Film

Schneeränder
von Nele Wohlatz
DE 2009 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 33
03.11.2009

Diskussion
Podium: Nele Wohlatz, Eva Hartmann (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Ein intimes Portrait der eigenen Großmutter. Die Rituale des Tagtäglichen: der morgendliche Cappuccino, der Gang zum Briefkasten, das Leben mit dem alternden Körper. Seit Jahren hält sie die Schlagzeilen der letzten Jahrzehnte und ihre persönlichen Erlebnisse sorgfältig fest. Eine reichhaltige Mischung. 

Protokoll

„Ein schöner Titel“

Wer einen ihm persönlich nahestehenden Menschen zum Gegenstand seines Filmes macht, trifft eine „delikate Entscheidung“. Wie kam es zur Filmentscheidung und „gab es so etwas wie Skrupel“? Mit dieser Frage eröffnet Werner Ruzicka die morgendliche Diskussion.

Nele Wohlatz erzählt: Die Tagebücher, die ihre Oma von 1987 bis 2001 geführt hat, waren der Ausgangspunkt für ihren Film. (Seit 2001 schneidet die Oma zwar weiterhin Zeitungsartikel aus, aber sie legt sie nur noch in ihr Buch und macht auch keine schriftlichen Aufzeichnungen mehr.) Während ihre Mutter „erschüttert“ von den Büchern war, fand Nele Wohlatz sie eher faszinierend, fast „wie Dadaismus“: Es geht in den Büchern um das Wetter, Luftfeuchtigkeit, Windrichtungen und die persönlichen Aufzeichnungen der Tagesabläufe, in einer eher anonymen, oberflächlichen Sprache. Ihre Oma führt diese Tagebücher schon so lange, hat aber selbst keine Erinnerung mehr daran, wie der Anfang dieses ‚Unternehmens‘ war. Gerne wollte Wohlatz „etwas mit den Tagebüchern machen“. So hat sie die Notizen abgeschrieben und einen Text verfasst, musste aber feststellen, dass sich in dieser Form die „Energie der Tagebücher“ nicht vermitteln ließ. Diese Erkenntnis brachte dann die Kamera ins Spiel und sie begann mit Filmaufnahmen. Schon in diesem Stadium hat sie die ersten Aufnahmen ihrer Kollegin Eva Hartmann gezeigt, die sie ermutigt hat, daraus einen Film zu machen. Warum die Großmutter diese Art von Tagebuch führt bzw. geführt hat, darüber kann man spekulieren und Thesen aufstellen. Das macht man möglicherweise als Zuschauer, das hat auch die Regisseurin für sich gemacht. Diese Thesen öffentlich zu formulieren heißt aber für Nele Wohlatz, sich „irgendwie schlauer“ zu fühlen. So werden in der Diskussion dann auch keine Spekulationen vorgenommen.

Werner Ruzicka greift noch einmal die Anfangsfrage auf, um die sich auch weitere Fragen aus dem Publikum drehen: „Einen nahen Menschen ‚ins Bild zu setzen‘ ist auch immer eine Form von Verrat“, auch wenn für Ruzicka selbst diese Formulierung „zu stark“ ist.

Es ist immer eine Abwägung zwischen der Entscheidung, „was man aus persönlichen Gründen nicht tut und aus erzählerischen Gründen doch tut“, sagt Wohlatz, die sich nicht schon beim Filmen zensieren wollte. Die Entscheidungen, was geht und was nicht, fielen dann im Schnitt. Der distanziertere Blick der Cutterin Eva Hartmann war da eine Hilfe.

So auch bei der Entscheidung, ihre Oma – wenn auch kurz – beim Ausziehen zu filmen. Denn diese Szene, die innerhalb des Films „klar und ruhig“ ist, so Ruzicka, und in der die „Hinfälligkeit des Körpers“ gezeigt wird, bewirkt auch einen „Schock“. Wohlatz und Hartmann waren sich einig, dass man diesen Moment erst am Ende des Films zeigt, um zu vermeiden, dass es darum gehen könnte, auf diese Art zu beeindrucken. Für beide ist es aber von Relevanz im Film auch den alternden Körper zu zeigen.

Die filmische Struktur fand Nele Wohlatz während der Arbeit am Film. Sie erzählt, dass sie sich „Sicherheitsnetze“ erdacht hatte, wie zum Beispiel mit Off-Texten zu arbeiten. Aber ihnen fehlte die „Intensität“. Ähnlich ging es ihr mit zwei Außendrehs, in der sie gemeinsam mit ihrer Oma gefilmt wurde. Diese Szenen hätte sie als Enkelin stärker thematisiert, wie sie es zu Beginn der Arbeit auch überlegt hatte: Da in der Wohnung seit einem Überfall eine Bewachungskamera installiert wurde, gab es die Überlegung, Aufnahmen dieser Kamera in den Film zu montieren. Wenn die Regisseurin selbst auf diesen Bildern zu sehen gewesen wäre, hätte sie sich selbst mehr in die Geschichte einbezogen. Für die Regisseurin entpuppten sich diese Bilder aber als Konkurrenz. Denn es geht ihr nicht um die Thematisierung ihrer Beziehung zur Oma, sondern um ihre Oma. So ist auch zu verstehen, dass sie nicht in Situationen eingreift, in denen ihre Oma/Protagonistin vielleicht Hilfe oder Unterstützung gebraucht hätte. – Die kam dann, als die Kamera aus war. Natürlich gab es trotzdem eine Kommunikation zwischen den Beiden – vielleicht etwas „knapper als sonst“. Aber nachdem die Entscheidung fiel, sich auf die Großmutter zu konzentrieren, war für Wohlatz klar, dass es keine Interviews gibt und eigentlich auch keinen Dialog. „Ein kleine Unsicherheit, wie das Verhältnis ist“ war trotzdem zu spüren. Die kann aber auch sehr schön sein, so Werner Ruzicka.

Zur formalen Struktur gehört auch die Frage der filmischen Darstellung der Wohnung. So wird dem Zuschauer nicht wirklich deutlich, wie groß die Wohnung oder wie die Raumaufteilung genau ist. Die Räume und die darin enthaltenen Dinge sollten nicht zu weiteren Protagonisten werden. Die Wohnung wird durch ihre Oma erzählt, so Wohlatz: Da ihre Oma sich immer weniger an etwas erinnern kann, werden die Räume so zu ihrem Kopf bzw. Gehirn. So ist zu erklären, warum die Oma nicht mehr aus der Wohnung will und selbst die Wege zum Briefkasten zu „Expeditionen“ werden. Daneben gibt es aber noch den „Selbstbehauptungswillen“ der Frau; Zum Beispiel wenn sie die Musikfrage: „Mozart, Beethoven oder Bach?“ stellt oder auch die Enkelin in den Dienst nimmt: “Reich mir mal das Foto!“ Für Ruzicka zeigt sich da auch die Kraft der Frau, die dennoch leidet an der fehlenden Vergangenheit. Von dieser Vergangenheit zeigt der Film einen kleinen Ausschnitt: Eine (kurze) Super 8-Sequenz, die „ganz wunderbar zum Titel des Films passt“. Nele Wohlatz sagt dazu: „Es erzählt genauso wenig oder viel über die Vergangenheit wie der Rest“.

Zu guter Letzt noch ein Statement zum Drehmaterial: Schneeränder ist auf Beta gedreht, in einem Drehverhältnis von ungefähr 1:35. Der Digitalisierung ist es zu verdanken, dass der Film so gemacht werden konnte, so Ruzicka. Nele Wohlatz sagt dazu, das sie ohne Film[material] „groß geworden“ ist und sie es gar nicht einsieht, sich von hohen Produktionskosten vereinnahmen zu lassen.