Synopse
Sommer. Ferien. Zeit. Ein Asylbewerberheim im Niemandsland, irgendwo hinter der Endhaltestelle des leeren Linienbusses. Hier versuchen sich die Kinder in Kupfer, Baden, Zeittotschlagen. Die Grillen zirpen, die Hitze sengt. Ihre Vergangenheit kennen die wenigsten, ebensowenig wie ihre Zukunft. Kindsein im Jetzt.
Protokoll
Ein Heim im Nirgendwo. Eine Gruppe von Flüchtlingskindern, auf die Leinwand gebracht im Schwarz-Weiß liebevoll komponierter Bilder. Streifzüge durch die Reste der Zivilisation. Was man vielleicht auf den ersten Blick mit dem Genre „Problemfilm“ etikettieren würde, stellt sich schnell als die gegenwärtige Reminiszenz an ein Gefühl der Kindheit, des Kind- Seins dar. Das Heim in Anne Konduras Film soll abgerissen werden (und existiert heute tatsächlich nicht mehr), was die nostalgische Note des Films noch verstärkt. Kaum verwunderlich, dass in der Diskussion sowohl von der Filmemacherin selbst als auch vom Publikum immer wieder Parallelen zur eigenen Kindheit gezogen wurden. Kindheiten, die nicht in einem Flüchtlingsheim ihren Verlauf nahmen – und dennoch dieselben Gefühle von Abenteuer und Freiheit kannten.
Angesprochen auf die Idee zu ihrem Film, berichtet Anne Kodura von einem Spielfilmdreh auf dem Heimgelände, bei dem sie mitgemacht habe. Besonders die Kinder und die Abwesenheit der Eltern seien ihr im Gedächtnis haften geblieben. Der Plan für Ödland war entstanden. Allerdings sei es im Anschluss schwierig gewesen, eine Drehgenehmigung von der Heimleitung zu erhalten. Die Regisseurin musste ein Jahr kämpfen, um schließlich mit ihrem Film anfangen zu dürfen. Eine Zeit die sie nicht ungenutzt verstreichen ließ: Sie fuhr zu den Kindern und spielte mit ihnen, um sie besser kennenzulernen. Als sie mit den Dreharbeiten begann, waren die Kinder deshalb auch begeistert, empfingen das Team mit offenen Armen und ließen sie ohne Scham und Misstrauen an ihrem alltäglichen Leben teilhaben. Selbst auf ihre Beutezüge in die ehemalige russische Kaserne, wo sie auf der Suche nach verkäuflichem Kupfer durch die Ruine streifen, durfte Kondura nach anfänglichem Zögern die Kinder begleiten – und Schmiere stehen. Die Regisseurin bezeichnet den Umgang mit den Kindern in der Diskussion als „zusammen abhängen“. Sie habe ihnen von Beginn an erklärt, sie sollten nicht „Sie“, sondern „Du“ sagen.
Und so erzählt die Kamera von den Beziehungen der Kinder, als wäre sie selbst nur ein weiterer Spielkamerad. Von Selbstinszenierungen der Protagonisten ist nichts zu sehen. Nach einer gewissen Zeit sei es ihnen einfach langweilig geworden, sich für die Kamera zu produzieren, berichtet Kodura – und dann habe man mit dem Drehen begonnen. Schon von einem ersten Testdreh hat es eine Szene in den fertigen Film geschafft: Nach zwei Stunden des Faxenmachens wären die Kinder einfach in ihren normalen Umgang untereinander zurückgefallen und hätten die Kamera vergessen.
Jessica Manstetten weist auf die strikte Trennung zwischen Innen und Außen im Film hin, der zellenartigen Wohnung, in der der Fernseher vom Krieg in den nun fernen Herkunftsländern der Eltern berichtet und der offenen Idylle der Landschaft, die die Kinder erkunden und zu ihrem eigentlichen Ort machen. Kodura sei vor allem die Kinderperspektive wichtig gewesen, die Begegnung auf Augenhöhe. Die Wahrnehmung der Kinder zu transportieren, gelingt ihrem Film mit spielerischer Eleganz. Sie verzichtet vollkommen auf Szenen mit den Erwachsenen, weil sich die Kinder dann anders verhielten, wie sie erklärt. Eines der Kinder ist auch verantwortlich für den Langtitel des Films: „Damit keiner das so mitbemerkt“.
Die Kinder seien ein Stück weit autonom, in der Landschaft, aber auch in der Schule, die sie besuchen und wo sie Kontakt zu jenem deutschen Außen finden, das die Erwachsenen im Ödland fixiert. Zwar lebten sie jederzeit im Bewusstsein, anders zu sein und die Distanz zu jenem Deutschland, das sie längst als ihr eigentliches Heimatland empfinden (die meisten der Kinder sind in Deutschland geboren), verschwinde nie vollkommen. Nach der Schule müssten sie auch wieder in die Isolation des Heimes, Klassenkameraden besuchten sie dort nicht. Die eher braun angehauchte politische Atmosphäre in der Region erschwere eine Integration zusätzlich. Und doch unterscheiden sich die Kinder grundsätzlich von ihrer Elterngeneration, die meist depressiv vor dem Fernseher in den Plattenbauten sitzt. Sie sprechen untereinander Deutsch, die Eltern haben die Sprache nie gelernt. Ihren Heimatbegriff stückeln sie sich zusammen aus den Erzählungen der Eltern, den Kriegsbildern im Fernsehen und ihren eigenen Erlebnissen und Eindrücken.
Ödland erzählt von der Kindheit und bindet den Flüchtlingskontext immer wieder durch die Aussagen der Eltern ein. Die Erwachsenen sind jedoch auch hier nicht zu sehen, ihre Stimmen kommen aus dem Off und sind über das Bild von Windrädern in der Einöde Sachsen-Anhalts gelegt. Es ist erstaunlich, wie sehr sich diese Perspektive in ihrem klagenden Ton von der Unbekümmertheit des Erlebens der sechs- bis elfjährigen Protagonisten unterscheidet.
Für viel Redebedarf sorgte die Entscheidung der Filmemacher, ihre Arbeit letztlich in Schwarz-Weiß fertigzustellen, auch wenn sie ursprünglich in Farbe gedreht hatten. Die Idee sei im Schnitt entstanden, erinnert sich Kodura. Die Gründe waren vielschichtig: Zum einen sollte das Heim als Stellvertreter für andere solcher Heime in Deutschland stehen, zum anderen evoziere Schwarz-Weiß das Empfinden der eigenen Kindheit besser, wie es für Kodura in den Fotografien ihrer eigenen Kindheit zu finden ist. Für Cristina Nord hätte Farbe – ein sattes Grün der Wiesen, das Blau des weiten Himmels – die ohnehin starke Ambivalenz zwischen Innen und Außen, der tristen, desolaten Kargheit der Wohnungen und der Lebendigkeit der Landschaft, die wie ein riesiger Abenteuerspielplatz wirkt, noch mehr unterstützt.
Am Ende der Diskussion rief Jessica Manstetten noch einmal dazu auf, solch mutige Filme zu machen. Ödland ist fast komplett eigenfinanziert, Kodura und ihr Kameramann Friede Clausz sind auch die Produzenten des Films. Eine Jugendinitiativförderung reichte nur bis zur Schnittphase, danach blieb das Material erst einmal ein dreiviertel Jahr liegen, weil sich die Suche nach einem Cutter – dem man keine finanziellen Anreize hätte bieten können – als schwierig herausstellte. Schließlich schnitten Kodura und Clausz den Film selbst, vielleicht weil sie nach der langen Zeit selbst den Abstand zu ihrem Material gefunden hatten, den sie sich von einem externen Cutter ursprünglich erhofft hatten.