Film

Balkan Champion
von Réka Kincses
DE 2006 | 89 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
07.11.2006

Diskussion
Podium: Réka Kincses, Jakob Wehrmann (Kamera, Ton)
Moderation: Margarete Fuchs
Protokoll: Nina Selig

Synopse

„Ich befinde mich politisch auf dem Parkplatz“, sagt Elöd Kincses bei seinem 5. Versuch, als Unabhängiger in das rumänische Parlament gewählt zu werden. Seine politische Laufbahn ist von Unwegsamkeiten gezeichnet, den einen gilt er als opportun, den anderen als extrem. Die Tochter rekonstruiert seinen Werdegang, kämpft sich durch die Familiengeschichte und nimmt sie schließlich in die Hand.

Protokoll

Die Beschäftigung mit der Geschichte des eigenen Vaters setzte für Réka Kincses ein als dieser nach den gewaltsamen Ausschreitungen vom März 1990 von Rumänien aus ins ungarische Exil gehen musste. Die erste Idee, die ehemaligen, ebenfalls der ungarischen Minderheit angehörenden Wegbegleiter des Vaters zu interviewen, sie zu fragen, warum sie den Vater verraten oder nicht weiter unterstützt haben, wurde dann als die Möglichkeiten bereit standen, durch ein sehr persönliches familiäres Portrait erweitert.

Die Figur des Vaters, Elöd Kincses, stand zunächst im Mittelpunkt der Dramaturgie, die, wie von Margarete Fuchs beschrieben, von außen (politische Umstände) nach innen (familiäres Umfeld) führt. Für Réka Kincses waren zunächst die politischen Umstände ausschlaggebend für den Film, der dann zunehmend persönliche Komponenten bekam und den Vater (u.a.) dadurch immer weniger als eine „Heldenfigur“ darstellt.

Die Streitszene mit der Mutter, die von allen Diskutanten als Schlüsselszene in der Wendung hin zu einem Film empfunden wird, der immer mehr zur persönlichen Auseinandersetzung der Regisseurin mit ihrer eigenen Familie gerät, ist auch Réka Kincses sehr wichtig. Sie ist, so erzählt sie, spontan entstanden und ungeschnitten in den Film übernommen und spiegelt nicht nur die Drehbedingungen (enger Kontakt aller am Set Beteiligten zur Familie, nicht nur räumlich). Sie führte auch zu der Auseinandersetzung mit dem Vater, in der seine Verweigerung aller Fragen an seine ehemaligen politischen Wegbegleiter von der Regisseurin zur Hauptmotivation des Films erklärt wird. Dieses Motiv sei ihr in der Szene deutlich geworden und verstärkt weiter die durch die Erzählstimme von Beginn an vorhandene persönliche Ebene des Films.

Die Mutter wird von Kincses als hervorragende Dramaturgin bezeichnet, die intuitiv und stark in den Szenen in der Wohnung mitspielt, die, so Werner Ruzicka, an ein Kammerspiel erinnern. Die schon oben erwähnte Streitszene, so die Regisseurin, hätte allerdings, alleine durch eine Provokation ausgelöst nicht funktioniert. Schwächen würden sonst in der Familie durch Humor überspielt, was sich aus der Erfahrung heraus, in einer Diktatur gelebt zu haben, erklären ließe.

Der Ausbruch der Mutter wurde, obwohl er den manchmal zwischen Rumänen und Ungarn herrschenden Hass unverhohlen zeigt, vom rumänischen Publikum nicht als rassistische Äußerung, sondern jene einer ‚aufrechten Person’ aufgenommen. Was aufgrund der aktuellen politischen Diskussionen in der rumänischen Presse viel mehr Aufmerksamkeit fand, war die Äußerung des Vaters, dass er den Verdacht hege, dass einige seine ehemaligen Wegbegleiter aus der Ungarischen Union für den rumänischen Geheimdienst (Securitate) gearbeitet hätten.

Die Beziehung der Eltern wird u.a. anhand der sechsjährigen Trennung durch das Exil diskutiert. Eine Diskutantin aus dem Publikum bemerkt, dass die Mutter, mit ihrem Entschluss in Rumänien zu bleiben, ein Bild von sich zeichne, das nicht den Klischees einer Ehefrau entspreche. Kincses beschreibt außerdem, wie wichtig der Mutter ihr Beruf ist, den diese als einen Grund ihres Entschlusses auch im Film anführt.

Balkan Champion lässt sich als ein familiäres Psychogramm lesen, die Umarmung der Regisseurin durch ihre Schwester nach der „familiären Endabnahme“ ein psychotherapeutisches Moment vermuten. Die Schwester wird auch von anderen Diskutanten vor allen Dingen aufgrund eines weiteren, so empfundenen Schlüsselmoments als wichtige Figur des Films empfunden. Sie bringt den Vater in einer Diskussion dazu, ihr mit einer väterlichen, zärtlichen Geste über den Kopf zu streichen.

Freundschaft, Familie, Enttäuschung und Verrat werden von Kincses nicht nur im privaten, persönlichen Umfeld angesiedelt. Sie wollte mit ihrem Film vielmehr auch zeigen, dass sie in der Politik auf gleicher Weise Entscheidungen beeinflussen können.

Die Regisseurin sagt abschließend, dass ihr Vater ein sturer Idealist sei. Sie habe in dem Moment begonnen, die Idee eines Films umzusetzen, als ihr Vater beschloss, zum fünften Mal für den Landtag zu kandidieren. Seine Erfolglosigkeit sieht Kincses u.a. darin, dass er seinen alten Wegbegleitern und potentiellen aktuellen Unterstützern nicht verzeihen kann. Er sei vielleicht ein besserer Menschenrechtler als ein Politiker.