Film

Technik des Glücks
von Stefan Kolbe, Chris Wright
DE 2003 | 68 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 27
08.11.2003

Diskussion
Podium: Stefan Kolbe, Chris Wright
Moderation: Margarete Fuchs, Werner Ružička
Protokoll: Malte Krückels

Protokoll

Schmerzfreies Montieren

Gleich die Eröffungsfrage von Margarete Fuchs nach Motiv/Anlass für diesen Film führte über sich selbst hinaus, da die Antwort bereits zentrale Aussagen über Struktur und Aufbau des gesamten Films enthielt. Der Autor und Kameramann Stefan Kolbe berichtete von der Ausgangsidee, in Ostdeutschland zwischen Halle und Dessau auf die Suche nach dem „Leben nach der Arbeit“ zu gehen. So landeten die beiden Filmemacher in einer Siedlung neben dem ehemaligen Kohlekraftwerk Zschornewitz und drehten dort drei Wochen. Allerdings fanden sie nur „Bilder vom Nichts“, bis sie auf die ‚alten Strukturen‘ (Sportvereine, Schrebergarten- und sonstige soziale Gemeinschaften) trafen und anfingen, dort entstandenes Amateurfilm- und -videomaterial zu sichten. Ergänzt haben sie diese ‚Filmstücke‘ dann um Texte (d.h. Lieder, Filme, Gedichte) aus dem lokalen Umfeld des Kraftwerks und um ihre eigenen Aufnahmen – die Stefan Kolbe „Postkartenbilder“ nennt. Es sind statische Einstellungen, auf denen i.d.R. keine Menschen erscheinen.

Gerade diesen Bildern sprach Werner Ruzicka eine strenge, kalte Widerständigkeit zu. Außerdem dokumentierten sie das Problem, eigentlich keine Bilder gefunden zu haben, und durch die collagierende Montage sei das Problem sogar – auf sehr gute Weise – filmisch aufgehoben. (Und es ließe sich ergänzen: Sogar im guten, alten dreifachen Sinn von ‚elevare‘, ‚conservare‘ und ’negare‘.)

Zu einem Diskussionspunkt avancierte dann die Frage nach der Funktion und Notwendigkeit der Erzählung bzw. Off-Figur ‚englischer Fliegerenkel‘. Während Werner Ruzicka diese Instanz für überflüssig hielt (was sich auch in der im Laufe des Films ständig geringer werdenden Präsenz der Figur/Kommentierung zeige), verteidigten die Autoren den Einsatz dieser fiktionalen Figur, die teilweise auktoriale Positionen einnimmt. Erstens hätte eine Brücke gefunden werden gemusst zwischen dem fremden und dem eigenen Material. Und eine solche Instanz „mache das Montieren schmerzfrei“. (Später ergänzte Stefan Kolbe noch, dass die Figur die Distanz gebe, „über fremdem Material zu fliegen“.) Zweitens sei es einfacher (oder nur so möglich?), das Material zu narrativieren. Zweieinhalbtens ließe sich auf diese Weise, eine politische Kommentierung vornehmen, die deshalb „plump sein kann“, weil sie eine Aussage einer mit den lokalen/politischen Verhältnissen in der DDR/BRD nicht wahnsinnig gut vertrauten Figur ist.

Werner Ruzicka entgegnete zweierlei und zwar, dass erstens so das Vertreten eines Standpunkt, das die Regisseure explizit für sich reklamieren, an den Fliegerenkel delegiert worden sei und dass zweitens es neben dem Fliegerenkel ja einen Anchorman für die Geschichte gegeben habe, jenen filmenden Werner mit seiner ‚Lokalberichterstattung‘. Diesem Anker hätten die Autoren anscheinend nicht getraut – was sogar dazu geführt hat, dass der andere Anker (nämlich der englische Fliegerenkel) besagten Werner sogar an einer Stelle des Films denunziert.

Aus dem Publikum kam die Ansicht, dass der Fliegerenkel ein gelungenes Verfahren darstelle: So sei ein Ausflug in die Vergangenheit möglich. Gleichzeitig würden die beiden verschiedenen Klammern/Anker (Werner und Fliegerenkel) ein Oszillieren zwischen absurd-tragischen und humoristischen Momenten erst ermöglichen – ein quasi Beckett’sches Prinzip.

Eine ganz originelle Erklärung für die (auch noch ausgesprochen häufige) Verwendung der h- Moll-Messe von Bach hatte Chris Wright zu bieten: Nicht nur, dass während der Dreharbeiten das Bachjahr war und Bach „aus der Gegend kam“, sondern dass Bach als kleiner Mensch auf der Erde, der hoffend nach oben schaut, durchaus vergleichbar sei mit den anderen kleinen Menschen im Film, die auf ihr Glück hoffen. Und so ließen sich auch die kirchenlateinischen Einblendungen erklären: Sie seien einfache Textfragmente aus der Bach-Messe.

Und dann war’s zum Schluss mal ganz andersherum: Nicht das Publikum fragte, sondern die Regisseure: Und zwar wollten sie wissen, ob man den Film hier im tiefen Westen hätte verstehen können – es handelte sich um die Uraufführung in den alten Ländern. „Kein Problem“ war ziemlich einhellig der Tenor: Gerade im Ruhrgebiet gäbe es viele Parallelen: Industrieabbau, filmische Dokumentation von Alltags-/Arbeitsleben seitens von Amateuren oder auch die humanitäre Art von kollektiven Verarbeitungsprozessen.