Film

Die Regierung
von Christian Davi
CH 1997 | 78 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
13.11.1997

Diskussion
Podium: Christian Davi
Moderation: Didi Danquart, Sabine Fröhlich
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Wie spricht es sich über Dokumentarfilme, deren Protagonisten nur unter Beachtung besonderer Schutzrechte wahrgenommen werden können, deren Themen die Kategorie des Ästhetischen fast auszuschließen scheinen? Meist spricht es sich darüber im Gestus der Betroffenheit oder Empörung, der affektiven Emphase auch, selten jedenfalls formkritisch. So setzt auch die Diskussion der „Regierung“ mit einem mehrstimmigen Lob der „Wärme“ und „Nähe“ ein, die der Film vermittelt habe. Begeistert Thomas Rothschild („großartig!“), der wie schon im Film von Elfi Mikesch die Liebesfähigkeit und den Liebeshunger der behinderten Protagonisten verspürt hat: Da gibt es jene atemverschlagenden Momente, „grandios und schrecklich“, die Isolation und Nähe gleichermaßen zugespitzt auf den Punkt bringen. Wenn die folgende Diskussion dennoch über die humanitäre Schwerkraft des Themas und bisweilen auch über den einzelnen Film hinausgreift, so verdankt sich das zum einen wohl der Musik, zum anderen der Insistenz mancher Fragesteller.

Zur Musik gibt es Nachfragen. Wie vollzieht sich eigentlich die „erstaunliche Verwandlung“ der Protagonisten, die der Film ausblendet (Fröhlich)? Warum erfreut sich gerade diese Gruppe so großer Popularität in der Schweiz (Danquart)? In welchem Sinne handelt es sich bei den Stücken tatsächlich um Kompositionen, die geprobt und reproduziert werden können? Geübt werde das Ernstnehmen, das Aufeinander-Hören, erklärt Regisseur Davi, bei der Aufführung sei dann immer ein Großteil Improvisation dabei. Und warum war nicht mehr davon zu sehen? Dem wird später entgegnet, der Film sei schließlich nicht in die Falle gegangen, „Vorzeige-Behinderte vor jubelndem Publikum“ zu präsentieren, und ein anderer Zuschauer verweist auf die durchgängige Präsenz der Musik als Soundtrack – „das genügt“.

Wichtiger als Quantifizierung ist aber wohl die Frage nach dem qualitativen Status der Musik: Kann oder muß man diese Protagonisten nicht in erster Linie „als Musiker ernstnehmen“ und hätte das nicht eine ganz andere Optik erschließen können? Vorgeschlagen wird also ein Zugang über die Arbeit an der Musik, dem die Behinderung ein bloß untergeordnetes Thema hätte sein können. Auf die Frage nach dem Selbstverständnis der Musiker zitiert Christian Davi einen der Protagonisten: Der verstehe unter ,rechter Arbeit‘ eben nicht das Klavierspielen, sondern die Profession des Klavierbauers. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Film-Dramaturgie angesprochen: Zogen da nicht Momente im Fluß der Situationen vorüber, die durch prägnantere Strukturierung jenes Grundgefühl der Wärme noch hätten verstärken können? Cutterin Myriam Flury gibt dazu Auskunft über den nicht immer einfachen Umgang mit der Länge der Szenen, und Davi besteht auf seiner Grundaussage: „Die Regierung“ soll gerade nicht den Eindruck vermitteln, als helfe der Erfolg über alles hinweg; die Stoßrichtung sei eine andere: Es braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen und mit den Behinderten leben.

Grundsätzlich spricht Christian Davi nun von ,Menschen‘, die unter anderem eben auch behindert sind, und Behinderten, die einen Ort brauchen, an dem sie einfach ,Mensch‘ sein können. Hier schließt nun Didi Danquart einen Versuch an, „über den Film hinaus zu sprechen“ und die soziale Marginalisierung von Behinderten zum Thema zu machen. Auch Thomas Rothschild artikulierte schon die „Angst im Hinterkopf“, daß eine gewisse Konjunktur solcher Filme eine gegenläufige, nämlich ausgrenzende Tendenz in der Gesellschaft widerspiegle. Die Einrichtung von Idyllen und ,warmen Nestern‘ am Gesellschaftsrand löst dieses Problem gerade nicht. An diesem Ort integrieren aber die Behinderten die Normalen! sagt Davi; und er beharrt mit seinem Plädoyer für ein Engagement Einzelner zuletzt auf dem Primat des individuell zu trainierenden Gewissens.

Der Frage Danquarts, warum eigentlich in der Darstellung Behinderter die ,unangenehmen Seiten‘ stets ausgespart bleiben müssen, hält der Regisseur schlicht entgegen, daß die ,schlechten Phasen‘ seiner Protagonisten bereits vorüber seien. Verteidigend schaltet sich Rothschild ein: Es sei bei einem solchen Thema gestattet, taktisch und pädagogisch vorzugehen, um herrschende Vorurteilsstrukturen aufzubrechen. Er habe in einem solchen Fall kein Bedürfnis nach ,der ganzen Wahrheit‘. Dem agitatorischen Interesse und der guten Absicht ist im Prinzip wohl kaum zu widersprechen, doch fragt sich nun Werner Ruzicka nach der Crux des pädagogischen Duktus. Die Wärme, die Nähe, die alle gespürt haben – besteht da nicht die Gefahr, den Film als Surrogat zu nehmen? Ein entlastender Akt des Sehens, der für die Alltagsrealität folgenlos bleibt? Der Film nimmt dir die Annäherung nicht ab‘, antwortet ein Zuschauer mit eigener Erfahrung in der Behindertenbetreuung. Allerdings ist die berechtigte Besorgnis damit keineswegs beigelegt.

 © Ekko von Schwichow
© Ekko von Schwichow