Film

Nella Fantasia
von Lukas Marxt
AT/DE 2012 | 55 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
06.11.2013

Diskussion
Podium: Lukas Marxt
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Alexander Scholz

Synopse

Nebel, dann landet ein Hubschrauber, ein Vorhang bewegt sich wie von selbst, ein Mann spielt auf dem Keyboard, einer ist auf dem Laufband. Rohre schlagen aneinander, Meeresschaukeln und das Pfeifen des Windes. Spindtüren schlagen auf und zu, dann Operngesang. Die Besichtigung einer Insel. 

Protokoll

Nella Fantasia zeigt weniger, wie etwas getan wird, sondern vielmehr, dass etwas geschieht. Lukas Marxt erkundet an einem zumeist unbeobachteten Ort das Unbeobachtete. Vorhänge bewegen sich leicht, Spindtüren klappen auf. Das Knarzen der beengten Innenwelt einer Bohrinsel vor Norwegen ist dem Rhythmus ihrer endlos erscheinenden, sich bedrohlich auf- türmenden Außenwelt hingegeben. Der Regisseur nimmt diesen niemals verstummenden Rhythmus auf und bezieht ihn in die Montage seiner Arbeit mit ein. Durch das Zusammen- fließen von Bild-, Ton- und Naturgewalt entwickelt sich ein Sog. Was man hört sind aber keine Sirenen, sondern allein Töne, die Lukas Marxt bei seinem knapp zweiwöchigen Auf- enthalt auf einer Bohrinsel vor Norwegen selbst eingefangen hat.

Der Autor von Nella Fantasia beschreibt im Gespräch, wie ihn die entsprechenden Drehar- beiten selbst nach vielen Instruktionen und physischer Vorbereitung an seine Grenzen geführt hätten. Der Film erzählt von dieser Grenzerfahrung nicht nur, indem der schwere Seegang selbst zu sehen ist. Die Bilder der Fluten zeugen genauso von der Schwierigkeit, die Kamera im Sturm ruhig zu fixieren. So findet das Filmen der Ekstase seinen Ausdruck im mühsam unbewegt gehaltenen Bild. Die Unmöglichkeit, Außenaufnahmen von der Tieftaucherbohrin- sel machen zu können, sowie die generelle Witterungsabhängigkeit seines Drehs verweisen Marxt an die Kräfte, deren Wüten und Wirken er im Film zeigt. Den Entwurf etwa, die Insel in ihrem Charakter als Skulptur darzustellen, habe er verworfen, um die freien Bewegungen um sie und auf ihr näher zu betrachten. Die Dynamik und die Macht der Elemente sind als Sujet unausweichbar, Marxt seinem Thema ausgeliefert.

Die Bohrinsel kommt in Nella Fantasia darüberhinaus weder als ein Pars pro toto für den wirtschaftlichen Kontext, zu dem sie gehört, noch als Arbeitsplatz in den Blick. Sie verweist nicht, sondern ist. Sie ragt in ihrer metallernen Präsenz aus dem Wasser und ermöglicht, das- selbe in seiner wahrhaft rauschhaften Erscheinung zu zeigen. Marxt geht es um die Vermes- sung der Insel und ihres Umfeldes als Schauplatz der räumlichen Bewegung und des zeitli- chen Stillstands. Die Arbeiter sind während ihrer Auszeiten zu sehen – sie treiben Sport, mu- sizieren und singen –, in denen sie ebenfalls durch das Metrum bestimmt sind, das die sie beherbergende Festung mit dem umhüllenden Chaos verbindet. Sie bündeln ihre Energien, während das Wasser fließt. Sie arbeiten nicht, sie harren. Einige sind sogar nur da, um da zu sein. Durch seine Einbettung des Ortes in sein besonderes ästhetisches Programm, habe der Regisseur seine Förderer von seinem Filmprojekt überzeugen können. Marxt, der das Projekt als Stipendiat der RWE-Stiftung realisieren konnte, berichtet von der anfänglichen Skepsis seiner Geldgeber gegenüber dem Dreh auf einer Bohrinsel. Einmal dort angekommen, habe er sich dann im Rahmen der strengen Sicherheitsauflagen frei bewegen und etwa 25 Stunden Rohmaterial ansammeln können.

Moderator Till Brockmann erkennt in dem Film aufeinander gereimte Tableaux und erkun- digt sich nach der Arbeit an der Montage dieses Materials. Die Frage, wie seine spezielle Dramaturgie der Bewegung, der Farben, des Tons und der Längen zustande gekommen sei, beantwortet der Autor mit dem Hinweis auf die komplementären Gegensätze, die seinen Film strukturierten. Die endlose Außen- und die enge Innenwelt, die Nähe zu den Menschen und deren Ausgesetztsein in der Weite, das fließende, unkontrollierbare Wasser und das nur durch dieses bewegte schwerfällige Metall der Maschinen. Diese Konstellation lässt Michael Senn- hauser an die experimentelle Dokumentation Leviathan von Lucien Castaing-Taylor und Ve- rena Paravel denken, während Till Brockmann seiner Begeisterung über die Kraft Ausdruck verleiht, die Nella Fantasia gerade auf der großen Leinwand entfalte. Die Präsenz der Bilder, insbesondere die Aufnahmen des wogenden Meeres, stoßen auf nahezu ungeteilte Begeiste- rung. Die Zweidimensionalität des Bildes und die Tatsache, dass die digitale Aufnahme die Wasseroberfläche als eine Layer erfasst, werden als technische Voraussetzungen eines Bildes virulent, das sich zu seinen Bedingungen ungewöhnlich originell verhält.

Der Rahmen, mit dem Lukas Marxt sein Werk umfasst, wird im Publikum kontrovers disku- tiert. Sowohl das Intro als auch die letzte Einstellung stoßen auf geteilte Meinungen und füh- ren doch beide zu einer Szene inmitten des Films zurück, die Marxt selbst als Schlüsselszene betrachtet. Während pathetische Synthesizermusik erklingt, sind zunächst die Tasten seines Instruments nur in der Brille eines Keyboardspielers zu sehen. Der Regisseur begreift die zuvor gezeigten vibrierenden Rohre im Innenraum der Insel als Verlängerung der Mechanik des Tastenspiels. Später sieht und hört man einen Sänger zu diesen Klängen das für den Film titelgebende Lied anstimmen. Mensch und Maschine im harmonischen Zusammenklang. Dass die Darbietung des Stücks als Tonspur über dem Intro und der letzten Einstellung von Nella Fantasia liegen, verleiht dem nebelig undurchsichtigen Beginn und dem potentiell romanti- sierenden Ende des Film eine pathetische Note, die einige Diskutanten Kitsch nennen. Marxt ist bewusst, dass er sich hier dem Gestus des Spielfilms bedient.

Die nebelige Opazität des hellen Graus, das den Kinosaal die ersten vier Minuten des Films illuminiert, erfährt jedoch weniger Erörterung als das letzte Bild des Films, das eine Bohrinsel im rötlichen Dämmerlicht auf der Kante des Horizonts positioniert. Im Zusammenspiel mit der Tonspur will sich nicht bei allen der Eindruck des Kitschigen einstellen. Dass die anderen Bilder doch auch von einem gewissen Pathos lebten und seien doch nicht trivial, wird einge- wandt. Die musikalische Anrufung der Weite durch eine menschliche Stimme habe eine na- hezu religiöse Dimension, formuliert Eleni Ampelakiotou vorsichtig. Ferner wird festgehal- ten, gegen den Anschein von Kitsch spreche, dass das Bild beileibe keine glatte Sentimentali- tät konnotiere. Die Aufnahme sei nicht perfekt, der Gesang schief. So entstünde vielmehr eine ironische Brechung.

Es erscheint bezeichnend, dass über das Bild, welches am ehesten doch als Verweis, als Me- tapher für die existenzielle Abgeschiedenheit der Menschen auf einer Insel, gelesen werden kann, so rege diskutiert wird. Über die Wirkkraft des Rhythmus innovativer Blicke auf das Unbeobachtete scheint kaum ein Zweifel zu bestehen.