Film

Richtung Nowa Huta
von Dariusz Kowalski
AT 2012 | 78 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 36
08.11.2012

Diskussion
Podium: Dariusz Kowalski
Moderation: Cristina Nord
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Nahe Krakau liegt Nowa Huta, eine 1949 um ein Stahlwerk gebaute sozialistische Modellstadt. In der Wendezeit war dort ein Zentrum der Solidarnosc, seitdem hat die Stadt modellhaft erlebt, was nach dem Kommunismus kam. ‘91 hat Kowalski Nowa Huta verlassen. 20 Jahre später kehrt er zurück. Heute werden Brautpaare in den verfallenen Fabrikhallen fotografiert.

Protokoll

Wie werden ein Haufen Straßen und eine Ansammlung von Gebäuden zu einer Stadt, was verleiht dem urbanen Raum Identität und das Attribut „Heimat“? Dariusz Kowalski begibt sich auf Spurensuche im polnischen Nowa Huta, macht einen Querschnitt durchs Private, markiert dessen Schnittstellen mit dem Öffentlichen und zeichnet dabei das Wesen seiner Heimatstadt.

Bewohner der Stadt in Interviews und Portraitaufstellungen, Wohnungen, Plätze und Straßen werden ins Auge der Kamera gefasst. Im filmischen Geflecht um Orte und Menschen weist schon der Titel auf den Versuch der Annäherung hin: „Richtung“ Nowa Huta geht es, changierend zwischen den vergangenen und gegenwärtigen Zeitschichten der Stadt, ohne Standpunkte fixieren zu wollen. Die kommunistische Vergangenheit, in der die Stadt vor etwas mehr als 60 Jahren erbaut wurde, und die noch heute in Oberfläche und Biografien eingeschrieben ist, wird nur implizit thematisiert. In Gesichtern, Gesten und Orten der Gegenwart solle sich Zeitgeschichte zwischen den Zeilen erzählen, betont Kowalski, Geschichtsunterricht habe er nicht geben wollen.

Die Figur des „Crazy Guide“ Wiktor, der „Communism Tours“ anbietet und euphorisch mit dem Trabi durch Nowa Huta führt, wird zum Sinnbild der Aufarbeitung kommunistischer Vergangenheit durch die junge Generation. Nachdem die Auseinandersetzung in den 1990er Jahren einem schwarzen Loch glich, beschäftigt man sich heute mit den komischen, absurden Seiten der Ideologie und einer Art von „Kommunismus-Nostalgie“. Diese Ambivalenz der Geschichts- und Vergangenheitsbewältigung, in der Zeitgeschichte „rotier- und touristisch konsumierbar“ wird, irritiert Peter Ott wie auch Kowalski selbst.

Der Zugriff ist und musste ein persönlicher sein, und so hinterlässt Kowalskis Biografie ihre Spuren im Film, nicht nur durch die Auswahl von Drehplätzen und Motiven – wie die Jugend von Nowa Huta, die wie er selbst an brachliegenden Orten Delinquenz erahnen lässt – sondern auch durch private Familienfotografien. Fotografisches und archivfilmisches Material bildet eine weitere Erzählebene des Films und formt seine Struktur. Der Aufbau des Materials gleiche einer Geschichte des Mediums, wurde Kowalski schon attestiert: erst sind Negative zu sehen, dann entwickelte Fotografien und zuletzt bewegte Filmbilder, die den Film beenden. Lobende Stimmen aus dem Publikum erwähnen den Rhythmus des Films, der sich aus dem Umgang mit Ton, aber auch aus den motivischen Übergängen der Materialitäten speist; oftmals wählte Kowalski intuitiv dieselben Motive zum Drehen, die sich auch in den Archiven seiner Protagonisten fanden. Dennoch verfolgte er weder in der Produktion noch beim Schnitt fixe Prinzipen oder Strategien und versuchte, „organisch“ zu arbeiten.

Kontrastfläche bildet der Abschluss des Films, besagtes Archivmaterial des polnischen Sicherheitsdienstes, das Szenen des Aufstandes in Nowa Huta aus den achtziger Jahren zeigt. Vor dem Hintergrund des 60jährigen Jubiläums der Stadt wurden diese Aufnahmen oftmals unter tonaler Veränderung verwendet. Kowalski entschied sich für die ursprüngliche stumme Version und setzte so das „unbetont betonte“ Ende des Films. Während Peter Ott sich eine verstärkte Einbettung der Historizität des Materials ähnlich der der Fotografien gewünscht hätte, lobt eine Diskutantin Kowalskis Vorgehen und die entstehende Konzentration im Saal auf das zu Sehende.

 Cristina Nord, Dariusz Kowalski v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Cristina Nord, Dariusz Kowalski v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald