Film

Meine Zigeuner Mutter
von Therese Ráni
AT 1998 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Podium: ?
Moderation: ?
Protokoll: Hilde Hoffmann

Protokoll

Das Lob einer Diskussionsteilnehmerin – “ein wunderschöner Film; ich bin gerührt” – steht für eine allgemeine Ergriffenheit der Diskussionsteilnehmer.

Egon Humer berichtet, daß der Film in Co-Produktion mit dem ORF entstanden sei, innerhalb einer Reihe, in der “Betroffenen die Kamera in die Hand” gegeben wird. Meine “Zigeuner” Mutter wird von Werner Schweizer als eine Annäherung an die Mutter der Autorin beschrieben. Auch formal gäbe es eine Entwicklung von Bildern aus der Totale über die Halbtotale bis hin zur Detaileinstellung auf die Ohrringe der Mutter. Schweizers Frage, ob der Film noch Teil der Therapie sei, wird von Ráni verneint: “Der Film ist losgelöst von meiner Therapie, ich habe die Therapie beendet”.

Abseits der Idee einer Filmarbeit als Therapeutikum steht in diesem Film das Motiv der Kamera als Kommunikationsinstrument. Die Aussagen Ránis: “Durch den Film konnte ich meiner Mutter nahe sein. Durch den Zoom konnte ich meine Mutter an mich heranziehen, ich konnte sie austricksen”, erinnern an den Begriff der Cinétrance und der mit ihr verbundenen Hoffnungen, die an Film und Kamera geknüpft werden.

Die Entmenschlichung durch den Nationalsozialismus, gesellschaftlich weitertransportiert und von Mutter auf Tochter weitergegeben, wurde dem Publikum in der Diskussion weiterhin verdeutlicht. “Ich weiß fast nichts von ihr. Sie war neurotisch, dadurch bin auch ich neurotisch geworden. Meine Mutter ist heute noch kein Mensch in der Gesellschaft. Mir braucht keiner mehr bestätigen, daß ich ein Mensch bin”.

Eine Diskussionsteilnehmerin merkt an, daß Therese Ráni ihre Mutter in ihrem Film immer wieder als ʻNicht-Menschʼ zeigt und damit die Erniedrigung fortgeführt werde.

Auch Marcy Goldberg sieht die Mutter durch den Film “auf anderer Ebene zum Opfer gemacht”. “Sie darf nicht sprechen. Als sie gegen Ende des Films selbst das Wort ergreift, zeigt sich eine unerwartete Energie und Kraft. Durch das Nicht-zu-Wort-kommen-lassen nimmt man ihr diese Energie wieder”.

Hierauf werden von Egon Humer technische Probleme eingeräumt: Die Mutter sei schwerhörig, und “es war schwer genug für Frau Ráni, ihrer Mutter gegenüber zu treten. Es war ein langer, schwerer Weg, der zur Annäherung geführt hat”. Aus dem Publikum wird bestätigt, daß es gelungen sei, “einen zärtlichen Film, eine Annäherung der Tochter an ihre Mutter” zu machen.

Esther Schapira differenziert “Stellen, an denen eine Metaebene eingenommen wird und Therapieergebnisse vorgetragen werden.” Sie finde eine Kommentierung der Bilder problematisch. Humer ärgerte sich “über das massive Vortragen (der Kritik) bei dem sensiblen Thema”. “Es geht im Film darum, sich zu befreien. Das muß man anerkennen.” “Nur bis zum bestimmten Grad sind Dinge reflektierbar für die Autorin”. (Diese eingeforderte Anerkennung aber hatte im Publikum keiner in Frage gestellt). Doch Schapira forderte, “auch über einen persönlichen Film” diskutieren zu können.

“Man muß über Zwiespältigkeit reden können. Ich finde es mutig und eindrucksvoll, wenn Ráni über sich und ihre Beziehung zur Mutter spricht. Problematisch ist die Metaebene. In ihren Verkürzungen behauptet sie Dinge, die ich nicht sehe”. Die Mutter erscheint ihr als der Kamera ausgeliefert, beobachtet und beurteilt, was unmöglich sei.

Thomas Rothschild kann “den bisherigen Ausführungen nicht folgen”. Er sehe nichts in dem Film, das die Mutter denunziere. Der Film erzähle zwei Geschichten. Margit Eschenbach fordert ein Ertragen, “daß wir die Mutter durch die Augen der Tochter sehen”. Die Frage Nurith Avivs, warum einige Sätze nicht übersetzt sind, muß Ráni an Humer weiterreichen. “Es wäre ihr auch schon aufgefallen”. Humer entschuldigt mit Zeitnot. Auch die Entscheidung, daß eine Schauspielerin den Text spricht, erscheint fraglich, so daß Egon Humer erklärt: “Wir haben versucht, Therese den Text lesen zu lassen; das hat damals nicht geklappt. Wir haben dann gemeinsam eine Kommentarstimme gesucht”. Er betont die Prozesshaftigkeit des Films; heute habe “eine gewisse Entspannung eingesetzt. Das war ein großer Schritt”.

Für einen weiteren Gast liegt die Stärke des Films darin, daß – trotz Erkenntnissen in der Therapie – das Scheitern vor dem Körper der Mutter deutlich werde. Die Unmöglichkeit des ʻErgreifensʼ der Mutter werde auch bildlich umgesetzt.

Gegen Ende werden Fragen nach der Form der Kooperation laut. Lisl Ponger hatte deutlich “genug” und verkündet in Richtung Humer: ”Was soll das denn heißen: ʻWir geben den Betroffenen eine Kamera in die Handʼ? Dann laß die Betroffenen doch auch einen Film machen. Ich hab keine Lust, mir deine Erläuterungen über das Zurechtmachen der Filme auf Fernsehtauglichkeit anzuhören”.

Abschließend berichtet Ráni über ihr aktuelles Projekt an dem sie und ihr Bruder “in Auseinandersetzung mit Egon Humer” arbeiten. Der Zwischenruf Avivs: “Lassen Sie sich nicht…” wurde aufgrund des einzuhaltenden Zeitrahmens abgebrochen.

Was bleibt, war das Gefühl, gerne mehr über die Arbeitskonstellation der zwei Regisseure zu erfahren, und der Wunsch weiter zu diskutieren, in jede Richtung, ohne moralische Handschellen.