Film

Von der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange
von René Frölke
DE 2010 | 94 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
02.11.2010

Diskussion
Podium: René Frölke
Moderation: Werner Schweizer
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Jürgen wird als Kind zur Adoption freigegeben. Jürgen gilt als geistig behindert, aber förderbar. Jürgen malt. Heute werden seine Bilder ausgestellt. Jürgen erzählt. Seine Bilder erzählen. Seine Pflegemutter erinnert sich. Nach und nach verknüpfen sich die Fäden. 

Protokoll

Dieser fragmentarisch gebaute Film, der viele Vermutungen im Kopf des Zuschauers auslöst und Ahnungen, die aufkeimen und weitergesponnen werden, zulässt, der dem „Geheimnis“ Raum bietet und einen Gedankenraum schafft, den man gerne betritt; ein filmisches Familienportrait, das in seiner Ton- & Musikgestaltung den schwankenden Boden der Realität im Kinosessel spürbar macht, und so schlussendlich einen Nachhall auslöst, dem man selbst weiter nachspüren möchte…

…so ein Werk soll also aus purem Zufall entstanden sein und sich einfach so ergeben haben, wie René Frölke (sich und) uns immer wieder eingesteht.

Auf Anraten einer Produzentin aus Glücksburg wurde der Filmemacher auf eine Ausstellung im örtlichen Altersheim aufmerksam und filmte das Aufhängen der Bilder und den Aufbau der Ausstellung. Diese erste Begegnung mit Jürgen, wie alles um ihn herumwirbelt, und er selbst im Zentrum stehend ganz ruhig in diesem Treiben ausharrt, bildete den Auslöser zu diesem Film.

Von der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange ist (auch) eine filmische Arbeit über „Sprache“, wie diese wahrgenommen wird und wie sie Menschen trennen kann: die Künstlerin, die die Bilder von Jürgen fasziniert-betrachtend entdeckt und mit ihm über die Entstehung und die Farben fabuliert, als plötzlich die Mutter aus einem Nebenflur kommend interveniert und in atemberaubend einfältigen Aussagen ihren Sohn vor Künstlerin und Kamera bloßstellt, und ihn hier „behinderter“ macht als er in Wirklichkeit ist – aufgewachsen in der Sprachwelt der Mitte des letzten Jahrhunderts, als Begriffe wie „Landeskrüppelanstalt“ prägend waren für eine Kriegsgeneration, die noch die Euthanasie kennengelernt hatte.

Mehr Fragmente aus der Diskussion:

– die Verhör-ähnliche Kamerasituation und –Perspektive beim Gespräch mit der Mutter am Tisch, das als informelles Vorgespräch geplant war, und in der sie in unerwarteter Offenheit von der totalen Ablehnung durch ihre eigene Mutter erzählt (die selbst als 88- jährige am Sterbebett noch bestätigt, dass sie als Tochter nicht erwünscht/geliebt war); und wie sie dann in genau derselben Offenheit von ihrer eigenen Ablehnung des Pflegesohns Jürgen erzählt, der nur in der Familie verbleiben durfte, weil der Pflegevater in ihm so eine große Ähnlichkeit zur Pflegemutter, also zu ihr selbst, sah, was sie nun nochmals völlig schockierte, weil sie diesen Pflegesohn Jürgen so hässlich fand…

– dass dieses „Verhör“ der Mutter am Tisch schon konfrontativ aufgezeichnet wurde, indem die Kamera ihr ins Gesicht und die Augen schaut, während die Aufnahmen von Jürgen immer von unten, der Seite oder irgendwie abseits stehend erfolgten.

– der sprachlose Vater im Film, der nur in Schnappschüssen aus Paris und einem Foto der Fremdenlegion aufscheint, und der sich zum Ende hin vor dem Computer stillsitzend ein Lied der Fremdenlegion anhört: Hier liegt noch eine Geschichte darunter, die aber nicht erzählt werden kann, und deshalb in dieser Form nur kurz „anklinge“.

– ein präziser Gestaltungswillen im Film, der sich in der „modernen“ Musik fortsetzt: eine Musik, die selbst fragmentarisch gebaut ist und auf die man sich nicht wirklich „einstellen“ kann; und eine Musik, in der Abgründe anklingen. Die Musik-, Ton- und Geräuschgestaltung im Film sollte für Irritationen sorgen und Dinge auf den Kopf stellen – in Parallele zu E.T.A. Hoffmanns Novelle Der goldne Topf, einer Novelle, der auch der Titel dieses Films entstammt…

– noch mehr Irritation bei vielen Zuschauern, ausgelöst durch die Animation der Zeichnungen von Jürgen – auch hier hatte René Frölke wieder nur spielerisch probiert, bis diese Animationen für ihn irgendwann passten. Eine kompositorische Arbeitsweise, die den ganzen Film durchzieht, eine Arbeitsweise, die diesen Film nicht mit Bedeutungen aufladen sondern das Gucken und Entdecken fördert soll: Keine Assoziationsketten bauen, sondern Fragmente aneinanderreihen. Fragmente, die keine Antworten geben sollen.

Und am Ende steht so was wie das Happy End einer glücklichen Familie in Glücksburg. Und ein Satz von Joachim Ringelnatz aus „Ich habe dich so lieb“:

Die Löcher sind die Hauptsache in einem Sieb.