Film

Konzert im Freien
von Jürgen Böttcher
DE 2001 | 86 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 25
06.11.2001

Diskussion
Podium: Jürgen Böttcher
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Berlin, DDR, 1974: Die Partei- und Staatsführung vergibt an ein Künstlerkollektiv den Auftrag für die Gestaltung einer Marx-Engels-Denkmalanlage im Zentrum der Stadt. Hierüber sollte es auch einen Film geben: 15.000 Meter wurden von 1981 bis 1986 gedreht – und verschwanden im Archiv. Im Jahr 2000 ein neuer Zugriff auf das Material, ergänzt um Aufnahmen der heutigen Topografie. Geschichte, Musik und Kunst in der neuen Mitte Berlins.

Protokoll

Jürgen Böttcher beschreibt zu Beginn seine Schwierigkeiten, als er Anfang der 80er Jahre den DEFA- Auftrag erhielt, eine repräsentative Dokumentation über die Marx-Engels-Denkmalanlage im Zentrum Berlins zu erstellen:

– ein für ihn “blödes” Projekt, da er in den 60ern “in Ungnade gefallen” und “aus der Malerei entfernt” wurde, und nun diese ganzen “anerkannten” Künstler aufsuchen musste … “bitter”

– in einer “brisanten” Zeit, mit Solidarnosc in Polen und beginnenden Auflösungserscheinungen in der sozialistischen Welt

– ein Denkmal, das von der Bevölkerung ignoriert bzw. “abgelehnt” wurde (“unflätige” anonyme Sprüche in Gästebüchern)

– und demzufolge ein Film, der dies “angestrengt Repräsentative” gezeigt hätte und von der Staatsführung gar nicht mehr gewollt war.

All diese Böttcher’schen “Schwierigkeiten” werden von ihm zu Beginn dieser Diskussion über den fast 20Jahre später entstandenen Film Konzert im Freien erläutert – einem Film, der von diesen ganzen “Schwierigkeiten” allein durch die Aufführung von etwas OpenAirFreeJazz erzählt – und damit natürlich allen FreeJazz-Kennern sofort verständlich wird, während Liebhaber anderer Musikrichtungen sich sehr verloren fühlten in diesem zeitlich gedehnten Freiluftkonzert.

Moderator Ruzicka beschreibt das Filmmaterial aus den Jahren zwischen 1981 und 1986 als “sonderbar” und “fremd”, wie aus “einer anderen Zeit”: Mit “Patina” behaftet, das die “präsente Geschichtlichkeit der Bilder sichtbar” macht. Wir erfahren, dass in Filmarchiven solch altes Restmaterial kilometerlang vor sich hingammelt – getrennt vom separat aufgenommen Ton, der nicht mehr auffindbar ist.

Böttcher betrachtete lange Zeit seinen Film Die Mauer (aus dem Jahre 1990) als Abschluss seiner Filmarbeit, aber viele Freunde und sein Sohn ermunterten ihn, doch noch einmal sein altes Steckenpferd zu reiten und “mal wieder einen Film zu machen”. Er entdeckte die technische Einfachheit moderner digitaler Bild-&Ton-Aufnahmemöglichkeiten, mit denen man “so verrückte Sachen” wie stundenlange OpenAirAufnahmen seiner musizierenden Freunde “Baby” und Dietmar machen kann, die eine in der DDR verbotene und verpönte Musikrichtung noch heute perfekt beherrschen.

Über den Titel des Films Konzert im Freien wird philosophiert: Noch 1988 wäre man für diese Musik verhaftet worden … nun kann man sie in Freiheit spielen … oder auch im Freien … FreeJazz wird auch gern auf OpenAir-Konzerten gegeben … diese Musik im Film entfalte sich aber auch Interessefrei von Seiten der schnell entschwindenden Zuhörer auf dem Platz …

Einem FreeJazz-Kenner unter den Zuschauern sind das erste Mal in seinem Leben die Gestalten von Marx & Engels beim Hören dieser Musikrichtung vor Augen erschienen: Das spricht für die Weiterentwicklung des Jazz.

Eine Zuschauerin fragt, für wen diese Musiker im Film eigentlich spielen? “Na, für euch! Die Zuschauer!” entgegnet Jürgen Böttcher, den diese Szenen bei jedem Betrachten seines Films immer wieder “erschüttern”: Wie tapfer die beiden sich dort auf den Platz stellen, beckett’schen Figuren gleich und wissend der Gefahr, sich völlig zu blamieren! Ein anderer sieht darin die späte Rehabilitierung für frühere Verdienste.

Böttcher spürt in seinem Film immer eine “stupende Verrücktheit”, die nicht durch billige Effekthascherei, sondern durch “Verwirrendes” fessele – etwa durch die Frage, die sich jeder Zuschauer stellen müsse: “Was haben diese Musiker überhaupt mit dem Film zu tun?” – oder dieser “unglaublichen Konzentration” der beiden Musiker auf einem Platz der “Zerstreuung”.

Werner Ruzicka lobt die filmische Form der Collage, die immer einen Rest von Rätsel und Ungenauigkeit enthält – wie die zersägte und nun gleichsam “schwebende” Engel(s)statue. Mit dem Ende des Films hat er allerdings seine Schwierigkeiten und spricht damit ein Thema an, das die Diskussion nun bestimmen sollte: Warum muss auf so pathetische Weise der Regen – “die Tränen des weinenden Himmels” – über die in scheinbar alle Ewigkeit in Stahl eingeätzten Fotografien kullern?

Böttcher, mit dieser Frage wohl schon des öfteren konfrontiert, gibt ganz zurückhaltend zu, dass ihn diese Fotos bis heute emotional aufwühlen: Bei solchen Themen wie Vietnam, Weltkriegstoten und sozialistischen Freiheitskämpfern in der 3. Welt ist einfach “Schluss mit Lustig”! Und grade in einer Zeit, in der ein “neuer unheimlicher Krieg heraufdämmere”, müssten doch auch andere diese emotionale Aufladung spüren, oder? Böttcher erklärt, diese Fotografien sind für ihn das “Herzstück” seines Films, und dass viele Intellektuelle der westlichen Hemisphäre damit Schwierigkeiten hätten, während die Menschen aus dem Osten das genauso aufwühle.

Jemand merkt an, dass der Film lange Zeit ironisch mit seinem Thema umgehe, aber dann zum Ende hin völlig ins Pathetische kippe: Durch die Betonung dieser Aufnahmen am Schluss des Films werden sie zu seiner Summe, mit der man den Kinosaal verlasse. Ein Film, der lange Zeit mit formalen Mitteln arbeitet, endet dann doch beim Inhalt: Es verwundert, wie dieser Riesenpathos des Denkmals – durch Musiker, die das Denkmal einfach als Instrument benutzen – ent-pathetisiert wird, nur um am Schluss des Films durch die “Tränen des Himmels” den ganzen Pathos dieses Denkmals wieder hervorzuheben und zum eigentlichen Höhepunkt (dem “Herzstück”) des Films werden zu lassen.

Böttcher will dazu nichts Genaueres sagen, nur … dies sei Teil seiner eigenen Geschichte … und in seinem Alter … und die Erinnerung … und Träume einer besseren Welt, die bestehen bleiben sollten …

Und schließlich seien diese nächtlichen Regen-Aufnahmen der Musiker auch am Ende des zweitägigen Drehs entstanden: “Auf den Gedanken, den Regen zu inszenieren”, wäre Böttcher nie gekommen, wie er mehrfach betont. Aber auf den Gedanken, das Ende der Dreharbeiten auch ans Ende des Films zu schneiden, scheinbar schon … Mit einem Picasso-Zitat, der auch gern mal in Rot malte, wenn grade kein Blau vorhanden war, wurde diese gemütliche Runde geschlossen.