberührte Wälder freigeben, das bekannte Kyoto Protokoll ausgehandelt wurde, verleiht Beyond Metabolism eine weitere Ebene. Die „Narration des Ortes“, wie es Pary El-Qalqili nennt, ist klar durch dieses Ereignis geprägt: Die starke Trennung von futuristischem Betonachsen innen und grüner Idylle außen wirkt symptomatisch für den politischen Prozess, der an diesem Ort angestoßen wurde. Stefanie Gaus betont, dass die zeitliche Dimension dieses Prozesses mit der architektonischen Idee des Metabolismus, Tradition und Moderne zu verknüpfen, in Bezug zu setzen sei. Dass man die Verbindung zwischen dem Ort und seiner politischen Geschichte überhaupt zieht, ist jedoch weniger offensichtlich als Verdienst von Gaus und Sattel: Ihre Kamera schafft Räume, statt sie nur zu zeigen. Von der symbolischen Nähe des Ortes zu seiner historischen Bedeutung wird dadurch in dem Film noch abstrahiert. Sattel stellt heraus, es sei ihm vor allem daran gelegen gewesen, „Strukturen zu zeigen, die sich auf etwas rückübertragen lassen.“ Diese Übertragung, diese Übersetzung stehe im Mittelpunkt des Filmes.