Film

Totó
von Peter Schreiner
AT 2009 | 128 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 33
03.11.2009

Diskussion
Podium: Peter Schreiner
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Sven Ilgner

Synopse

Antonio Cotroneo alias Totó kehrt in sein kalabresisches Heimatdorf Tropea nach langer Abwesenheit zurück. Es geht um Sehnsucht, Zugehörigkeit und das Zuhören. Um Sagbares und Unsagbares. Um das Leben an sich, „… aber es ist verboten, dich zu zeigen, wie du bist“, sagt Totó.

Protokoll

BÜHNE IST IMMER BÜHNE

Peter Ott empfindet den Film als komplex und melancholisch. Die gefundene Melancholie wird er später dem Regisseur Peter Schreiner noch erklären müssen, zunächst geht es um die Komplexität. Ott beschreibt den Anfang des Films. Von einer Marienfigur in Zeitlupe wird auf Totós Augen geschnitten. Dann der Titel, Bahnschienen, eine Kurve, italienische Musik, Ankunft in Tropea und schließlich Ankunft vor dem Mozartsaal Wien, wo Totó arbeitet. Für Ott handelt es sich bei Totó um einen „räumlichen Hyperprotagonisten.“

Wie war das Verhältnis zwischen dem Regisseur und Totó?

Das Entscheidende ist die investierte Zeit. Eine erste gemeinsame Reise gab es im März 2007. Trotz der unterschiedlichen Biographien entstand eine große innere Verbundenheit zwischen Schreiner und Antonio alias Totó. Nur so konnte der harte Prozess der intensiven Beschäftigung miteinander gelingen. Es gab Krisen und Probleme genug, bei dieser “anstrengenden Grenzgängerei“ (Schreiner). Totós Ohrenleiden, sein Tinnitus, habe sicher auch psychische Gründe, der Druck war groß. Die Suche nach dem Einfachen in den Geschichten verband die beiden Männer. Als Arbeitstitel stand „Das einfache Leben.“

Peter Ott beschreibt die Satzfragmente, die „bodysounds:“ Ächzen, Räuspern, vorsprachliche Geräusche. Wie ist das entstanden? Wie viel des Gehörten war tatsächlich der Synchronton?

Zu Otts Überraschung nahezu alles. An dieser Frage offenbart sich bereits die Arbeitsweise Schreiners. Der Ton ist überaus wichtig. Dabei hilft es ihm oft, wenn er über Kopfhörer noch genauer hört und damit noch näher an Totó gelangt. Antonio selber durfte auch manchmal hören. Es war ein gemeinsames Lernen von Regisseur und „Hyperprotagonist.“

Die Bilder seien „obsessiv kadriert“ (Ott), das Gesicht Totós erscheine wie eine Landschaft. Ein Diskutant wird später davon sprechen, er habe quasi in die Poren der Haut gesehen. Welches Konzept stand hinter dieser Auflösung?

Die Antwort Schreiners überrascht und beruhigt. Es gab dieses Konzept nicht. Der Regisseur möchte sich frei machen von den Dogmen, von den starren Regeln und dem vorherigen Überbau. Er spricht wieder davon, wie wichtig es gewesen sei, Zeit zu haben. Außerdem war Totó nicht nur einverstanden mit dem Projekt, sondern er mochte es sehr. Ihm war bewusst, dass seine Biographie nicht viele derartige Möglichkeiten für ihn bereithalten würde. So entstand nach und nach auch immer mehr physische Nähe. Schreiner stellt fest, dass eine von Hand geführte und bewegte Kamera immer dem Blick des Kameraführenden entspricht. Die Kamera in Totó steht auf dem Stativ. Sie arbeitet von selbst. Es ist ein „Blick an sich.“ Es ist befreiend für den Regisseur und macht ihn zum „ersten Zuschauer.“

Ein Diskutant geht auf diesen Punkt ein. Welchen Blick sehen wir aber dann? Den eines Freundes durch den Sucher? Suspendiert der Kamerablick uns nicht von der Freiheit?

Schreiner beschreibt es nicht als seinen Blick auf Antonio sondern als „unsere Arbeit“. Die beiden Männer arbeiten gemeinsam vor der Kamera, ihrem Instrument.

Es stellt sich die Frage nach Vorbildern. Tarkowskis Nostalgia wird genannt. Peter Schreiner mag diesen Film. Wenn er auch nicht mit allen Arbeiten Tarkowskis einverstanden ist. Dennoch steht der Film in keiner bewussten Verbindung zu Totó. Außerdem geht Peter Schreiner selten ins Kino. Er arbeitet eher an seinen eigenen Projekten oder schaut zum Fenster hinaus.

Der Begriff der Dichotomie wird angesprochen, anhand des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Orten Tropea und Konzerthaus Wien.

Für Schreiner zeigt sich die Gespaltenheit Totós. Er fährt regelmäßig als Sommergast mit seiner Familie nach Tropea. Nach drei Wochen fragen seine alten Bekannten dann schon, wann er denn wieder abreise? Diesmal kehrte Antonio in kürzeren Abständen zurück. Er spürte seine Entfremdung von der Heimat. Es war ein neues Gefühl für ihn. Neue Intensität. Schreiner erzählt vom Sturm in Tropea. Es sei wie ein Zeichen gewesen. Als dann auch noch ein Mann mit einem Messer bewaffnet auf Schreiner zukam und das „Filmteam“ aufforderte zu gehen, schien das Ende erreicht. Die Dreharbeiten sollten ohnehin zwei Tage später beendet sein. Aus über 100 Stunden Material wurde dann ein 12stündiger Rohschnitt gefeilt.

Die empfundene Dichotomie wird noch einmal aufgegriffen. Wenn Totó mit ganzem Körper in der Halbtotalen im Konzertsaal gezeigt wird, dann ist das doch eine offensichtliche konzeptuelle Entscheidung? Sie funktioniert als Gegensatz zu den Übergroßaufnahmen?

Peter Schreiner ist ein Kämpfer gegen das Dogmatische. Es ist ein „Leiden“ wie er sagt. Fast hätte er daher den Konzertsaal als Ort des Films verbannt. So hat aber nun das scheinbare Konzept den Kampf gewonnen. Für den Regisseur sind die Filmbilder Bühnen. Auch die Großaufnahmen, auch die Totalen. „Bühne ist immer Bühne.“ Im Wiener Konzerthaus ging die Tendenz dann eben zu einer totalen Einstellung.

Peter Ott ist froh, dass das Wiener Konzerthaus Teil des Films bleiben durfte. Eben um die beiden Raumkonzepte zu empfinden, in denen Totó lebt?

Auf Konzeptfragen möchte Schreiner zu Recht nicht mehr eingehen. Er spricht lieber über Totó. Der Regisseur hat Zweifel, ob der Fussball, den sie finden, wirklich vor Jahrzehnten von Totó auf den Balkon geschossen wurde. Ein Zufall? Kein Zufall ist für Schreiner die Berufswahl Totós. Ein Ort der vordergründigen Hochkultur, das Wiener Konzerthaus, fungiert sicher als Projektionsfläche für die Sehnsüchte Totós, für das Unerreichbare in dessen Leben. Ein Diskutant möchte bemerkt haben, dass der Film Religiöses aussperre. Es ist nicht wahr, doch Schreiner will sich ohnehin nicht interpretieren. Da ist aber natürlich das Bild der Übermutter. Es ist passend positioniert im Land der mammoni, der Muttersöhnchen.

Eine Diskutantin fragt sich, wie die Gespräche zwischen den beiden Männern entstanden sind. War der Regisseur ein Stichwortgeber, ein Anstoß?

Er war es nicht. Und genau daran kann Schreiner seine Arbeit noch einmal verdeutlichen. Die Kamera funktioniert in seinen Augen wie ein Katalysator. So entstehen dann seine Situationen und, wenn man so will, „Gespräche.“ Filmen ist immer aktionistisch. Es ist immer ein aktiver Eingriff. Es ist nicht das Leben. Bühne ist immer Bühne.