Film

Wien: Sieben Szenen
von Joachim Hilbrand, Michael Gartner, Rainer Frimmel
AT 1998 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Podium: Joachim Hilbrand, Michael Gartner, Rainer Frimmel
Moderation: Jutta Doberstein
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Das grundsympathische an gewißen Duisburger Diskussionen ist, daß da Leute auf dem Podium sitzen, die über sich und ihre Arbeit reden können, ohne gleich ihr gesamtes Ego zu fürchten: „Den Saalfeger-Effekt unseres Films haben wir eigentlich stärker vermutet.“ Also nix für WAMs*1 und ihre schlauen Sätze, die solchen Filmen & Diskussionen grundsätzlich fernbleiben, auch weil ihre ewig gültigen und immer wieder runtergeleierten „Weisheiten“ hier gar nichts mehr bedeuten.

Vielleicht verändert sich die Welt, wenn eine Gruppe von Menschen über einen längeren Zeitraum zusammenarbeitet oder auch nur zusammen die Zeit verbringt, durch die Konzentration dieser gemeinsamen Gehirnwellen und Vibrationen. Drei Fotografen, die sich seit fünf Jahren kennen, stellen intuitiv eine Film-Kamera an verschiedenen Wiener Örtlichkeiten auf und lassen diese Sieben Szenen vielleicht zu den sieben Tagen der Schöpfungsgeschichte werden: Orte, an denen viel Zeit ist und die dem Zuschauer Zeit geben – Zeit, Unglaubliches zu denken.

Jemand erzählt, sein großer Bruder habe ihm mal Fotos gezeigt, auf denen nur grüner Rasen zu sehen war. Er habe damals wirklich geglaubt, das sei Kunst – wie sein großer Bruder behauptete. Mittlerweile sei ihm aber klar, daß es keine Kunst war, was ihm sein großer Bruder damals zeigte.

Kunst – Rasen

Wenn sich jemand an etwas ganz lange Zurückliegendes erinnert, muß das in der Regel etwas sehr Schönes oder etwas sehr Schreckliches gewesen sein. Manchmal gibt es auch keine Worte. Jetzt fällt mir ein, daß es mal drei Leute gab, die sich Schmelzdahin nannten und jahrelang in einer Wochenendhütte bei Bonn lebten und die ganze Nacht Radio hörten oder sich Filme anschauten. Irgendwann haben sie Super8-Kopien von amerikanischen Actionfilmen im Garten vergraben und sich diese Filmstreifen Monate später im Projektor angeschaut: Was sie sahen, war der Angriff Bonner Mikroorganismen auf das Hollywoodkino. Ich habe das auch nie vergessen.

In diesen Sieben Szenen passiert wenig, aber nicht nichts. Manchmal sehen wir nur 1 Auto, das vorbeifährt. Oder ein „in die Landschaft geschissenes Dreck-McDrive“ entfaltet seinen surrealen Humor. Oder man entdeckt Bilder, an denen selbst die Musik auf der Tonspur nichts ändern kann, nichts an der Bedeutung und nichts an der Wahrnehmung dieser Bilder.

Ein Phänomen der Architektur: Manche Orte schauen um so trauriger zurück, je länger man sie anschaut. In der Landschaftsarchitektur wird die Fließgeschwindigkeit von Bächen verlangsamt, indem Steine ins Wasser gerollt und in den Matsch getreten werden: Kollege Sisyphos läßt sich hier bei der Arbeit zuschauen.

Ein Film, der nur entstanden ist, weil sich diese drei Menschen gefunden und verstanden haben. Keiner von ihnen hätte diesen Film alleine gemacht.

Ein Film, der so geworden ist, weil es ökonomische Zwänge gab, weil das Material binnen eines Monats verfilmt werden mußte, damit es überhaupt noch in dem preisgünstigen tschechischen Kopierwerk entwickelt werden konnte, das kurz darauf schließen würde.

Ein Film, in dem die Kamera als Aufzeichnungsgerät verstanden & verwendet wird und dessen Länge von der industriellen Konfektionierung des Filmmaterials*2 bestimmt ist.

In Duisburg konnte man einen Kratzer in der Kopie sehen, der bei einer vorherigen Projektion entstanden sein muß. Den haben die Filmemacher mit Interesse verfolgt – und irgendwann hat der Kratzer das Bild verlassen.

*1 wichtige alte Männer

*2 Jede Episode hat die Länge einer 16mm Filmrolle (122m = 11 Minuten)