Film

Ernste Spiele
von Harun Farocki
DE 20092010 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
10.11.2011

Diskussion
Moderation: Harun Farocki
Protokoll: Ann Katrin Thöle

Synopse

Der Kriegsschauplatz Vietnam ist schon längst Bildwelt des Computerspiels geworden. Die Ikonografie der Darstellung wurde von den vielen hundert Vietnamkriegsfilmen geprägt. Im Falle des Irak haben Dienststellen der US-Armee Datensätze an die Spiele-Industrie geliefert. Offensichtlich ist heute das Computerspiel das Leitmedium, von dem die kollektive Vorstellung geprägt ist

Protokoll

Harun Farocki stellt seine Installationsarbeit „Ernste Spiele 1-4“ als Lecture vor. Was genau ist eigentlich eine Lecture? Eine „oral presentation intended to present information or teach people about a particular subject“ (Wikipedia).

Anders als der Veranstaltungstitel vermuten lässt, ist Farockis Vortrag, die Präsentation, das Referat zu seinen Arbeiten über die Verflechtung von Krieg und Medien von keiner allzu didaktischen Strenge. Im Zettelchaos verschwinden zwischenzeitlich Seite 2 und 3 – Regisseur und Publikum schmunzeln, dann geht’s weiter. Mit folgender Struktur wird das Publikum eingeladen, sich über die Produktion von Kriegsbildern im digitalen Zeitalter Gedanken zu machen: Auf eine thematische Einführung folgen die drei Kurzfilme WATSON IST HIN, DREI TOT und IMMERSION. Im anschließenden zweiten Teil der Lecture berichtet Harocki Hintergründiges zu Recherche, Vorgehen, Drehort und –ablauf. Er formuliert erste Thesen. Dann folgt der vierte, die vorangegangenen Beiträge zusammenfassende Kurzfilm EINE SONNE OHNE SCHATTEN.

Lecture Teil 1:

„Ernste Spiele“ ist keine Erfindung Farockis, sondern ein Terminus aus der Computerspielbranche. So werden jene digitalen Spiele genannt, die edukativen Zwecken dienen und ein unterhaltendes Lernerlebnis zum Ziel haben.

Im Sommer 2008 leitete ihm sein Mitarbeiter einen Artikel über die Therapierung traumatisierter US-Soldaten mit dieser Art von Computerspielen weiter: Virtuelle Traumatherapie – VR Based Therapy for Post-Traumatic Stress Disorders.

Immersion – das Eintauchen in virtuelle Bildlandschaften – als therapeutisches Verfahren. Animierte Kriegsszenarien als therapieunterstützendes Material: „Virtual Iraq“ oder auch „Virtual Afghanistan“ lauten diese Programme, die in Militärbasen und medizinischen Armeeeinrichtungen zum Einsatz kommen.

Eine erste Überlegung: Setzt das US-Militär mit dieser Neuerung den flüchtigen Nachrichtenbildern aus den Kriegsgebieten etwas Dauerhaftes entgegen? Werden diese Computeranimationen Eingang finden in die Ikonographie des Krieges?

Auf die gleichen Computersimulationen wird zurückgegriffen, um die Streitkräfte für ihren Kriegseinsatz zu trainieren. Man kann also sagen: Die Vorbereitung gleicht der Nachbereitung des Krieges.

Darauf aufbauend entwirft Farocki die These: Die Computeranimation entwickelt sich zum Leitmedium und wird die kollektive Vorstellung von Krieg und Kriegslandschaften nachhaltig prägen.

Lecture Teil 2:

„Kaum hat man eine Idee, muss man ein Exposé schreiben“ – um den Film finanzieren zu können, um Zugang zu den entsprechenden Institutionen zu erhalten, um Drehgenehmigungen zu erwirken. Je nach Zweck sind verschiedene Ansprachen nötig. Auch Fernsehstationen hat er um Unterstützung gebeten, dort aber antwortete man ihm, bei einem so komplexen Thema müsse man viel weiter ausholen. Aber wie weit denn bitte? „Wir wollen das zeigen, was an dem Schauplatz, den wir gewählt haben, vor sich geht.“ Dann muss man es eben ohne das Fernsehen machen.

– Zu WATSON IST HIN

Twentynine Palms ist eine riesige Militärbasis mit unheimlich vielen Tattoo- und Friseurläden (aber keine Nachtclubs). Hier hat Farocki die Marines bei ihren virtuellen Einsatzübungen beobachtet. Anhand von computeranimierten Landschaften wird der Krieg eingeübt. Afghanistan mit virtueller Sonne, virtuellen Menschen, deren Bewegungen doch so gar nicht realistisch und immer etwas verzögert sind, und komischen Oberflächen-Texturen. Die simulierten Landschaften streben in ihrer Ästhetik und ihrem Realismusanspruch der filmischen Aufnahme nach. Weil sie auf Daten basieren, rühmen sie sich als überlegen, und hinken doch hinterher. Trotzdem: die Soldaten versetzen sich buchstäblich in die Landschaft hinein.

– Zu DREI TOT

Beobachtungen auf einem Manövergelände. Eine Containerstadt, die von 300 Statisten aus aller Herren Länder bewohnt wird. Sie spielen Einheimische und potentielle Terroristen: Iraner, Iraker, Pakistani, Afghanen….

Das Filmteam ereilt die Nachricht, es habe einen Banküberfall gegeben. Doch dann stellt sich auch das nur als weiterer Teil der, diesmal realsimulierten, Kriegsübung heraus. Im direkten Vergleich mit den computeranimierten Landschaften von „Virtual Iraq/Afghanistan“ nimmt sich die Inszenierung in der Wirklichkeit nicht weniger künstlich aus. Das Szenario ist das gleiche.

Die reale Welt wird der Computerwelt angeglichen. Ist das vielleicht Ausdruck der amerikanischen Stilisierung – eines gewissen übergreifenden Zeichencharakters?

– Zu IMMERSION

Schauplatz ist ein Seminar für Militärpsychologen in Fort Lewis. Das Ganze findet in einem heruntergekommenen Casino statt. Die extra aus Washington D.C. eingeflogenen Presseleute, die Farockis Filmteam auf die Finger schauen sollen, verschwinden nach kurzer Zeit in die Kantine.

Um den therapeutischen Einsatz von „Virtual Iraq“ zu proben, werden Rollenspiele veranstaltet. Hierbei schlüpfen die anwesenden Ps ychologen in die Rolle von Therapeuten und Patienten – und spielen z. T. außergewöhnlich überzeugend psychisch versehrte Soldaten (die meisten wahrscheinlich, ohne jemals selbst im Krieg gewesen zu sein).

Eine Überlegung: Könnte es sein, dass die Compu ters piele als Lockmit tel funktionieren? So muss man nicht zugeben, dass man eine Therapie macht – man spielt ja nur ein Spiel.

Lecture Teil 3 / Zu EINE SONNE OHNE SCHATTEN:

Beide Systeme, die zur Vorbereitung und die zur Nachbereitung des Krieges, verwenden asymmetrische Bilder. So etwas gibt es natürlich nicht, asymmetrische Bilder. Was soll das sein? Aber der Punkt ist: die Landschaftsbeherrschung, wie sie in den computergenerierten Bildern, die zu virtuellen Kriegsschauplätzen zusammengesetzt werden, zum Ausdruck kommt, hat natürlich etwas mit Macht zu tun. Die Kunstfertigkeit der Schlachtenmalerei des 19. Jahrhunderts findet seine Fortführung in den animierten Kriegsszenarien, wie sie heute in Computerspielen zu finden sind. So ist es auch kein Zufall, dass die einzig nennenswerte Schlacht des Irakkrieges seine populärkulturelle Verarbeitung nicht im Spielfilm erfahren hat, sondern als navigierbare 3D-Animation angelegt wurde.

In der anschließenden Diskussion interessiert Michael Girke, was das eigentliche Therapieziel sei. Man kommt aber auch kurz auf die Form zu sprechen, die Farocki gewählt hat. Sind es die Mechanismen der Kunstwelt (des Kunstmarktes), die solche medialen Produkte, wie er sie hier präsentiert hat, hervorbringen? Fungieren die Kunstinstitutionen als Kunstmäzene? Farockis scheint hier einen recht pragmatischen Ansatz zu vertreten. Das Gute sei, dass die geldgebenden Institutionen Wert auf Neues legen. Wenn man ihnen gibt, was sie wollen, dann „kriegen wir sie“. (Meint er das wirklich subversiv?)

Ein Diskutant erkennt in „Virtual Iraq“ und ähnlichen Computerspielen einen doppelten Angriff auf die klassische Cinéphilie. Die Computergrafik greife uns sogar in unserer kinematographischen Vergangenheit an. Farocki wiederum kommt auf die Wirkungsmacht der Sprache zu sprechen. Dass die Macht der Bilder ihre Grenzen hat, das zeigt sich in den Szenen des Therapeutenseminars, wenn sich das sprachliche Zeugnis eines (gespielten) Patienten im Vergleich zu den Bilderfitzeln der Animation als viel suggestiver herausstellt. Über die Produktionsbedingungen mag der Regisseur nicht reden, das meiste sei eh „faule Bürokratie“. Nur so viel: wenn man mal da ist, ist alles kein Problem. Einer seiner Mitarbeiter musste zur Militärmesse nach Florida fliegen. Dort hat man dann Schnaps getrunken usw… Zum Schluss wird nach der Magie der Computerbilder gefragt. Liegt die vielleicht darin begründet, dass es sich um präemptive Bilder handelt? Der Gedanke gefällt Farocki.

 Harun Farocki © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Harun Farocki © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald