Film

Nichts für die Ewigkeit
von Britta Wandaogo
DE 2011 | 81 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
10.11.2011

Diskussion
Podium: Britta Wandaogo
Moderation: Andrea Reiter
Protokoll: Mark Stöhr

Synopse

Eine Reise in die eigene familiäre Vergangenheit und in eine andere Zeit. Eine Geschwisterliebe, die ihre Höhen und Tiefen durchläuft. Die Sucht übernimmt dabei die Führungsrolle. Die Schwester filmt den Bruder. Schutz und Festhalten.

Protokoll

„Ein bewegender Film!“ – „Extrem intensiv!“ – „Wahnsinnig dicht!“

Duisburg legte Britta Wandaogo sein Herz zu Füßen. Eine Diskussion wie ein wohltemperiertes Schaumbad. Das konnte man von dem Film weiß Gott nicht behaupten.

Wandaogo kehrt wie in den meisten ihrer anderen Arbeiten auch in NICHTS FÜR DIE EWIGKEIT das Private radikal nach außen. Zwischen 1993 und 2005 hat sie immer wieder sich und ihren Bruder Dirk gefilmt. Die Kamera war ein selbstverständlicher Teil der Kommunikation zwischen den beiden Geschwistern. Das erklärt die große Unbefangenheit, diese bemerkenswerte Freiheit im Agieren vor und Spielen mit der Kamera, die das Material auszeichnet.

Der Film ist zweierlei: Das Dokument einer „geschwisterlichen Freundschaft, gar Liebe“ (Andrea Reiter) und eines, das die kontinuierliche Selbstzerstörung einer geliebten Person zeigt. Dirk ist heroinabhängig. Seine Drogentrips und Entzugserscheinungen nehmen einen breiten Raum im Film ein. Wandaogo spart nichts aus. Dirk hat häufig einen Affen und macht sich noch häufiger selbst zum Affen. Ein Junkie, der „die ganze Zeit seinen Körper am Laufen halten muss“ (Wandaogo). Der Vater, wie die Mutter völlig überfordert mit der Situation, führt Buch über die Versprechen des Sohnes, endlich clean zu werden, und darüber, wie er sie permanent bricht. Ein schon fast rührender Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen. Ob sie den Film schon ihren Eltern gezeigt habe, wurde Wandaogo gefragt. Nein, antwortete sie, wahrscheinlich werde sie das auch nicht tun. Die Reaktion der Mutter sei vorhersehbar: Dirk würde bloßgestellt. Doch wird er das nicht auch?

„Wandaogo benutzt den Bruder nicht als Effekt im Dramaturgischen“, sagte Werner Ružička, als wolle er jedem möglichen Unbehagen über das Verfahren der bedingungslosen Offenheit einen Deckel aufsetzen. Es sei schwer, über NICHTS FÜR DIE EWIGKEIT zu reden, räumte er ein. Man müsse zugleich über seine persönliche Anteilnahme an dem Geschehen sprechen und über den Film als Film.

Die enge Verquickung von privat und öffentlich, so die Crux des Films, birgt für jede Kritik die Gefahr, als Angriff auf die Person der Regisseurin, ihres Bruders und der gemeisamen Geschichte ausgelegt zu werden. So beließ man es im Grammatikoff beim Abfragen von Fakten und Empfindungen. Britta Wandaogo, merklich euphorisiert von der herzlichen Aufnahme des Films, gab bereitwillig Auskunft:

• Das Urbild war die auch im Festivalkatalog abgebildete Fotografie, die das Geschwisterpaar zeigt. Als sie vor zwei Jahren Bandscheibenprobleme hatte und sich kaum bewegen konnte, „guckte ich mal so, was da war.“ Der Großteil des Materials sei nicht mit dem Bewusstsein aufgenommen worden, daraus irgendwann einen Film zu machen. „Ich dachte eher, das ist was zur Erinnerung, wenn ich 50 oder 60 bin.“

• Im Schnitt, oft zu Hause am Küchentisch, habe sie das Leben mit ihrem Bruder noch einmal gelebt, viele Erinnerungen kehrten zurück. Trotzdem betrachte sie NICHTS FÜR DIE EWIGKEIT nicht als „Verarbeitungsfilm“: „Ich habe das Material erst einmal weggedrückt und mich ihm zugewandt, als ich nicht mehr so emotional war“ – einige Jahre nach dem Tod des Bruders, der 2005 starb.

• Schon einer ihrer ersten Filme, FIRST LOOK, der 1997 bei der Filmwoche gezeigt wurde, handelte von ihrem Bruder und seiner damaligen reundin. „Sie waren für einige Zeit bei mir eingezogen. Und ich dachte mir: Das halte ich nur mit Kamera aus.“ Dirk habe in seinem Leben nie gesagt: Ich gehe mal einen Schritt zurück. „Die Straße zum Wohnzimmer zu machen, war sein Ding.“

• Als sie NICHTS FÜR DIE EWIGKEIT in Duisburg noch einmal im Ganzen gesehen habe, habe sie sich gedacht: Da ist alles drin, was zu Dirk gehört und wie wir uns gegenseitig gesehen haben. Für sie sei das Thema mit dem Film nun abgeschlossen – anders als bei anderen in der Familie.

Nach einer Stunde Diskurs-Massage gingen die Filmemacherin und das Publikum in gleichermaßen aufgeräumter Stimmung auseinander. Ist ja auch bald Weihnachten.

 Andrea Reiter, Britta Wandaogo v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Andrea Reiter, Britta Wandaogo v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald