Synopse
Béla Bartók kehrte Jahr für Jahr in die Dörfer Siebenbürgens zurück, um nach alten Bauernliedern zu suchen, deren Melodien zu notieren und vor dem Vergessen zu bewahren. 100 Jahre später treten Musiker aus Siebenbürgen vor die Kamera und spielen die alten Weisen und Volkslieder.
Protokoll
Fragen aus dem Publikum?
Nein. Nagut. Peter Ott hat ja auch Geigenstunden genommen. Klassische Ausbildung! Dann reden wir über die „Anschreibung“ von Musik. Von Kittler und von Phonographen. Nein. Jan Lorenzen will sich stellen. Er möchte den Konflikt ansprechen.
Peter Ott übernimmt die Erklärung: Bis vor 85 Minuten wusste niemand von dem Off- Kommentar, der den Film bedeckt. Es ist ein Kommentar, der Orte und Situationen erklärt, er gibt Hintergrundinformationen. Besonders zur nationalistischen Wandlung Bela Bartóks. Dieses Thema war dem Regisseur wichtig. Die Wandlung sollte im Zentrum stehen. Jetzt steht sie im Text. Und der wird mit kräftiger Stimme pointiert vorgetragen. Es sind warme Worte.
Ott wirft die Frage in den Raum, ob der Film inklusive Kommentar auch den Weg in die Programmauswahl gefunden hätte. Jan Lorenzen bedauert die Situation, nimmt den Ball aber dennoch auf. Ja, Diskussionen um den Kommentar gab es auch innerhalb des Filmteams. Er war sich aber einfach sehr früh sehr sicher, dass der Film ohne Kommentar nicht verständlich sei. Es geht nicht ohne.
Nein? Das Publikum hat Vorschläge. Warum keine weiteren Interviews?
Lorenzen lehnt ab: Gut, es gäbe Historiker, aber Zeitzeugen? Vielleicht gibt es noch zwei, drei ältere Menschen irgendwo auf der Welt. Schwierig. Außerdem wird das Problem so nicht gelöst. Die nationalistischen Tendenzen Bela Bartóks. Ein Tabu.
Zeitzeugen? Ein Diskutant berichtet von der Bartók-Ausstellung in Duisburg. Zum 100sten Geburtstag. Dort sei Kontakt entstanden zur ersten Ehefrau sowie zu einer Tochter Bartóks.
Lorenzen stellt fest, dass diese Ausstellung ja 25 Jahre her sei, aus dem Jahr 1982. Peter Ott fasst zusammen: „Tempus fugit, ja, man unterschätzt das!“
Das Kommentar-Thema soll nun beendet sein. Peter Ott sei keineswegs ein „Fernsehhasser“ und er entschuldigt sich für das Kommunikationsproblem, das hier entstanden ist. Der Film habe unbestreitbar große Qualitäten, so der Moderator. Das sieht auch eine Diskutantin so. Sie lobt die „starken Portraitzüge“ und den liebevollen Zugang zu den Protagonisten. Einzig der Einstieg fiel ihr schwer.
Über die Visualität wird eventuell eine endgültige Versöhnung stattfinden. Und tatsächlich, der Kameramann Peter Badel erzählt von einem Phänomen, der Verabredung, als die Großmutter den sechsminütigen Trauergesang vollführt, während ihre Enkelin ruhig einen Karton mit Fotos aufräumt. Er erzählt, wie überwältigend und befreiend es war, als sie schließlich gähnt und diesen phänomenalen Moment beendet.
Wie findet man eigentlich solche Leute? Und die Bilder von Walzen, Phonographen, Enkeln von Musikern? War das nicht eine akribische, detektivische Recherchearbeit?
Nein. Bartók war sehr penibel. Er beschriftete alle Musikaufnahmen genau mit den Namen des Dorfes und der MusikerInnen. Als die Filmemacher vor Ort waren, wurden sie oft weitervermittelt. Es gab Empfehlungen. Bartók war ein wissenschaftlicher Angestellter mit dem Auftrag der Archivierung und daher sehr genau, wie ein Diskutant noch hinzufügt.
Es folgt ein Exkurs über die Konservierung von Kultur. Der Filmemacher berichtet von Scheinhochzeiten für Touristen und von einer Dame, die schon mit Schnapsflaschen und im frischen Trachtenkleid auf die „Leute vom Fernsehen“ gewartet habe. Letztendlich ist die Rettung die Bartók betreibt gleichzeitig der Tod der Kultur. Das Festhalten an der Kultur widerspricht dem natürlichen Prozess des Weitergebens. Wie steht es um die „Anschreibung“ Bartóks? Und wie geht man mit dem Wort „ursprünglich“ um?
Nein. „Das hat mit dem Film, den wir gemacht haben, nix zu tun!“ Kameramann Badel will den Konflikt nicht mehr aussparen. Der Off-Kommentar schwebt über allem. Auch über dieser Diskussion. Er möchte die Kraft des Films herausstellen. Sie sind, genau wie damals Bartók mit seinen Aufnahmegeräten, nach Siebenbürgen zu einer Entdeckungsreise aufgebrochen. Für jeden Produktionsleiter sei es eine Katastrophe, so zu arbeiten, denn manchmal hätten sie nur ein paar Landschaftsaufnahmen am Tag geschafft. Badel ist glücklich und stolz über die Reise, weil sie so „Bartók-like“ war.
„Also reden wir doch einmal über das, was wir gesehen haben!“, hört man aus dem Plenum. Es sind Bilder einer Reise, einer vorsichtigen Annäherung an die Menschen vor Ort. Von dem inneren Wandel Bartóks zum Nationalisten ist in den Bildern nichts zu sehen. Nichts. Aber es wird uns beschrieben. Und da ist er wieder. Der Kommentar.
Ein Diskutant verteidigt den Kommentar. Für ihn sei ein Basiswissen nötig, um den Film zu sehen. Das leiste der Kommentar doch!
Basiswissen? Der direkte Vorschlag eines weiteren Diskutanten: Eine DVD-Produktion mit anwählbarem Audiokommentar. Weniger polemisch formuliert ein dritter Diskutant: In diesen 85 Minuten steckten jetzt mehrere Filme, mindestens zwei! Es geht nicht um Bartók und seinen Wandel! Die Reise wird mit Behauptungen aus dem Off übertüncht.
Das Kommentarthema scheint die Diskutanten zu Anekdoten zu animieren. Zuerst wird von Bertolt Brecht und Ernst Busch erzählt, von einem Streit. Brecht wollte dass Busch einen Verbrecher spielt. Dessen Antwort: „Aber das haste nicht geschrieben!“ Ein weiterer Beitrag beginnt mit einer Anekdote von Truffaut. Da geht es um Mord. Der Diskutant möchte dem Kommentarsprecher den „Hals umdrehen“, weil er den aufgespürten Schatz, die „wunderbare und großartige“ Arbeit der Filmemacher zerstört. Der Kommentar sei schlicht „Nonsens“ und dann werden die Morddrohungen noch verschärft. Der Diskutant will den Sprecher dieses „Nerv-Kommentars“ nun nicht mehr schlicht ersticken, sondern noch qualvoller sterben lassen!
Die Filmemacher lassen die Drohungen im Raum stehen. Peter Ott berichtet, er habe ja auch Geigenstunden genommen. Klassische Ausbildung! Dann reden wir eben über Musikausbildung und die Besonderheiten Ungarns. Da wird den Musikschülern auch einfach mal „in die Finger gegriffen“ wenn sie den Ton nicht treffen. Es ist eine harte Ausbildung.