Film

Fremde Ufer
von Volker Koepp
DE 1996 | 96 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
04.11.1996

Diskussion
Podium: Volker Koepp, Angelika Arnold (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Volker Koepps neuer Film Fremde Ufer nimmt das Thema seines vorhergehenden Films Kalte Heimat (1995) wieder auf: „Ich bin daran gewöhnt, da nochmal hinzugehen, wo ich schon mal war“ – viele von Koepps vorherigen Filmen entstanden im Ostelbischen, in der Landschaft und mit den Menschen dort. Koepps langjähriges Interesse an Ostpreußen entbrannte mit einem 62er-Gedichtband von Johannes Bobrowski, dessen Landschaftsbeschreibungen ihn fesselten und zu einem 12minütigen Porträtfilm über diesen Schriftsteller führten sowie später zu einem Film über einen Ostpreußen, der in die DDR übersiedelte. Die während der Dreharbeiten zu Kalte Heimat entstandene Freundschaft zu Olga, einer der Protagonistinnen des Films (und uns ebenfalls aus Kalte Heimat bekannt), führte zu mehreren Besuchen in Kalinigradskaja oblast, dem nördlichen Ostpreußen.

Koepp charakterisiert dies als seine eigene Art von Beharrungsvermögen oder Bodenständigkeit (allerdings ohne dessen negative Besetzung) oder auch als eine Art von Provinzialismus: Immer wieder dorthin zurückzukehren, wo man schon einmal war.

Ruzicka sieht darin eine Art der Erprobung von Menschen oder auch eine andere Art der Intensität des Erlebens von Mensch & Landschaft. Ostpreußen ist eine zerstörte Landschaft, in der Menschen leben, sagt Koepp, und: Ostpreußen ist jetzt eine „russische Landschaft“. Was das bedeute, wird gefragt: Zeigt der Film auf sentimentale Weise deutsche Schriftinserts, weil diese Landschaft nicht mehr von Deutschen besiedelt sei?

Olga, vorher nie landwirtschaftlich tätig, wird nun zur typisierten Deutschen: Überall in der Weit, wo Deutsche hinkommen, wird zuerst mal etwas angepflanzt. Und Stalin (selbst kein Russe) ließ alle Bauern umbringen, was zum Verlust der landwirtschaftlichen Tradition in Osteuropa führte. Menschen wie Olga, die aus eigener Initiative den Boden bestellen (die Weit ändern) sind suspekt für Russen, die kein persönliches Verhältnis zum Boden haben sondern für landwirtschaftliche „Arbeit“ in Kolchosen „Lohn“ beziehen.

Das Lied mit seiner „russischen Sentimentalität“ – am Ende des ersten Abschnitts, als der Sommer zu Ende und die Sonne unter-geht – führte die Diskussion zum Höhepunkt: Dieses Lied vom weiten Feld wurde von Koepp/Arnold beim Schnitt als passend empfunden; das erste Mal gehört bei den Aufnahmen im Friseursalon, trifft es Olgas Situation: Verheiratet mit einem Russen, der gerne in seiner Vergangenheit lebt und die Gegenwart verdrängt. An dieser Stelle beschwerte sich jemand über die unterschwellig ausgesprochenen Klischees vom „arbeitsscheuen, schlampigen Russen“ und der „russischen Vergangenheitssehnsucht“. Volker Koepp versteht diese Besorgnis, aber gerade die Russen selbst sind es, die diese Tugenden immer wieder hochhalten. Von Tschechows „Drei Schwestern“ bis zur aktuellen russischen Gegenwartsliteratur: immer wieder wird darüber geredet, daß das leben eigentlich schon vorbei und die Gegenwart suspekt ist.

„Schlampigkeit“ ist denn auch nur ein Vorwurf, wenn man selbst „Ordnung“ für einen großen Wert hält, meint Angela Haardt. Diese unterschwelligen, negativ besetzten Klischees stecken eher in uns als im Film.

Für Volker Koepp ist der Dokumentarfilm ein Bild der Wirklichkeit, nicht die Wirklichkeit selbst: Fremde Ufer als eine freundliche Beschreibung der Leute und der Weit, in der sie leben – hätte er sie denunzieren wollen, gäbe es genug Material dafür – und Fremde Ufer entstand aus der Sehnsucht, mit Leuten „freundlich zusammenzusein“, auch und gerade unter den Bedingungen der „Schlampigkeit“.

Als beeindruckendste Szene des Films wurden die beiden alten Frauen in der Küche gelobt, an denen sich die „Verpflanzung“ und die „Fremden Ufer“ bildlich und persönlich manifestieren.

Zum Abschluß der Diskussion wurde

– die Organisation des Materials erläutert: daß nämlich eine Cutterin, die bei den Dreharbeiten nicht dabei war, das Material mit mehr Abstand betrachtet als der Regisseur, der ins Rohmaterial viel mehr vom eigenen Erlebnis des Drehens hineinprojeziert

– und eine Anekdote erzählt: bei Koepps letztem Film Kalte Heimat rannte während der Vorführung vor den Protagonisten ein Darsteller schreiend raus und war noch Monate später empört, daß die Bewohner Ostpreußens „humanitäre Hilfe“ aus dem Westen erhalten: „Unsere Probleme müssen wir doch selbst lösen!“