Film

Intensivstation
von Eva Wolf
DE 2013 | 86 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
05.11.2013

Diskussion
Podium: Eva Wolf, Michael Weihrauch (Kamera)
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Christian Koch

Synopse

Ärzte und Pfleger bei ihrer täglichen Arbeit auf einer Berliner Intensivstation der Charité. „Das ist hier eine ganz andere Welt“. Im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Aber: Überleben um jeden Preis? Wann fängt das Sterben an? Entscheiden: Wann werden die Bemühungen eingestellt? Und die Fragen an uns: Wie wollen wir sterben? Und wie leben? 

Protokoll

Intensivstation widmet sich einem Thema, das an die Grenzen menschlicher Erfahrung geht und damit im Alltag selten gestellte, existenzielle Fragen, die das „Raumschiff“ (so eine Pflegerin über ihren Arbeitsplatz) Notfallmedizin betreffen, ins Bewusstsein des Zuschauers holt. Wie führt man einen solchen Ort ein, an dem diese Fragen auf Leben und Tod täglich beantwortet werden müssen? Peter Ott beschreibt zu Beginn der Diskussion die Montage, die gewissermaßen den Zugang zu einer internistischen Intensivstation der Berliner Charité legt: den Unfall auf der Straße, die Fahrt im Krankenwagen, den diskreten Blick aus dem Wagenfenster, der die Anonymität des Verletzten wahrt, nur die beruhigenden Sätze der Notärztin sind zu hören. Dann fährt man kurz im Fahrstuhl mit, sieht einer Herzmassage vom Flur aus zu, bis schließlich die Kamera kurz bei einem Schwenk über das Klinikgelände ausruht. Danach konzentriert sich der Film ganz auf die Station und ihre „Insassen“.

Ott bemerkt, dass das Aktionsfeld des Films von diesem Punkt an sehr eng, extrem privat und krisenhaft sei. Ein Filmteam stelle er sich an einem solchen Ort als sehr störend vor. Wie seien die Filmemacher vorgegangen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden? Eva Wolf berichtet von den langwierigen Vorbereitungen zum Film, die etwa ein Jahr gedauert hätten. Immer wieder sei sie auf der Station gewesen, habe an vielen Schichtübergaben teilgenommen um nach und nach so viele Mitarbeiter wie möglich kennenzulernen. Ihre früheren Filmarbeiten haben über das ganze Jahr zur Mitnahme ausgelegen, um eine Vorstellung von ihrer Arbeitsweise zu vermitteln. Auch erste Verbindungen zu Patienten und Angehörigen habe sie so knüpfen können. Viele von diesen hätten durch ihre schweren Erkrankungen lange oder wiederkehrende Liegezeiten gehabt und seien dann auch während der Drehphase dort gewesen, was den Zugang enorm erleichtert habe. Der eigentliche Drehzeitraum habe sich dann über etwa vier Monate erstreckt.

Michael Weihrauch, nach seiner Perspektive auf die Station gefragt, sagt, er habe sehr schnell verstanden, was Eva Wolf gemeint hatte, als sie ihn im Vorfeld gefragt habe, ob er sich die Aufgabe „zutraue“. Für ihn als „klassischen Hypochonder“ sei die Situation schwierig gewesen, manches Mal habe er seine Arbeit unterbrechen müssen – nicht beim Anblick des Leidens der Patienten, sondern eher beim Beobachten der Gespräche des Personals, in denen massenhaft Tabellenwerte analysiert und viel Fachjargon gesprochen worden sei. Das habe wohl seine Phantasie zu sehr beflügelt.

Die Strategie, während der Dreharbeiten viel Zeit mit der Beobachtung der Vorgänge zu verbringen, ohne die Kamera mitlaufen zu lassen, habe beiden bei der Annäherung sehr geholfen. Gleichzeitig ermöglichte es, den Überblick über die extrem komplexe Drehsituation zu behalten. Stets musste in kürzester Zeit der Wunsch der Beteiligten, nicht gefilmt zu werden, beachtet, der Zustand der Patienten berücksichtigt werden. Das habe gelegentlich sehr verwickelte Konstellationen ergeben, in denen man schnell entscheiden musste, ob gedreht werden durfte oder nicht.

Für Wolf ergab sich die Dramaturgie aus ihrem vorrangigen Interesse an der Position des Pflegepersonals. Dies habe die Schlüsselposition auf der Station inne, weil es ständig in Kontakt mit den extremen Lebensumständen der Schwerkranken sei. Zwar habe ihre Einschätzung der Situation der Patienten einiges Gewicht, doch blieben die Entscheidungen über die Behandlungsstrategien (ein Pfleger nennt es „Gott spielen“) stets den Ärzten vorbehalten. Die so genannten „M+M-Konferenzen“ (Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen), auf denen die Fälle mit dem gesamten Team detailliert und bis in alle möglichen Konsequenzen besprochen werden, seien häufig sehr konfliktuös und emotional abgelaufen. Die einzige dieser Konferenzen, bei der die Kamera dabei war, könne dies nicht abbilden, weil die durch sie in die Sitzung eingeführte Öffentlichkeit manipulativ gewirkt habe. Darum habe man auf weitere filmische Interventionen in diese Konferenzen verzichtet. Die eine Szene blieb dennoch im Film, weil sie die Ausnahmesituation besonders deutlich mache, in der sich das Personal befinde. Überhaupt war die Regisseurin von der weitgehenden Abwesenheit von Hierarchien zwischen Ärzten und Pflegern überrascht. Sie habe das Krankenhaus früher während einiger Praktika und Aushilfstätigkeiten als wesentlich strenger hierarchisiert erlebt.

Aus dem Publikum kommt die Frage nach der Kapitelstruktur des Films. Die Einstellungen behandelten doch immer einen ganzen Komplex von Aktivitäten, so dass die Unterteilung in die Abschnitte (z.B. „Helfen“, „Entscheiden“, usw.) unverständlich bliebe. Für die Filmemacher liegt die Komplexität in der Situation der Station, gleichwohl habe man auf bestimmte Aspekte der Arbeit fokussieren wollen. Es wird bemerkt, dass dem Film eigentlich der Abschnitt „Heilen“ fehle, da ja niemand geheilt werde. Ob die Absicht gewesen sei, die Fatalität der Intensivmedizin, die indem sie helfe, Leiden verlängere und gar erzeuge, zeigen wolle? Hier verneint Wolf, sie habe ein differenziertes Bild der Lage zeichnen wollen, in der sich die Menschen befänden, die mit der Extremsituation der Intensivstation täglich umgehen müssten. Auch habe sie für diese Extremsituationen sensibilisieren wollen, in die jeder geraten könne und auf die nur wenige vorbereitet seien.

Auf die Frage nach dem Bildregime, der Perspektive der Bilder schildern die Filmemacher die Beengtheit der Verhältnisse, die ständige Wachheit erfordert habe. Es sei dagegen verhältnismäßig einfach gewesen, so Wolf, Details und Kamerafahrten zu filmen, darum habe man dies auf die letzte Phase der Drehzeit verlegt. Sie habe aber versucht, dem Film auch eine subjektive Ebene zu eben, die jener der Patienten zumindest nahe kommt, etwa in der Anfangssequenz. Die Grenze, den Kranken direkt ins Gesicht zu filmen, habe sie nicht überschreiten wollen. Ebenso habe sie anders als Frederic Wiseman, dessen Film Near Death (1989) die Intensivpflege aus einer vornehmlich technischen Perspektive zeigt und damit den Status des menschlichen Körpers als Apparat fokussiert, die menschliche Qualität der Arbeit des Personals und die Würde der Schwerkranken nicht aus dem Blick verlieren wollen.