Film

Erkennen und Verfolgen
von Harun Farocki
DE 2003 | 57 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 27
07.11.2003

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Fred Truniger
Protokoll: Malte Krückels

Protokoll

Diese Bilder zielen auf uns

Reclaiming the pictures

Mit den operativen Bildern sei es so ähnlich wie mit den pornografischen, stieg Fred Truniger in die Diskussion ein. Sie seien schwierig zu charakterisieren, aber wenn man sie sieht, erkennt man sie. Harun Farocki stimmte teilweise zu, glaubt aber doch, dass der „Unterschied, für wen die Bilder gemacht sind“ auch in einer graduell unterschiedlichen Ästhetik erkennbar sei. Der Begriff „operative Bilder“ sei eine Analog-Setzung zum von Barthes in seinen „Mythen des Alltags“ entwickelten Begriffs des „operativen Sprechens“.

Obwohl diese operativen Bilder auch Kontrollbilder sind, stimmt doch die im Film aufgestellte Behauptung: ‚Diese Bilder zeigen nicht den Produktionsprozess; sie sind Teil desselben.’ Insofern, als auch die menschliche Kontrolle ein Teil des Produktionsprozesses ist.

Die These aus dem Publikum, dass die Gewalt (in Form von Kameras in Raketenköpfen) in den Blick (in die Bilder) gewandert ist, spezifizierte der Filmautor dahingehend, dass es sich um Gewaltbilder im technokratischen Sinne handele – zerstörte ‚Objekte’ statt zerfetzte Leiber. Interessant an den operativen Bildern, die zum ‚pattern recognition’, auf das ständige ‚Einzeichnen’ von Hilfslinien als Markierungen von Objekten angewiesen sind, ist die erzeugte Gegenwirkung: Weil das Bild nichts als eine Grundlage der Objekterkennung sein soll, will man es gerade als Bild verstehen.

Moral und Politik für Anfänger (und Fortgeschrittene)

Es passiert ja mal gerne, dass man die Welt in moralischen Kategorien beurteilt – aber oft passiert es auch, dass das nicht unbedingt weiter hilft. So zum Beispiel der Vorwurf, der Film reproduziere die technische Perfektion und zeige einen „chirurgischen Krieg“, den es nicht gebe. Der Autor versuchte seine politischen und soziologischen Fragestellungen dagegen in Anschlag zu bringen: Der Film thematisiere die Menschenleere, die Kaskade des ewigen Erfolgs und die strukturelle Pressezensur („In so einer Rakete ist halt kein Platz mehr für einen Reporter, der unabhängige Bilder macht.“). Gleichzeitig dürfe man aber sich nichts vormachen: Die Waffenindustrie kann nur mit ‚humanitären Kampagnen’ in Zukunft Erfolg haben – es geht ihr nicht darum, menschliche Opfer zu produzieren (obgleich sie sie natürlich billigend/missbilligend in Kauf nimmt), sondern (kapital-)logischerweise um die Sicherung von Profiten.

Auch die emphatisch vorgetragene Erkenntnis, dass die Saudis von den USA im ersten Irak-Krieg mit gefälschten Satellitenbildern dazu gebracht worden seien, die Stationierung von US-Soldaten zuzulassen, konnte Harun Farocki nicht wahnsinnig schocken: „Einfache (also nicht strukturelle) Fälschungen gibt’s immer.“

Die Beunruhigung darüber, wie man als Mensch in operative Bilder (z.B. von Überwachungskameras) eingeschrieben ist, konnte der Autor teilen: Mit Virilio ließe sich davon sprechen, dass die Bilder auf uns zielen. Und zwar als Progaganda der Rationalisierung und „Weltplanierung“.

Ausgehend davon, dass (in manchen marxistischen Analysen) der Krieg als relevanter Motor der Entwicklung der Produktivkräfte gedeutet wird, erläuterte Harun Farocki die Aussage im Film, dass es in Zukunft vielleicht möglich sei, auf reale Kriege zu verzichten. So sei es so, dass die IT- Industrie ihre Produktivitätssteigerungen und Rationalisierungsschübe nicht mehr von

‚außen’ (z.B. durch und in Kriegen) verordnet bekomme, sondern dadurch, dass sie sich selber Konkurrenz macht.

Den im Film herausgestellten Gegensatz zwischen der ‚Distanzwaffe Rakete’ und der ‚Antidistanzwaffe Selbstmordattentäter’ relativierte der Autor insofern, als dass er auch die Raketen’verwendung’ als “geistiges Kamikazetum“ kennzeichnete. Als Filmer sei sein ‚humanitäres Interesse’ sofort erwacht, als ihm bewusst wurde, dass bei jedem dieser Angriffe „eine Kamera draufgehen muss“. Allerdings konnte/wollte Harun Farocki keine politische Strategie daraus entwickeln, was dieses Kamikazetum für jeden einzelnen von uns bedeutet.

Große Analyse – Fehlanzeige?

Dass menschliche Hand und menschliches Auge in zunehmenden Maße durch Roboter und Kamera ersetzt werden, sei doch eine trostlose Perspektive – wurde aus dem Publikum angemerkt. Und überhaupt sei der Film ‚keine große Analyse’, sondern merkwürdig unterdeterminiert im Vergleich zu seinen überdeterminierten Bildern.

Einen solchen Determiniertheits-Widerspruch mochte der Autor nicht sehen, v.a. weil er seine Bilder gar nicht überdeterminiert fand – worin er aber zustimmte, war, dass der Film sich nicht als ‚große Lösung’ anbiete, sondern wirklich trostlos sei – geradezu ein „Selbstmordfilm“.