Film

Stilleben
von Harun Farocki
DE/FR/AT 1997 | 56 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
11.11.1997

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Herbert Schwarze, Werner Ružička
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Da Farockis STILLEBEN Augen und Ohren der Zuschauer mit exakten Käse-, Bier- und Cartieruhren-Arrangements und scholastisch anmutenden Fachgesprächen ausgiebig verwöhnt hatte, galt es nur noch eine Lust der zu nächtlicher Stunde versammelten Diskussionswilligen und -abgestellten zu befriedigen: die Lust auf Theorien, die nicht mehr danach fragen, wie die Löcher in den Käse kommen, sondern wie man mit jenen Löchern umgeht, in denen der Käse selbst verschwindet. Als ob man gegen das Verschwinden der Dinge noch rebellieren wollte, betraten die Duisburger Film-Illuminaten den Raum mit Gefäßen, in denen sie den liquiden Gegenstand eines verbreiteten Trinkkultes aufbewahrten. Glaubte man, nach dem Rausch der Bilder einer ernüchternden Beredsamkeit an den Gräbern der Gegenstände auf diese Weise entgehen zu können, so sah man sich alsbald leeren Gläsern gegenüber.

Farockis Abbild von den Dingen jedenfalls kündete nicht von den Dingen an sich, sondern konzentrierte sich auf deren Hervorbringung im Prozeß der Arbeit – ein schöner Nachschlag zum Thema des vorangegangenen Ateliers, wie Herbert Schwarze befand, der im Tonfall, den engen Bildausschnitten, den sparsamen Räumen von STILLEBEN eine Konzentration aufs Bild und im hervorgehobenen Aspekt des „Handwerks“ eine Art nostalgischer „Fetischisierung“ der Arbeit sah, während im Hintergrund des Bildes schon der Bildschirm der modernen Gegenstandsvernichtungsmaschine flimmert.

Ein merkwürdiger Kontrast kennzeichnet Farocki zufolge den kulturellen Umgang mit den Gegenständen: während in den letzten 200 Jahren die Dinge nicht mehr als Gott- oder naturgegebene, sondern zunehmend als von Menschenhand hervorgebrachte Größen die Welt bevölkern, sei die Abbildung dieser verdinglichten Wirklichkeit gleichzeitig in Verruf gekommen. Über jene allegorische Feier des Materiellen, wie sie sich in den Stilleben des 17. Jahrhunderts noch entfalten konnte, rätsele die Kunstgeschichte immer noch, da dies sich im Widerspruch zu einer protestantischen Bildfeindlichkeit und Verhüllungslust bewegt habe. Das moderne Mißtrauen hänge auch mit dem Aufkommen der Fotografie zusammen, die ja bekannterweise den Dingen ihre Aura abgesogen hat. Die aktuellen Widmungen der zu Waren mutierten Gegenstände in den Bildern der Werbung wichen der Materialität durch eine neue rekursive Allegorie aus: Werbung verweist auf Lifestyle verweist auf Werbung.

Die Transformationen der Konnotate werden dann, so Farocki, in einem merkwürdig betriebsamen Arbeitsprozeß der Bildproduktion wieder „magisch aufgeblasen“. Die Arbeit an den (Trug-)Bildern der schönen neuen Welt findet dabei in einer erstaunlich privilegierten Situation statt: der üblichen Hysterie beim Filmemachen stehe hier eine ungewohnte Ruhe, Ernsthaftigkeit und Standardisierung der Arbeit entgegen, Herbert Schwarze sah in dieser akribischen Arbeitsweise, die in Farockis STILLEBEN als Arbeit an einem „verschwindenden Gegenstand“ exakt eingefangen werde, ein Prinzip des Handwerks verwirklicht. So werde auch an einem einzelnen Bild im PLAYBOY akribisch mehrere Tage gearbeitet, plauderte Farocki aus. Der Betrieb der Symbolproduktion in Hollywood könne dann genau zeigen, wie diese Arbeit selbst schon als symbolbeladener Akt erscheint.

Genau solche „komplizierten Verschüttungen“ der Gegenstände leiteten Farockis Interesse, schließlich handle es sich dabei um eine Problematik der Repräsentation, die sich etwa im Religionsstreit über die Abbildbarkeit christlicher Ideen oder in einer marxistischen Angst vor den Gegenständen finde – eine Debatte also, in der sich die „fortschrittliche Kultur“ selbst reflektiert. In einer solchermaßen philosophisch inspirierten Diskussion sollte die Frage nach dem Ort des Menschen angesichts dieser Verschüttungen nicht lange auf sich warten lassen, dazumal der Film selbst an seinem Ende mit einer Formel vom „neuen Menschenbild“ orakelt hatte. In der historischen Entwicklung, so führte Schwarze aus, habe sich in Malerei und Fotografie etwa durch Erfindung der Perspektive und eines apparativen Sehens sowie den Möglichkeiten einer naturwissenschaftlichen Abbildbarkeit der Welt ein spezifisches Bild vom Menschen und seiner Handlungsautonomie entwickelt. In Farockis STILLEBEN erscheinen ja die Bilderarrangeure noch wie alchimistische Meister, die erkenntnishungrig nach einer Formel suchen, mit der sich die Welt erklären und beherrschen läßt- im Zeitalter der Konsumgesellschaft füllen sich die Reagenzgläser freilich nicht mehr mit WAHRHEIT, sondern bestenfalls noch mit dem EINZIG WAHREN….

Man müsse fragen, so Schwarze, ob durch die digitale Abbildung der Natur eine Vollendung des apparativen Sehens betrieben werde, oder die Natur im Rechner eine Wiedergeburt erfahre. Was denn geschehe, so Werner Ruzicka, wenn die Gegenstände, denen die (Werbe-)Fotografie oder die Malerei in ihrer ehrfürchtigen Arbeit noch eine (künstliche) Aura und Ewigkeit zu verleihen scheinen, per Mausklick verschwänden? Der Computer jedenfalls ·kennt keine Perspektive und somit auch keine Standpunkte mehr (Jutta Doberstein) und treibt damit möglicherweise die Dezentrierung des Subjektes bis zu seinem Verschwinden voran. Verschwindet also erst der Käse, dann der Mensch selbst?

Farocki versuchte das Publikum angesichts solcher Visionen zu beruhigen: die Magie der Bilder und Worte lasse sich nicht so einfach bändigen. Er zitierte einen weisen Satz Vilem Flussers, wonach keine Notwendigkeit bestehe, die Welt vollständig zu digitalisieren, um somit den „Platons Auftrag“ nachträglich zu erfüllen.

Zumindest fühlte sich das Duisburger Publikum mit diesen Beruhigungen wieder in den Stand versetzt, über den ursprünglichen Anlaß der Zusammenkunft zu beraten: Herbert Schwarze beurteilte STilLEBEN als einen „klassischen“ Dokumentarfilm, der sich in seiner Arbeitsweise dem Thema „essayistisch“ nähere. Damit wurde auf die „Pseudomorphie“ (Ruzicka) von Bildern und Fotografien sowie auf den Einsatz des Kommentars im Film angespielt. Eben dieser kunsthistorische Text erschien dem Auditorium zu feierlich, Herbert Schwarze fühlte sich sogar an Schulfunk erinnert. War man enttäuscht, Farockis virile und „offene“ Stimme in STILLEBEN durch einen feierlich wirkenden Kommentar ersetzt zu hören? Nun – Farocki wollte nur vermeiden, den Film durch seine Flapsigkeit und Orginalitätssucht zu verderben, allerdings erschrecke auch ihn der Eindruck von Seriösität, den der Text (möglicherweise grundlos) vermittle. Ganz grundsätzlich sei nichts blöder als Worte zu Bildern. Die „Hilflosigkeit des Geredes“ (Schwarze) im 0-Ton des Films habe ihm keine Probleme bereitet – ebenso wie das Interesse an den Gegenständen der Werbefotografie auf die Lust abziele, sich unter Niveau zu amüsieren.

Farockis um Originalität bemühter Stil, seinen eigenen Film zu kommentieren, ließ dann zum Ende der Diskussion die Befürchtung grundlos erscheinen, wonach nur ein vertieftes Studium der gesamten abendländischen Philosophie Ansätze zu einem tieferen Verständnis von STILLEBEN ermöglichen kann. Gegen weitergehende Verunsicherungen läßt sich dann auf absehbare Zeit weiterhin mit Bier und Käse ankämpfen.