Film

Das kleine Kaufhaus
von Jens Schanze
DE 1999 | 44 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 23
01.11.1999

Diskussion
Podium: Jens Schanze, Volker Gerlin (Kamera)
Moderation: Alexandra Schneider
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Für die Dame und auch für den Herrn: Bei „Margret Moden“ ist für jeden etwas dabei. Und sollte im Textillabyrinth einmal die Orientierung verloren gehen, liefern fünf charmante Frauen ziel- und stilsicher den Faden in allen Farben. Eine Hommage an ein Kaufhaus, in dem der Vertreter noch mit dem Bollerwagen anrückt, um seine Waren anzupreisen.

Protokoll

Das kleine Kaufhaus gegenüber der eigenen Wohnung, der ständige Blick auf das Schaufenster und der erste Einkauf dort (ein vom Diskussionspublikum herausgefordertes und mit leichtem Lächeln quitiertes ‚Bekenntnis‘) hat bei Jens Schanze ein derartig ambivalentes Gefühl hinterlassen, dass der Wunsch entstand, über den Bekleidungsladen und sein Personal einen Film zu drehen. Dem Verhältnis zu den Damen, von deren Umgang mit den Kunden der Filmemacher fasziniert war, galten die ersten Fragen der Diskussion. Ob es dem Filmteam von Anfang an klar gewesen sei, dass ihnen der Status von Mitarbeitern zugeteilt werde und ob sie sich schon vor dem Dreh auf diese Nähe eingestellt hätten, fragte Alexandra Schneider zur Einleitung des Gespräches. Schon bei der Recherche habe sich gezeigt, so Jens Schanze, dass die Darstellerinnen Nähe zulassen. Die Anwesenheit der Kamera habe nicht dazu geführt, dass sich die fünf Damen anders als sonst verhalten hätten. Allein durch die Anpassung an den täglichen Rhythmus der Frauen habe sich bereits eine Vertrautheit miteinander eingestellt. Die Reaktionen auf das Filmteam, die Elisabeth Büttner mit der Rollenzuschreibung „junge Männer in Damenwirtschaft“ charakterisierte, hätten das Bild der Darzustellenden dabei komplettiert; eine Überwindung dieser zugeschriebenen Rolle, wie sie aus dem Diskussionspublikum angeregt wurde, empfand der Filmemacher daher als unnötig. Umgekehrt hätten die Darstellerinnen die Aufmerksamkeit, die ihnen mit dem Filmen entgegengebracht worden sei, gerne in Anspruch genommen.

Die Artikulation einer eigenen Position dem Gefilmten gegenüber meinte ein Zuschauer im Zwischentitel Die Familienfeier zu finden. Diese Interpretationsvermutung (Belegschaft = Familie) gab dem Regisseur die Möglichkeit, sein Interesse an der gezeigten Arbeitskonstellation, die er mit den Begriffen Heimat und Familie benannte, zu formulieren. Diese beiden Komplexe manifestieren sich für Jens Schanze beispielsweise in der Einrichtung des Kaufhauses, im Umgang mit den Kundinnen, in den Bewegungen der Damen durch den Raum und auch darin, dass sie ihr ganzes Leben im Laden verbringen, dieser quasi der Lebensmittelpunkt der Frauen ist. Dass der Film das Kaufhaus nicht verlässt, sei daher eine logische Schlussfolgerung.

Im Folgenden brachte das Auditorium den von Schanze gelieferten Heimatbegriff zur Anwendung und suchte nach weiteren Manifestationen im Film: die Kenntnis der Ware und ihres Aufbewahrungsortes, das wortlose Verstehen der Damen untereinander, die Problematisierung der Körpergröße, von der die Chefin die ‚Chemie‘ zwischen den Angestellten abhängig macht (gleiche Augenhöhe ermöglicht eine reibungslose Kommunikation), die Antworten auf die Frage, ob für die Verkäuferinnen auch ein anderer Arbeitsplatz denkbar sei, das ‚Biotop‘ [besser: soziales Auffangbecken(?)], das vor allem der jungen Verkäuferin Petra zugute kommt, usw. Diese Bestätigung der Anwendbarkeit des Heimat- & Familienbegriffs vollzog sich jedoch nicht nur in derart ’neutralen‘ Beobachtungen. Zum Begriff Heimat gehöre auch die Hässlichkeit der Mode und das Enge/Klaustrophobische des Raums – kurz: das Grauen und das daran anschließende Fluchtbedürfnis, das einen während des Films überkomme, so mehrere Stimmen.

Kritik erntete u.a. die assymetrische Darstellung der einzelnen Frauen wobei das kurze und eigenwillige Auftauchen von Petra (deren Bildpräsenz laut Schanze weder auf einen Komplettierungswahn noch auf fehlendes Material zurückzuführen sei) unter dem [dokumentarfilmtypischen] Vorwurf verhandelt wurde, diese werde der Lächerlichkeit preisgegeben.

Angesprochen wurde vom Publikum auch die fehlende Distanzierung und Abgrenzung von der vorfilmischen Situation. In diesem Zusammenhang ließe sich die in der Diskussionsrunde nur angedeutete Frage nach den Machtverhältnissen der Frauen untereinander stellen. Die Arbeitskonstellation im Kaufhaus ist ja von einer Hierarchie durchzogen, die im Film übernommen wird. So manifestiert sich die Machtposition der Juniorchefin sowohl in ihrer Rolle als „Patriarchin“ (Alexandra Schneider) des Unternehmes, als auch in ihrer Position als Erzählerin, die sie im Film einnehmen darf.

Schließlich wurde aus dem Publikum Unverständnis für die „Situationen ohne Ende“ geäußert. Begonnene Verkaufshandlungen würden nicht bis zu ihrem Abschluss im Film zu sehen sein, so die Kritik. Hierfür sei einerseits die Gleichzeitigkeit von Ereignissen und das Aufeinanderfolgen von Situationen, die sich gegenseitig ablösen, in Betracht zu ziehen (Narration), so der Filmemacher, andererseits die Entscheidung für eine bestimmte Optik (Technik), so der Kameramann. Die Entscheidung, die Optik im Film nicht zu variieren, habe u.a. zur Folge, dass ein Annähern an Situationen immer auch physisches Näherrücken an die Person bedeute – was nicht mit allen Kundinnen zu machen gewesen sei. Gleichzeitig habe der enge Raum es schwierig gemacht, eine Distanz zu den gefilmten Menschen zu wahren, so dass der Film vom Bemühen geprägt sei, mit der Kamera einerseits zurückzutreten und andererseits den Menschen nahe zu sein. Auch auf die Bemerkung der fehlenden Raumorientierung antwortete Volker Gerlin mit kameratechnischer Pragmatik: einzige Möglichkeit unter den gegebenen optischen Bedingungen sei ein Gang durch den Laden gewesen, den man sich gespart habe.

Abschließend erfuhren die Diskussionsteilnehmer noch von der zurückhaltenden Begeisterung der Filmhochschulen über Koproduktionen und von Schanzes nächstem Projekt, in dem es ebenfalls um ökonomische und möglicherweise auch um ‚heimatliche‘ Fragen geht: die Umsiedlung im Zuge von Garzweiler II.