Synopse
In einer forensischen Klinik leben Frauen im Maßregelvollzug nach § 63. Das Pflegepersonal versucht den Spagat zwischen Fürsorge und Kontrolle. Die Insassen ringen um Perspektiven. Es geht um Lockerungsstufen, Fixierung, Zigaretten, den Verfahrensplan. Frau D., von Kameras überwacht, spricht von „Systemwächtern“.
Protokoll
Die ersten Sätze in Andere Welt spricht eine Maschine. Sie sagt ihrem Gegenüber, wo er hinzugucken hat (in blaues Licht – Riefenstahl lässt grüßen), dass sie gerade gescheitert ist, ihren Dienst auszuführen (was aber vermutlich am falschen Gucken liegt), und dass sie die Netzhaut derjenigen Person, die Einlass in die von der Maschine geschützten Maschinerie begehrt, nun endlich registriert hat. Die Maschine nennt ihr Registrieren dabei reichlich anmaßend ein Erkennen: „Sie wurden erfolgreich erkannt.“ Die kalte Nachricht ist eindeutig: Die Maschine wählt die Augen aus, die das hinter ihr liegende Reich betrachten dürfen. Sie maßt sich an, was die meisten Dokumentarfilmer nicht einmal als Anspruch formulieren würden.
Dass der Regisseurin Christa Pfafferott in das hermetische Reich dieser Klinik für Forensische Psychiatrie überhaupt Einlass gewährt wird, ist das Ergebnis eines längeren Prozesses (vielleicht auch Processes). Nach einem Praktikum in der Institution sind ihre Augen dort bereits bekannt. Sie darf deshalb zunächst auch gläserne Linsen mitbringen, um Einzelbilder für Fotoserie für das SZ Magazin zu schießen (http://sz-magazin.sueddeutsche.de/ texte/anzeigen/37505). Für den Schritt zum Bewegtbild bedarf es ausgiebiger Diskussionen mit der Institution, deren Vertretern die Furcht bei solch einem Projekt wenig gewinnen zu können, durch ein überzeugendes Konzept hätte genommen werden können, sagt Produzentin Julia Kleinhenz.
Teil dieses Konzeptes ist es, die in den Räumlichkeiten der Forensischen Psychiatrie genehmigten wachsamen CCTV-Augen in die Dokumentation aufzunehmen. Denn die registrierenden sind den erkennend Schauenden am Drehort zahlenmäßig überlegen. Werner Ružička sieht es deshalb als Stärke des Films, auf den Rahmen der ständigen Kontrolle aufmerksam zu machen, in dem derselbe zuallererst entsteht. Die in Andere Welt mehrmals gestellte Frage der Filmemacherin an ihre Protagonistinnen, ob sie gerade überhaupt gefilmt werden wollen, spart sich die Überwachungskamera an der Zellendecke natürlich gänzlich. Dass die Regisseurin ihre Bilder aussucht und sich interessiert, statt so lange indifferent zu observieren, bis ein Störfall auftritt, macht sie für die Patientinnen, die sie vorstellt, zur Bezugsperson. Christa Pfafferott erzählt beispielhaft von einer Szene, die bereits am ersten Drehtag entstand. Die zurückhaltende Diskretion, die die Kamera gegenüber einer Patientin halten will, ist offenbar nicht die Perspektive, aus der dieselbe gesehen werden möchte. In hoffnungsvoller Hinwendung zum Publikum, einer ausnahmsweise wohlgesinnten Kamera oder einfach einer von Allgemeinplätzen gereinigten Unterhaltung klagt die Patientin ihr Leid: „Die wollen mich Löschen, die Systemwächter.“
Ob es sich dabei um ein Verkennen oder um ein erfolgloses Erkennen der eigenen Situation handelt, ist eine Frage, der sich der Film weniger widmet. Vielmehr kann in Andere Welt die „Verknüpfung von Patienten-, Mitarbeiter und Unternehmenszielen“, die die Klinik als ihr wesentliches Anliegen formuliert, bei ihrer Auflösung bestaunt werden. Als Peter Ott Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Unterbringungsdauer in der Einrichtung anmeldet, verweist ihn die Regisseurin an die Machtstruktur, die über dieselbe entscheidet. Die Abhängigkeit der Behandelten vom Personal, die sich aus der spätestens seit dem Fall Mollath kontrovers diskutierten Gesetzeslage ergibt, und die mögliche Umkehrung dieser Abhängigkeit sei ihr Thema. Die Ohnmachtsproduktion im Dienstleistungsunternehmen Klinik werde außerdem durch die beschränkte Entscheidungskompetenz der Pflegerinnen forciert. Ihr Verhältnis zu den Patientinnen schwankt zwischen Phrasenaustausch und tatsächlicher Empathie. Zwischen gemeinsamen Kniffelspiel und der Ansage, in fünf Minuten gehe es nun aber wieder in die Zelle.
Die weitgehende Abwesenheit der behandelnden Ärzte im Film und die Akzentuierung des Verhältnisses von Pflegerinnen und Patientinnen sei eine bewusste Entscheidung erläutern Regisseurin und Produzentin. Julia Kleinhenz entgegnet Till Brockmanns Frage, wieso die tatsächliche therapeutische Arbeit nicht gezeigt worden sei, mit dem Argument, man wäre so Gefahr gelaufen, in den erklärenden Modus einer Reportage zu verfallen. Dass durch diese Entscheidung, die Institution selbst im Dunklen bleibt und möglicherweise zwei weibliche Parteien in einem unlösbaren Konflikt jeweils in Opferrollen portraitiert werden, wird im Publikum kritisch gesehen. Die Regisseurin reagiert auf diesen Vorwurf mit dem Hinweis, dass das Erleben des Gefühls der Ohnmacht, ein durchaus interessantes Rezeptionserlebnis sei. Dass die Patientinnen eher für sich selbst als für ihre Umwelt eine Gefahr darstellten, sieht Michael Sennhauser mit einer Würde bewahrenden Diskretion eingefangen. In Michael Sennhausers (bloggt über die Filmwoche auf sennhausersfilmblog.ch) Argument, das Portrait zweier sich innerhalb der dunklen Institution bewegenden Akteure sei für ihn völlig ausreichend, hallt die Bemerkung Werner Ružičkas nach, diese Konstellation sei schlechthin kafkaesk. Sowohl das hierarchische als auch das digitale Netz halte beide Parteien im stetigen Mechanismus von Überwachen und Strafen, einer „subversiven List“ gegenseitiger Handlungsappelle.
Andere Welt grenzt sich mit seiner visuellen Strategie, das wurde in der Diskussion deutlich, stark von den Registratoren ab, die von kahlen Wänden der Klinik herunter starren. Inwiefern es dann noch nötig ist, diese Differenz noch mit einer extradiegetischen Tonspur zu pointieren, fragt sich Werner Ružička. Von Christa Pfafferott ist daraufhin zu erfahren, dass die repetitive Musik und das Grammophonrauschen einerseits die Monotonie des Tagesablaufs in der Klinik wiederspiegeln und andererseits die digitale Erfassung der Körper kontrastieren sollte. Hinzu kommt der produktionsästhetische relevante Grund „weil es mir gefallen hat.“ Gefallen hat dem Publikum wiederum die Dezenz der Filmemacherin, die sich im der panoptischen Bilderfabrik der Forensischen Psychiatrie auf die Kraft der ausgewählten Bilder verlässt und den in den Bildrahmen hineinklagenden Patientinnen so die Achtung lässt und Beachtung verschafft.