Film

Leben aus dem Labor
von Irene Loebell
CH 1998 | 52 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Protokoll: Heimo Schirgi

Protokoll

Leben aus dem Labor, aus gleichen Mitteln zum gleichen Anlaß (150 Jahre Eidgenössische Bundesverfassung) wie Nano-Babies gefördert, präsentierte sich als Gegenpol in jeder Hinsicht. Leider folgte auch die Ebene der Diskussion diesem Prinzip. Es blieb bei Bekundungen von weltanschaulichem Konsens und einer Grundstimmung von allgemeinem Wohlwollen, während es bei Nano-Babies noch zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen war.

Auf die Frage nach Recherchemethoden antwortet Irene Loebell, daß sie die Schweizer Wissenschaftler („Basel ist voll von Chemikern“) einfach besucht habe, um herauszufinden, welche am besten geeignet seien. In Amerika hätte sich ein anderes Bild geboten, und an Wissenschaftler sei sie aufgrund deren Forschungstätigkeit (Gentechnologie) herangetreten. Dies sei der Bereich, der ethisch an vorderster Front stehe und daher auch für den Film der interessanteste sei. Jutta Doberstein spricht die gelungene historische Perspektive des Filmes an: Die Archivaufnahmen von (exzessivem) DDT Einsatz, der parallel zu Kriegshandlungen verläuft, demonstrierten sehr klar die Verlagerung von Krieg auf das Körperinnere. Auch im Krieg um das Körperinnere sei eine Tendenz von Verlagerung zu sehen: Vom Heilen zum Umprogrammieren durch Psychopharmaka. Warum bilde das Pestizid DDT den Anfang des Filmes, warum sei man nicht weiter zurückgegangen? Eine Frage aus dem Publikum. Loebell nennt den pragmatischen Grund, daß es mit der Erfindung des DDT der Wissenschaft zum ersten Mal gelungen sei, etwas Wirksames zu erfinden. Eine Diskussionsteilnehmerin geht auf den dramaturgischen und thematischen Bogen ein, den die Einführung des DDT auslöse: So wie man damals glaubte, das Gift habe nützliche Aspekte, gehe man heute auch mit der Gentechnik um. Loebell präzisiert: waren damals die Methoden sichtbar brachial (das Einsprühen von Kindern mit DDT), so haben diese sich jetzt verfeinert, sind im Microbereich untergetaucht.

Eine Diskussionsteilnehmerin beklagt, daß sich ihr die Bildebene der Patienten in Verbindung mit dem Off-Kommentar nicht erschlossen habe. Loebell gibt zu, daß ihr Verhältnis zu den Patienten ein ambivalentes sei: Einerseits sehe sie diese als Opfer, als hoffendes Forschungsmaterial. Andererseits seien sie auch Täter, die die Forschung unreflektiert voranschreiten lassen. Zu den Forschern habe sie ein ähnlich gespaltenes Verhältnis, ein Pendeln zwischen Bewunderung und Erschrecken, das sich erst bei Sichtung des Materials im Schneideraum herauskristallisiert habe.

Eine Frage, was es mit den sporttreibenden Menschen auf sich habe, beantwortet die Filmemacherin mit einem Verweis auf die Thematik: Sie habe Bilder von Menschen gesucht, die sich mit ihrem Körper auf alltägliche Art und Weise auseinandersetzen. Doberstein merkt an, ihre sei in diesem Zusammenhang der Wunsch nach Abwehr des Alters durch Körperbetätigung aufgefallen. Und dann doch noch: massive Kritik. Ein Zuschauer ortet Widersprüche im Konstruktionsprinzip des Filmes; der Film bestehe doch aus vier Ebenen: Erstens, die der historischen Dokumente, zweitens, die der heutigen Gespräche in Basel und Amerika (drittens) und, viertens, der Kontrastebene von Patienten und körperlicher Betätigung. Nun würden schon in den ersten vier Minuten alle vier Ebenen ausreichend angeboten. Es entstehe ein Konflikt zwischen dem historischen Anspruch und der Gleichzeitigkeit der Ebenen. Dies widerspräche einem aufbauenden Prinzip und vermische die Diskussion über Gentechnik mit der über DDT. Jutta Doberstein dazu: Es gäbe doch auch andere Linearitäten als zeitliche. Die viel wichtigere Kontinuität von Geisteshaltungen und Machtkonstellation sei hier offengelegt worden.

Der Empfang des Schweizer Generalkonsuls sorgte für einen etwas verfrühten Abbruch der Diskussion. Ein Zufall? Verschwörungstheoretische Hirngespinste eines übermüdeten Protokollanten?