Film

Jenseits des Krieges
von Ruth Beckermann
AT 1996 | 117 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
12.11.1997

Diskussion
Podium: Ruth Beckermann, Josef Aichholzer (Produktion)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Judith Keilbach

Protokoll

JENSEITS DES KRIEGES ist ein Film über die Erinnerungen und das Erinnerungsvermögen von soldatischen Männern. Er befragt die Besucher der Ausstellung „Vernichtungskrieg- Die Verbrechen der Wehrmacht“ danach, was sie von diesen Verbrechen wußten. In der Diskussion berichtete Ruth Beckermann, daß sie nach jahrelanger Auseinandersetzung mit der Geschichte der Opfer (in Form von Filmen und Büchern) begann, sich auch für die Geschichte der Täter zu interessieren. Über die Täterseite, so Beckermann, gebe es nur wenig Filme und sie halte es für nötig, auch deren Erinnerungen bzw. spezifischen Umgang mit der Erinnerung festzuhalten. Die Ausstellung schien ihr geeignet, um den ehemaligen Soldaten begegnen zu können, da dieser öffentliche Raum sowohl eine gewisse Anonymität bot, als auch eine gegenseitige Konfrontation der Zeitzeugen zuließ.

Die Frage, inwiefern der Film einen spezifisch Österreichischen Umgang mit der Vergangenheit thematisiert, wurde in der Diskussion nur kurz angesprochen. Auch in Wien war die Ausstellung bereits vor ihrer Eröffnung umstritten, was sich z.B. im Fernbleiben von Politikern zeigt. Beckermann vermutet, daß die ausgebliebene ,Entnazifizierung‘ und die späte Auseinandersetzung mit der eigenen nationalsozialistischen Geschichte, die erst seit der Waldheim-Affäre stattfindet, dazu geführt hat, daß die Österreicher in ihren Floskeln noch nicht so geübt sind. Der Film, so diese These weitergedacht, erhält gerade im Aufblitzen faschistischer Ansichten („zum Glück gab es die SS“, „die Juden haben sich das Gold in die Taschen gestopft“) seine Prägnanz. Die offene Selbstkritik der ehemaligen Soldaten, über die sich eine Diskussionsteilnehmerin wunderte, erklärt die Regisseurin mit dem Alter der Zeitzeugen: diese seien gesellschaftlich nicht mehr aktiv und auch die Nähe zum Tod bringe eine Reflexion des Lebens mit sich. Der Feststellung von Selbstkritik sei an dieser Stelle ein anderes Statement entgegengehalten, in dem sich ein Diskutant über die emotionslose Abhandlung der Greueltaten (sowohl die der Interviewpartner als auch im allgemein gültigen Wissen über das Thema) erschüttert zeigt. Die Frage, ob es tatsächlich angebracht ist, die erinnerten Szenen als Selbstkritik zu beschreiben (denn zur Mitschuld hat sich kaum einer der Veteranen bekannt, es waren ja auch hier immer die anderen Kameraden), möchte auch die Protokollantin nochmals zu bedenken geben.

Ein Großteil der Diskussion drehte sich jedoch um formale Aspekte des Films. Den Ausstellungsort, so Beckermann auf eine Nachfrage, habe sie nur einmal vor dem Dreh angeschaut und ebenso wie die Qualität des Videomaterials für stimmig empfunden. Sie habe sich für zwei Situationen entschieden: das Ansprechen der Ausstellungsbesucher vor laufender Kamera und eine konzentriertere Atmosphäre durch ein Gespräch an einem – in den Ausstellungsräumen aufgebauten – Tisch, wobei in beiden Fällen keine Vorgespräche stattgefunden hätten. Sie habe nicht die Ausstellung dokumentieren wollen, ihr sei es vielmehr um die Erinnerungen der Besucher gegangen.

Äußerst kontrovers wurde über die filmische Umsetzung der räumlichen Situation diskutiert. Es bleibe unklar, ob der Raum miterzählt werden solle, der Film die Eindrücke, denen die Ausstellungsbesucher ausgesetzt sind, mitdokumentieren wolle. Indem die Kamera hinsichtlich ihrer Nähe zu den Gesichtern unsicher bleibe, u.a. auch bis zum close-up auf sie zoome, sei eine Chance vertan, die gerade der öffentliche Ort ermögliche: nämlich sowohl den Raum, der die Erinnerungen auslöse, als auch die Körper der Personen im Raum zu zeigen. Vielmehr würde durch die Fokussierung der Gesichter die Intimität einer Wohnzimmersituation erzeugt, die genau die Spannung zum Raum auflösen würde (Jutta Doberstein). Die close-ups verhinderten, so Werner Ruzicka, die ,Lesbarkeit‘ der Personen, die sich z.B. aus dem Spiel der Hände oder auch der Kleidung ergebe. Demgegenüber halte er jedoch zwei den Raum betreffende Aspekte für besonders gelungen: einerseits das räumliche Kräftefeld, das sich durch Stimmen aus dem Off erstellt und das die Kamera durch einen Schwenk ,abtastet‘; andererseits die „Subgeschichten“, die der Film durch die im Bildhintergrund zu sehenden Personen transportiere. Die authentische Situation, in die ihn der Film hat versinken lassen, wäre, so ein Diskussionsteilnehmer, mit einer ,besseren‘ ästhetischen Auflösung des Films nicht möglich gewesen. Es dürfe außerdem nicht übersehen werden, so Christa Blümlinger, daß die Videokamera neue Gestaltungsformen für den Dokumentarfilm eröffne, die sich beispielsweise in Mobilität und Interaktion ausdrücken. Hergebrachte Anforderungen an die Kamera seien vor diesem Hintergrund also zu überdenken.

Sein Unbehagen an Beckermanns Konzept, die Aussagen der Zeitzeugen seriell und als ungeschnittene Ausschnitte aneinander zu montieren (und beispielsweise nicht als thematische Blöcke ineinander zu verweben), führte Herbert Schwarze darauf zurück, daß damit Tätertypologien entstehen würden, von denen man sich auf einer anderen Reflexionsebene bereits verabschiedet habe. Dem Eindruck einer Typologisierung widersprach ein anderer Diskutant, der gerade die Ambiguität des Films lobte: der Filmzuschauer wisse bei vielen Personen lange nicht, ob er sie im binären Schema als „gut“ oder „böse“ einstufen solle. Der Film zeichne also gerade keine Täter-Karikaturen.

Gegen das Primat des Bildes, unter dem diese filmästhetische Diskussion stand, setzten sich einige Wortmeldungen ab, die vielmehr die Bedeutung des Tones hervorhoben. Mit Rückgriff auf die Psychoanalyse wurde beschrieben, wie sich durch das Sprechen den Zeitzeugen ein Erinnerungsraum eröffne, der den konkreten Raum verblassen läßt. Diesen Prozeß habe der Film mit seinem Verzicht der Präsentation des Settings nachvollzogen. Der Ton sei unter diesem Aspekt also wichtiger als ein ,schönes‘ Bild.

Auf die Frage, ob Filmemachern nicht immer die Personen, die sie dem Publikum näherbringen wollen, sympathisch sein müßten, präzisierte Beckermann ihre Entscheidung, an einem öffentlichen Ort zu drehen. Durch die Länge der Gespräche und die Emotionalisierung der Gesprächspartner, die sich aus dem Eintauchen in die Jugend ergibt, würden einerseits Individuen entdeckt werden, andererseits ermögliche die Anonymität der – dem Beichtstuhl vergleichbaren – Situation eine sichere Distanz. Die Bereitschaft, in einer Interviewsituation eine Person ernst zu nehmen, sei darüber hinaus nicht mit Sympathie gleichzusetzen. Dennoch habe sie sich in einer neuen Drehsituation wiedergefunden, denn in der Regel empfinde sie Dokumentarfilme über Personen durch den Grad der Intensität und des Einlassens wie eine Liebesgeschichte. JENSEITS DES KRIEGES stellt sich demnach als ,Zwischensituation‘ dar, die jedoch auch zur Grenzsituation werden kann: in einem Gespräch habe sie angesichts der faschistischen Äußerungen nur der eiskalte Gedanke an das zu verwertende Material weitermachen lassen.