Film

Unser täglich Brot
von Nikolaus Geyrhalter
AT 2006 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
10.11.2006

Diskussion
Podium: Nikolaus Geyrhalter, Wolfgang Widerhofer (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Kühle, unkommentierte Bilder der industriellen Nahrunsmittelproduktion. Das was man weiß, aber sich doch nicht vorstellen kann, dass Küken und Paprika Objekte eines effektiven, entnaturisierten Produktionssystems bilden, wird hier vor Augen geführt: Rationalisierung, Funktionalisierung, Massenproduktion und die schwache Kreatur. Keine Science Fiction.

Protokoll

Ein Aufsuchen von Zonen mittels Bilder, die nicht an konkrete Orte gebunden sind. Keine Situierung des Gezeigten. Keine Infos, keine Zahlen. Unser täglich Brot interessiert „die Welt dahinter“ – die vereinheitlichte Nahrungsmittelproduktion. Deshalb spielt auch die Verortung einzelner Produktionsstätten keine Rolle. Austauschbarkeit der Betriebe. – Ein Vertreter einer Branche wurde angeschrieben, erklärte er sich nicht bereit das Filmen zuzulassen, wurde der Regisseur anderswo fündig. So kommen Drehorte in ganz Europa zustande.

Paralleles Drehen und Schneiden ermöglicht innerhalb des fortlaufenden Arbeitsprozesses die jeweilig „fehlen-den“ Aspekte zu erkennen und die geeigneten Bilder zu suchen – z.B. die aufkommende Idee, die Produktion von „Standardchicken“, wie sie in allen Handelsketten zu finden sind, zu dokumentieren: Man sucht sich eine Hühnerfarm. Die Betriebe in der EU sind so fortschrittlich wie Geyrhalter sie in seinen Bildern zeigt. Einhalten der Normen ist Pflicht. Durch die Auswahl der Betriebe wurde nichts geschönt.

Zu Beginn der Dreharbeiten entstehen zahlreiche Interviews. Keins davon ist im Film enthalten. Geyrhalter und Widerhofer machten die Erfahrung, dass sich während Rohschnittsichtungen den Zusehenden „die Bilder dazwischen“ viel stärker einprägten als die erzählten Geschichten. Was würde man sich denn als Zuschauer an Infos wünschen, wo alles so wahnsinnig komplex ist? Der Filmemacher beantwortete die Frage mit: „Nichts.“ Es wäre zu billig gewesen mit Zahlen zu klotzen, „einen Bösen“ zu benennen und dadurch einen Ausweg zu bieten. Warum durch Infos jemanden als den Schuldigen innerhalb der Produktionsprozesse definieren, wo doch auch sonst jeder seine eigenen Schlüsse zieht? In diesem Entscheidungsprozess wurde Geyrhalter von seiner Umgebung zum radikalen Weglassen unterstützt, auch die Redakteurin Inge Classen ermutigte ihn.

Ohne Text ist Unser täglich Brot in alle Richtungen offen. Er spricht zwischen den Zeilen.

Beeindruckende Bilderarrangements. Schöne Settings, hoch ästhetisiert. Zwangsläufig drängte sich Geyrhalter durch die vorgefundenen Orte eine zentralperspektivische Komposition der Bilder auf.

Nicht jeder im Publikum will oder kann zwischen den Zeilen lesen. Journalistische Arbeiten können andere machen, aber was der Film nicht erzählt – verschweigt er es nicht zugleich auch? Wie wäre es mit den „Standardchicken“? – Die würden in den Produktionen nach 8-10 Wochen geerntet, wo sie normal aufwachsend zwei Jahre bräuchten, um die gleiche Reife zu erreichen. Warum etwas als schön zeigen, wenn man es nicht als schön empfindet? Die Intention des Films kann nachvollzogen werden – trotzdem sprechen die Bilder diesbezüglich nicht „für sich“.

Der Filmemacher will durch die Lücken Neugierde erzeugen, Fragen aufwerfen. Die Faszination am Gesehenen, an jenen Parallelwelten vermitteln, auch wenn man es nicht unbedingt mag (Widerhofer). Der Film ist ein Angebot. Wer Interesse hat, holt sich die Infos heutzutage übers Internet. Bei manchen jedoch hinterlassen die Bilder keine Fragen, scheinen alle Bilder – sichtlich konstruiert und wirklich schön – zu rufen: guck mich an, ich bin ein Bild! Reicht da nicht ein Fotoband?

Unser täglich Brot – Ein gelungener Titel, der eine sakrale Komponente eröffnet. Das Wort „gottlos“ tritt während des Sehens ins Nachdenken. So hieß der Film bereits als Arbeitstitel, worüber Geyrhalter anfänglich unglücklich war. Der Titel verweist auf den Folgesatz des Vater Unsers, die tägliche Schuld.

Imposante Bilder. In ihnen spiegelt sich die Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis den Schrecken zu bannen und ihn zu ästhetisieren. Unterliegt der Film vielleicht deshalb seinen eigenen Strategien? Warum wird die Schönheit eines Sonnenblumenfeldes nur gezeigt, um es gleich wieder zu brechen, und lässt positive Gefühle in Unbehagen kippen? Die Antwort ist in der Frage enthalten. Ist denn eine Monokultur per se schön? fragt Geyrhalter verdeutlichend – oder die Zweckbauten mit all ihren Symmetrien? Die Fragwürdigkeit der Ästhetik ist in den Bildern impliziert. Man kann das System durch die Bilder begreifen, das System der Lebensmittel-produktion, des Schlachtens, Erntens, Abfertigens.

Für manche kommt die Botschaft klar rüber. Jede Pflanze, jedes Tier wird gequält. Die Bilder können die Zuschauer quälen, ohne „Inseln“ zu bieten. Gefühle – wie vom Bulldozer überfahren. – Das ist eine Strategie des Filmes, dieses Ausreizen im Zeigen.

Die Bilder erscheinen als „klinischer Blick“, nicht wertend – nach all den ganzen TV-Bildern, die das Hässliche manifestieren und sich im Gedächtnis eingebrannt haben. Geyrhalters Bilder rufen nicht Ekel, sondern Schrecken hervor – wegen der Gewalt, die permanent mitschwingt.

Symmetrien der Gebäude und Landschaften spiegeln sich in Symmetrien des Kamerablicks. Zentralperspektiven.

Manchmal – in den Subjektiven – wird die Kamera zum opérateur. Sie organisiert und interveniert, indem sie z.B. den Blick eines Fahrers übernimmt. Es entsteht eine andere Perspektive des Erzählens, die als Nahtstelle des Menschen beim Sehen hilft. Der Mensch ist vom Jäger und Sammler zum Dominator geworden, maschinenhaft. Die Erinnerung an das Früher blitzt auf, wird in der Quantität jedoch erschreckend. – Geyrhalter geht es natürlich auch um die Menschen. Er hat ihnen und ihrer Arbeit gegenüber großen Respekt. Und doch wollte man über Interviews, über Text und Empathie, den Zuschauern keinen Handschlag bieten. Es wäre eine Rückzugmöglichkeit, die der Film bewusst verweigert. Der Schrecken liegt im Anonymen.

Grausame Assoziationen durch Bilder der Maschinen. Tötungsmaschinerie. – Maschinenbilder als Denkmal verloren gegangener Arbeit. Der Mensch wurde ersetzt. – Die Bilder regen das Nachdenken an, erzählen über menschliche Utopien und Erfindungsgeist, im Positiven wie im Negativen. – Assoziationen zu Allan Sekulas Hafenbildern: er kontrastierte die menschenleeren Bilder (Menschen sind dort durch Maschinen ersetzt) mit Bildern streikender Hafenarbeiter, als es sie noch gab. Ein Verweis politischer Ökonomie. – Dann eher James Benning als Bezug, meint Widerhofer. Die Maschine versucht ins Denken des Publikums vorzudringen. Einen Kontrast ähnlich Sekulas wollten sie nicht erzeugen.

We feed the world, auch ein österreichischer Film, informiert. Die Regisseure wussten voneinander. Aber die filmischen Ziele sind gänzlich anders. Keine Konkurrenz, eher Verweismöglichkeit für Menschen mit Informa-tionsbedarf. We feed the world hinterlässt Sentimente, wo Unser täglich Brot das Bildergedächtnis prägt.

Ein Einwurf. Suche nach Parallelität zwischen Filmproduktion und Lebensmittelproduktion. Den Produktions-achsen folgend werden die Bilder der Möglichkeit beraubt, etwas Eigenes zu finden. Sie vermitteln keine eigene Position. Auf massenhafte Lebensmittelproduktion die Reaktion massenhafter Bildproduktion. Was das System mit uns macht, bleibt im Film gänzlich außen vor. Dagegen verwehrt sich Geyrhalter. Jedes seiner Bilder ist subtil arrangiert. Warum sollte er ausbrechen aus der Zentralperspektive? Der Vergleich hinkt. Unser täglich Brot bildet innerhalb eines künstlerischen Rahmens die Lebensmittelproduktion ab. Eine unterstützende Bemerkung: Kritik zeigt sich deutlich gerade durch die Anhäufung und Übertreibung.