Film

Geysir und Goliath
von Alexander J. Seiler
CH 2010 | 52 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
03.11.2010

Diskussion
Podium: Alexander J. Seiler
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Markus Dewes

Synopse

Leben und Werk des Bildhauers Karl Geiser (1898-1957) in Ausschnitten aus seinem plastischen, grafischen und fotografischen Werk, aus seinen Briefen und Tagebüchern: Geiser par lui-même. Zerrissen zwischen Euphorie und Selbstzweifel, ein solitärer Steppenwolf. „Geysir“ nannten ihn seine Freunde.

Protokoll

Einen Film über einen „längst schon verstorbenen Künstler“ (Seiler) zu machen, von dem nur ein einziges O-Ton-Dokument erhalten blieb, kann als Herausforderung verstanden werden. Und so wurde aus dem Porträt eines Künstlers, eine sorgsam organisierte und radikal auf die Materialität der Kunstwerke hin orientierte Spurensuche.

Werner Ruzicka eröffnet die Diskussion mit Fragen nach der Motivation ein solches Projekt umzusetzen, welches zahlreiche methodische Wagnisse beinhalte. Die Abwesenheit von Originalmaterial führe zwar zu einem Defizit, weil keinerlei „Dokumente der Körperlichkeit“ (Seiler) vorhanden seien, aber der methodischen Herausforderung des fehlenden audiovisuellen Materials werde durch eine konsequente Organisation der schriftlichen und bildlichen Äußerungen Seilers in Form eines Off-Textes begegnet. Seiler erklärt, dass ihm Karl Geiser bis vor wenigen Jahren selbst noch gänzlich unbekannt war und dass er erst durch das Lektorat des Buchs „Karl Geiser – Fotografien“ seines Freundes David Streiff mit ihm vertraut wurde – wenn auch zunächst nur mit dem fotografischen Œuvre.

Hieraus entwickelt sich ein weitergehendes Interesse am Werk Geisers, welches neben der Fotografie auch Malerei und Bildhauerei, also drei verschiedene Kunstformen umfasste. Die Porträtierung sollte daher nicht entlang der theoretischen Überlegungen zu seinem bildhauerischen Schaffen vollzogen werden, vielmehr sollte die Beschäftigung mit dem „selbständigen fotografischen Œuvre“ dazu dienen, die „dokumentierte Existenz des Künstlers im eigentlichen Werk“ abzubilden. Die Motivation war, ein „konkretes Künstlerschicksal als Selbstbild“ (Seiler) darzustellen. Als zwei weitere Punkte, die seinen Entschluss für dieses Projekt verstärkt haben, nennt Seiler zum einen die biografischen Notizen des Enkels der lebenslangen Gefährtin und Vertrauten Geisers – Sasha Morgenthaler – sowie den reichen Archivfundus. Dennoch fehlte weitergehendes audiovisuelles Material vollständig.

Seiler führt seine Gründe für die Abkehr vom herkömmlichen Künstlerporträtformat aus, spricht von seiner Weigerung, „Talking Heads“ zu verwenden und seinen Zweifeln an der Sinnhaftigkeit der Zuschreibungs- und Beurteilungskriterien des „Hinterhers“, die nur die Autonomie des Künstlers beschädigen würde.

„Wo hast du den Menschen gefunden?“ Auf Ruzickas Frage nach der kraftvollsten Inspiration nennt Seiler erneut das fotografische Schaffen und die gelebte Radikalität des Künstlers, den er als antibürgerlichen Außenseiter und „sehr sozialen Mensch“ umschreibt. Ein Getriebener und Zerrissener, der sich an seinen Gegensätzen zerreibt, zwischen Einsamkeit und der Suche nach Zuwendung, zwischen seiner Knabenliebe und dem lebenslangen Begehren einer verheirateten Frau. Zwischen der widersprüchlichen Wahrnehmung innerhalb der Schweizer Kunst s zene, in der er einerseits als anerkannter Künstler galt, andererseits ein sehr unverstandener.

Die Frage nach der Methode, die das „Materielle im Film“ (Ruzicka) sichtbar macht, beantwortet Seiler folgendermaßen: Er nähert sich anhand der Fotografien den Skulpturen Geisers, macht die interdisziplinären Verbindungen zwischen den einzelnen Kunstformen sichtbar, deren Korrespondieren und gegenseitige Bedingtheit.

Die offene Päderastie des Künstlers kann man laut Ruzicka „nur mit hoher Delikatesse thematisieren“, was gelungen sei. Seiler führt mit großer Hingabe aus, dass die erotische Attraktion zwischen „Erwachsenen und Noch-Nicht-Erwachsenen“ heute eher tabuisiert ist als sie es zur Lebzeit Geisers war und durch die gegenwärtigen Missbrauchsdebatten sehr aufgeladen sei. Auch dass Liebe in „unserer audiovisuellen Umgebung größtenteils als Ware“ auftritt, wird durch ihn scharf kritisiert. Ruzicka unterbricht und steuert die Diskussion in Richtung des Begehrens von Sasha Morgenthaler. Und führt aus, dass er in den Fotografien, die Geiser von ihr machte, eine starke Sublimation zu erkennen glaubt, eine Spannung, welche in den Aufnahmen fast greifbar wird.

Themenwechsel: Seiler arbeitet den Widerspruch heraus, dass Geiser zwar zeitlebens ein anerkannter Künstler war, aber nicht aus der Schweiz herausfand und dessen einziger längerer Auslandsaufenthalt in Paris durch die Entlohnungspolitik der Schweizer Regierung unterlaufen wurde und abgebrochen werden musste. Er sei in der Folge „immer im Rückstand“ (Seiler) gewesen, die Aufträge, mit denen er sich versorgen konnte, hinderten ihn daran sich abzusetzen.

Die erste Frage aus dem Publikum zielt auf die Bedeutung des Davidmotivs. Seiler führt aus, dass der Jugendwunsch Geisers lange Zeit – zwei Dekaden – unerwähnt blieb und erst aufgrund einer Anfrage erneut sichtbar wurde. Er kann die Faszination für das Motiv trotz aller Beschäftigung und Auseinandersetzung nicht erklären – ebenso wenig die obsessive Arbeit an der Figur.

Ruzicka lenkt die Aufmerksamkeit auf die Offstimme, welche die Figur qua Stimme materialisiert und ihr „Sinnlichkeit und Differenziertheit“ beschert. Auch nach dem Sprecher Bruno Ganz und der Art der Kooperation wird gefragt. Seiler skizziert kurz die problemlose Zusammenarbeit (und rasche Aufnahme) mit Ganz, der im Stande sei die Stimme Geisers glaubwürdig zu verkörpern.

Ruzicka hebt die radikale Abkehr vom herkömmlichen Künstlerporträt hervor, wenn sich Seiler dezidiert dem Material und nicht dem Künstler zuwendet, ein Vorgehen, welches größtenteils auf dem Einsatz der Stimme basiert. „Wie hast du diese Stimme zu diesem Sprachkörper gemacht?“ Seiler führt aus, dass er beabsichtigte die Bildhaftigkeit des Werkes lesbar zu machen, welches sich durch seine fotografische Annäherung an Körperlichkeit auszeichnet. Ein Gedanke, der auch bei der letzten Publikumsfrage von Bedeutung ist, die den Zwischenschritt der Fotografie beim Entwurf seiner Skulpturen thematisiert und aufzeigt, dass in Geisers Werk Text, Fotografie und Plastik miteinander korrespondieren. Ein kurzer Exkurs umreißt Geisers politische Arbeiten, welche von manch einem Zeitgenossen aufgrund des fehlenden Pathos scharf kritisiert wurden. Und so endet eine Diskussion zu einem lange vergessenen Künstler, der erst spät seine Würdigung erfahren hat. Diese wird durch eine der abschließenden Szenen des Films bestätigt, als eine Totale den Ausstellungsraum durchmisst und sichtbar macht, wie verästelt, verzweigt und vielschichtig das Werk Seilers tatsächlich war.