Protokoll
Die Formulierung der Regisseurin Britta Wandaogo, der Film ende nicht mit dem Anfang, sondern mit dem Ende, wirkte programmatisch für die gesamte Diskussionsatmosphäre, in der man sich verschlafen von Statement zu Statement hangelte. Beinahe schien es, als suche man sich darin Konkurrenz zu machen, möglichst dicht aneinander vorbeizureden.
Der Film gehe ihr unter die Haut, eröffnet Sabine Fröhlich das Gespräch, nicht zuletzt durch die Unmittelbarkeit, welche die Enge des Zusammenlebens in der Wohnung erzeuge. Der Film habe eine zirkuläre Struktur, so Fröhlich, er sei angelegt wie ein Kreis. „Geht diese Geschichte immer so weiter?“, will sie wissen.
Der Film sei schon chronologisch, so die Regisseurin, lediglich die Bilder aus der Dominikanischen Republik seien ein Rückgriff. Die Geschichte höre aber so offen auf wie sie begonnen habe. Sabine sei wieder in die Entgiftung/ Therapie gegangen, Dirk, ihr Bruder, habe noch auf einen Platz warten müssen. Der Film zeige eineinhalb Tage, an denen sich der Zustand auf dem Level von „Nicht-Rausgehen“ gehalten habe. Die beiden „Darsteller“ hätten sich danach nicht wiedergesehen, erzählt Wandaogo.
Der Film biete die Zustandsbeschreibung eines bekannten Status Quo, formuliert ein Zuschauer. Was ihn nun interessiere, sei nicht, was „nach dem Film“ mit Sabine und Dirk geschah, sondern aufgrund welcher Ursachen die beiden überhaupt in die Abhängigkeit gekommen sind.
Die Gründe für diese Entwicklung liegen in den Lebensanschauungen der beiden, so die Regisseurin; sie habe den Film bewußt auf das Zusammenspiel zwischen Dirk und Sabine reduziert, die „klassischen Horrorklischees“ einer schlimmen Kindheit („deshalb und deshalb und deshalb“) habe sie nicht mit hineinnehmen wollen, obgleich es das bei Sabine zu Genüge gegeben habe. „Jeder versucht für sich, das Leben hinzukriegen. ,Woher‘ und ,warum‘ wollte ich nicht“.
Der Film zeige den Versuch, von der Sucht wegzukommen, so Fröhlich. Wenn zwei Leute das gemeinsam versuchten, gebe es ohnehin fast nie eine Chance auf Erfolg, sagt Britta Wandaogo: ,.Ein einsames Leben. Man hat eine Sache vor sich, die man schaffen will, muß. Dieser Zustand war es, den ich zeigen wollte.“
Susa Katz verzeichnet positiv, daß . die Geschichte nicht „vorerzählt“ werde. Derartige Geschichten kenne man tatsächlich schon genug. Habe sich die Regisseurin denn gefragt, für wen sie den Film machen wollte, fragt Katz. „Als ich einmal damit angefangen hatte, konnte ich mir diese Frage nicht mehr stellen“, antwortet Wandaogo schlicht.
Sabine Fröhlich möchte wissen, wie die Regisseurin ihre Rolle während des Filmens empfunden habe. Sie sei ja präsent, gleichsam „mitverwickelt“ gewesen. „Du fängst an und dann fängst du auch an“, antwortet die Regisseurin, worauf Sabine Fröhlich ihre Frage wiederholt. Ihre Rolle sei schwieriger gewesen, als sie nicht gedreht hätten, spricht Britta Wandaogo und erzählt erneut, daß sie nicht in die klassischen Klischees habe hineingeraten wollen.
Eine Frau aus dem Publikum zeigt sich sehr angetan von dem Film, es habe äußerst ausdrucksstarke Bilder gegeben. Ob sich Wandaogo Gedanken gemacht habe über die Funktion der Einzelbilder, über Photographie. „Ich fühl‘ mich hinter der Kamera relativ sicher, wenn sie einmal an ist“, lautet die spontane Antwort, die beste Situation sei es, wenn man nicht groß überlegen müsse.
Ob der Einsatz der Musik Kommentarfunktion gehabt habe, fragt Sabine Fröhlich. Nein, die Musik sei mehr „so zufällig“ und sowieso sei der Film aus Facetten entstanden.
Ihr werde in Erinnerung bleiben, wie und daß Sabine in dem Film formuliert, sie hätte fünf Jahre ihres Lebens verloren, sagt eine Zuschauerin, NICHT GELEBTES LEBEN. In dieser Stärke habe ihr das noch kein Film über diese Problematik vermittelt.
Der Variantenreichtum der Tonebene wurde noch gelobt, die Tatsache, daß Alltagsleben im Vordergrund gestanden hätte. Der Film sei nicht missionarisch. Man lerne zwei Menschen kennen, obgleich sie nur über einen kurzen Zeitraum beobachtet worden seien. Formal sei der Film wunderbar gelöst.
Der Film habe die Stärke, daß er – trotz Betroffenheit, die er auslöse – nicht lähme und dennoch eine Erfahrung vermittle, so Fröhlich. Sie habe Betroffenheit nicht als Ausgangspunkt nehmen wollen, einen Film über „bedeutungsschwangere Themen“ zu produzieren sei immer ein Balanceakt, spricht Wandaogo.
Die durch die Bilder des Films schimmernde „Wärme des BlicksH sei die Ursache dafür, daß man sich diesen Film überhaupt ansehen und ihn ertragen könne, bemerkt eine Frau aus dem Publikum.
Drogenabhängige, Mostar, Behinderte …, die dadurch entstehende Betroffenheit bringe doch letzten Endes überhaupt nichts, formuliert ein Diskussionsteilnehmer auf der Suche nach der „Sinnhaftigkeit“ so eines Festivals, wie er resigniert einräumt. Dies sei natürlich ein allgemeines Rezipientenproblem. Die Inhalte spielten eine große Rolle, aber „ich kann nicht glauben, daß sich die Leute, wenn sie nach Hause gehen, weiter darüber Gedanken machen“.
Jedenfalls sei der Film nicht voyeuristisch, rettet Susa Katz den Weltschmerz. Was „Voyeurismus“ im Dokumentarfilm überhaupt bedeute, will daraufhin jemand wissen. Eine gute Frage sei dies, so Ruzicka, ein gutes Thema für die nächste Filmwoche…