Film

The End of the Neubacher Project
von Marcus J. Carney
AT/NL 2006 | 74 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
10.11.2007

Diskussion
Podium: Marcus J. Carney
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Sven Ilgner

Synopse

Hermann Neubacher, Anfang der 30er Jahre Holzindustrieller und Mitglied der Nazi-Elite in Österreich. Marcus Carney macht sich an die Arbeit, das Leben seines Onkels zu durchleuchten. Dabei stößt er auf den schleichenden Verdrängungsprozess innerhalb der Familie. Während der Dreharbeiten erkrankt die Mutter an Krebs. Der Fokus ändert sich. Das Vorhaben bleibt. 

Protokoll

KLASSENTREFFEN IM HUNDERTMEISTERSAAL

Zur Diskussion zum Film The End Of The Neubacher Project finden sich viele der weiteren teilnehmenden Filmemacher der 31. Duisburger Filmwoche ein. Werner Ruzicka fragt zunächst nach dem Titel, der ja eher kalt und abgeklärt wirke, sei es doch ein derart persönlicher und emotionaler Film. Marcus J. Carney bestätigt, dass dieser Titel der Arbeitstitel war und nach der langen Produktionszeit auch zum Filmtitel befördert wurde. Ein Diskutant bemerkt die Doppelbedeutung, die er entdeckt habe. Nicht nur sei die Verarbeitung, das „Project“ mit dem vollendeten Film auf eine Art abgeschlossen, vielmehr zeige der Film auch das „Ende der Familie Neubacher“.

Ruzicka weist anerkennend auf viele Montagefolgen hin, die verschiedene Thematiken geschickt verbinden. Auf Bilder des Konzentrationslagers Mauthausen folgen Bilder vom Stephansplatz in Wien. Dorthin wird das Gedächtniskonzert zum 55. Jahrestag der Befreiung übertragen. Ein Gespräch mit einem Ehepaar entwickelt sich auf der Straße. Es sei ein „Sprung in die Gegenwart“ (Ruzicka), der Befangenheit erzeugt und sie nutzt.

Das Projekt zog sich über mehrere Jahre hin. Zu Anfang stand ein „studentischer Ansatz“, wie der Filmemacher sagt. Die Pitching-Sequenz entstand in Amsterdam beim Internationalen Dokumentarfilmfestival. Dort stellte er sein Projekt vor und fand auch seinen holländischen Produzenten, einen „Mentor“. Damals stand für ihn die nationalsozialistische Geschichte seiner Familie im Mittelpunkt, verbunden mit der „Österreichischen Krankheit“, die sich unter anderem darin äußere, Probleme mit Verarbeitung und Aufarbeitung der Vergangenheit zu haben. Als sich dann die schwere Krankheit seiner Mutter herausstellte, begann sich der Schwerpunkt zu verschieben. Am Ende gab es 72 Stunden Material. Lange Zeit war nicht klar, so der Cutter Georg Tschurtschenthaler, dass es sich um EINE Geschichte handele. Ursprünglich sollte die Krankheit einen Bereich abdecken, die Geschichte und der Umgang mit ihr, sei der zweite Teil gewesen. Somit entstand eine Verbindung von Vergangenheitsbewältigung und Begleitung der Ereignisse in der Gegenwart. Die erste Einstellung des Films sei eine Szene, sagt Carney, es gebe eine innere dramaturgische Entwicklung. Inhaltlich handelt es sich um einen Vorgriff. Carneys Mutter ist bereits schwerkrank, das Bild brennt sich in das Gedächtnis ein. Es wird wieder aufgegriffen werden.

Carney ist sicher mit dem Projekt gewachsen. Stefan Kolbe fragt offen ausgesprochen, warum er an der Therapiesitzung des Autors habe teilnehmen müssen. Carney sieht den Film allerdings nicht als Therapiesitzung. Vrääth Öhner pflichtet ihm bei. Man wohne vielmehr einem individuellen Prozess des Filmemachens bei. Ein Diskutant ist der Meinung, der Übergang vom Individuellen zur generellen Bedeutung des Themas sei doch offensichtlich und die Kritik nicht nachzuvollziehen.

Ruzicka weist auf das Zitat hin, der Film suche einen Weg des Filmemachers, seine Mutter zu lieben. Die Mutter sei im Laufe des Projekts von der Antagonistin zur Protagonistin geworden. Er könne erst jetzt die Radikalität seiner Mutter darin erkennen, in den 60er Jahren mit einem Amerikaner, einem „Erzfeind“ verheiratet in die USA gegangen zu sein. Sie erfuhr erst nach der Beerdigung des Vaters von dessen Tod. Diese fehlende Trauerarbeit und gezwungene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bezeichnet der Filmemacher als ein „Gummiband“, dass seine Mutter zurückgezogen hätte. Zurück nach Europa, zurück in die Vergangenheit.

Im Zentrum der Diskussion stehen aber immer wieder die beiden Interviews mit Carneys Großmutter und seinem Onkel:

Der Onkel hätte ihn mit den Worten begrüßt, für ihn „als Amerikaner“ sei es sicher nicht leicht, dieses Thema filmisch umzusetzen. Im folgenden Interview überrascht der Onkel ihn mit Zweifeln am Holocaust. Carney meint, er hätte, wie ein „Idiot“ darauf reagiert, er hätte nämlich versucht, zu argumentieren. Im Interview mit seiner Großmutter fordert er sie auf, doch sitzen zu bleiben und das Gespräch weiterzuführen. Sie hatte vorher gesagt, sie wüsste nicht, was sie tun solle. Man würde sie ja doch wieder als Nazi wahrnehmen.

Einige Diskutanten zollen ihren Respekt für diese Interviews. Es kommt die Frage auf, ob der Filmemacher wirklich von den Ereignissen und den Aussagen überrascht worden sei. Chris Wright und Stefan Kolbe zweifeln diese Überraschung an, vor allem weisen sie aber darauf hin, dass die Interviewten keine Möglichkeit bekämen, sich zu „wehren“. Für sie hätte der Autor den Befragten Fallen gestellt. Es sei kalkuliert und „klar, was du dir abholst“ (Kolbe). Die Frage sei aber, was am Ende tatsächlich von dem Film abfiele. Ein Diskutant beschreibt es als Verhörsituation, von „Befehlston“ ist die Rede. Man bekäme nicht das Gefühl, dass ein Neffe oder Enkel frage. Es hätte auch „irgendjemand“ fragen können. Eine weitere Diskutantin zeigt sich wiederum beeindruckt. Der innere Konflikt des Filmemachers sei offenbar, die Umsetzung nähere sich den Menschen an und mache sie erst dazu. Auch Thomas Hämmerli lobt den Film. Er sehe sich selber als „selbsttherapeuthischen“ Filmemacher und die „Überindividualisierung“ des Films sei eindeutig und notwendig. Philip Scheffner zeigt sich ebenfalls beeindruckt, kann die Kritikpunkte aber nachvollziehen. Die Methode Carneys ginge einen Schritt zurück, der Konflikt entstünde klar in der Interviewsituation. Es entstehe ein „sympathisches Unwohlsein“. Man entwickele selbst Sprachlosigkeit durch die Reaktion des Filmemachers auf die Aussagen des Onkels.

Die Zeit zwingt die öffentliche Diskussionsrunde zunächst an ihr Ende.

Die Gespräche gehen weiter.