Film

Liebe Geschichte
von Klub Zwei (Simone Bader und Jo Schmeiser)
AT 2010 | 98 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
03.11.2010

Diskussion
Podium: Simone Bader, Jo Schmeiser
Moderation: Werner Schweizer
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Eine Aufarbeitung österreichischer NS-Vergangenheit aus weiblicher Perspektive: Töchter und Enkelinnen erzählen von ihrer Auseinandersetzung mit Tätern und Täterinnen in der eigenen Familie. Parallel dazu werden die Eckdaten des Umgangs mit NS-Geschichte im Österreich von 1950 bis 2010 skizziert.

Protokoll

Die Tätergeschichte des Nationalsozialismus ist männlich besetzt – erst im Verlauf der letzten Jahrzehnte rückte die Auseinandersetzung mit der weiblichen Täterschaft in den Fokus. LIEBE GESCHICHTE zeichnet den Versuch von Töchtern und Enkelinnen der Tätergeneration nach, das nationalsozialistische Erbe ihrer Väter und Mütter aufzuarbeiten.

Bader und Schmeiser befragen sieben Frauen zu ihren biographischen Hintergründen; jede hat sich bereits mit ihrer familiären Vergangenheit auseinandergesetzt, in einigen Fällen bildete sie den Impuls für eine wissenschaftlich-theoretische Beschäftigung mit nationalsozialistischer Thematik. Daneben formuliert der Film auch eine „Gesellschaftsgeschichte Österreichs der letzten 60 Jahre“ (Schmeiser): Die österreichische NS-Aufarbeitung kämpft seit der Republiksgründung mit dem „Opfer-Mythos“, der sich auf den „Anschluss“ Österreichs im Zuge des Einmarschs deutscher Truppen im Jahr 1938 beruft, Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus deklariert und somit die österreichische Schuld und Mittäterschaft relativiert. Kapitelartig unterteilt der Film sechs Dekaden, die mit der Abbildung spezifischer Orte verbunden sind. Bader und Schmeiser erläutern, dass die längeren Sequenzen architektonischer Abbildung als „Pause zum Nachdenken“ (Bader) für den Zuschauer dienen, die Öffentlichkeit dieser Orte jedoch auch für das Abfilmen der Interviews eine große Rolle spielte: Private Erzählungen dort anzulegen, eröffne die Frage danach, ob und inwiefern die Biografien der Frauen mit einem öffentlichen Interesse verbunden sind.

Auf die Nachfrage Schweizers, warum trotz weiblicher Perspektive der Film von der Thematisierung männlicher Täterschaft dominiert sei, antwortet Schmeiser, dass er einen Spiegel der Gesellschaft zeige: trotz Arbeit an der Sichtbarmachung weiblicher Täterschaft sind es nach wie vor Männer, an denen sich der Täterdiskurs abarbeitet. Schweizers Formulierung, Frauen seien mitunter „anfälliger“ für nationalsozialistische Ideologie gewesen, kann Schmeiser nicht zustimmen; allerdings habe diese Ideologie einen attraktiven Ort jenseits der Familie geboten, in welche sie sich nach Kriegsende wieder zurückziehen konnten und somit lange nicht in die Diskussion um Verantwortlichkeiten eingebunden waren.

Die Diskussion mit dem Publikum – ebenfalls männlich dominiert – dreht sich zunächst um den Begriff der Emotionalität. Kritisiert wird die formale Strenge des Films und das kontrollierte, teilweise theoretisierte Sprechen der Protagonistinnen, wodurch die Möglichkeit der Anteilnahme beschränkt bliebe, für einen Zuschauer sogar die Authentizität der Frauen infrage gestellt werde. Bader und Schmeiser berichten daraufhin vom Umgang mit ihren Protagonistinnen: Loyalität jenen gegenüber impliziere, sie in Momenten erhöhter Emotionalität zu schützen, beispielsweise mit einem strengen Konzept der Kadrierung, das auf die Fragen abgestimmt ist. Zudem sei jede der Frauen ein öffentliches Sprechen über das Sujet gewohnt, woher der Eindruck der kontrollierten Emotionalität stammen könne. Beide Regisseurinnen betonen jedoch, dass sie den Eindruck einer „Starrheit“ des Films nicht teilen können: Ein Sprechen über Familienstrukturen in dieser Form sei, gerade in Hinblick auf Ambivalenzen, denen Angehörige zwischen familiärer Verbundenheit und Wissen um vergangene Taten ausgeliefert sind, extrem schwierig. In bestimmten Momenten wurde deshalb bewusst auf ein „Nachbohren“ verzichtet und mit der vorhandenen Bereitschaft der Protagonistinnen gearbeitet.

Einem Diskussionsteilnehmer stößt die Thematisierung der Ambivalenzen besonders auf: der Film „öffne eine Tür“ zur Darstellung von Nationalsozialisten als „netten Großvätern“ und versperre den Blick auf sich fortschreibende ideologische Tradierungen. Neben starken Ablehnungsbekundungen seitens des Publikums und der Regisseurinnen betont Schweizer abschließend, dass der Film keinerlei Sentimentalitäten anreiße und äußert seine Ansicht bezüglich der angemessenen Korrespondenz von Form und Inhalt.