Film

Emigration, N.Y.
von Egon Humer
AT 1995 | 188 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
05.11.1996

Diskussion
Podium: Egon Humer
Moderation: Sabine Fröhlich, Didi Danquart
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Sabine Fröhlich stellte der Diskussion kurz den film-biographischen Hintergrund Egon Humers voran: Als Autor und Regisseur zahlreicher Dokumentationen sei Egon Humer kein Unbekannter mehr, die Filme POSTADRESSE: 2640 SCHLÖGLMÜHL, RUNNING WILD und SCHULD UND GEDÄCHTNIS waren auf der Duisburger Filmwoche präsent und, so Sabine Fröhlich, bewegten sich an den“Randzonen der Gesellschaft”, versuchten, „die von der Gesellschaft Ausgeschlossenen“ zu thematisieren.

EMIGRATION, N.Y., so weiter Sabine Fröhlich, stelle dem Zuschauer zwölf ehemalige, Österreichische Staatsbürger vor, deren Schicksale stellvertretend für eine allgemeine ‚Geschichte der Emigration‘ Geltung beanspruchen können. Aus individuellen Biographien entstehe gleichsam eine allgemeinere Geschichte, ohne dabei den Blick auf die Einzelschicksale, die dem Zuschauer sehr nahe gebracht werden, zu verlieren. Auch mit Blick auf Dietrich Leders Vortrag „Erinnerung“ vermittle Humers Film den Eindruck, den Interviewten bei der Erinnerungsarbeit zuschauen zu können, womit deren Geschichte bis in die Jetztzeit hineinreiche. Die Verlusterfahrung der Emigranten werde, so Sabine Fröhlich, „ganz persönlich deutlich“.

Nun konnte Egon Humer zur Motivation des Films Stellung nehmen. in Abgrenzung zu seinen Filmen SCHULD UND GEDÄCHTNIS und DER TUNNEL sollte EMIGRATION, N.Y. kein Film über Täter werden, wenngleich auch keiner über Opfer. Vor allem die Gespräche mit Amoz Vogel, selbst ein Erzählender im Film, haben Humer zu diesem Film angeregt und ihm gleichzeitig die Weite des Themas eröffnet: Nur die Emigration österreichischer Juden zu dokumentieren, ohne die Vor- und Nachgeschichte miteinzubeziehen, sei ihm daraufhin unmöglich erschienen. Intensive Vorgespräche mit den Interviewten seien dem Projekt vorausgegangen – einerseits um eine Auswahl treffen zu können, aber auch um Vertrauen zu schaffen, die Interviewten als Menschen zu zeigen, in deren Biographien eine allgemeine Geschichte deutlich werde.

Trotz einfühlsamer Vorbereitung sei die Interviewsituation für Humer anfangs schwierig gewesen, da er als Osterreicher auch jenes Land, dem die Betroffenen entfliehen mußten, repräsentiert habe. Die Auswahl von ausgerechnet zwölf Emigranten verweise, wie eine Stimme des Auditoriums ganz richtig vermutete, auf den Topos der (zwölf) Geschworenen: Nicht als Opfer wollte Humer die Emigranten verstanden wissen, sondern eben als Geschworene einer Geschichte, die eine große Frage nach dem Erbe der Emigranten an die Gesellschaft stelle.

Zum Ende der Diskussion unterzog Martin Schaub die Auswahl der Gesprächspartner im Hinblick auf ihre repräsentative Funktion einer Kritik. Humer wollte ja Protagonisten, die ihre Geschichte (mit sprachlichen Mitteln) rekonstruieren können und dabei nicht vor der Kamera zusammenbrechen. Das historische Gerücht, wonach alle Emigranten an Schauspielschulen gearbeitet hätten, sah Schaub in der elaborierten Sprache der Interviewten bestätigt. Die Auswahl der Emigranten in Humers Film sei mitnichten repräsentativ – wenn das Protokoll diesen Einwurf richtig wahrgenommen hat, war das weniger als Vorwurf denn als Frage an den Autor gemeint….

Die Beredtsamkeit der Personen und die Dramaturgie des Films, die einen klassischen Wechsel von Dokument-Mensch-Dokument vorführe, verschenke, so Martin Schaub, die filmische Möglichkeit des Schweigens. Egon Humer verwies dann darauf, daß sich die Möglichkeit eines solchen Schweigens in seinem Film im „Zuhören des Tonbandes” und im Hören des Radios verwirkliche.

Die Problematik der Auswahl verleitete eine Zuschauerin zu Fragen bezüglich des Sprachgebrauchs (deutsch-englisch): Wurden Vorgaben gemacht, und wenn, haben diese möglicherweise die Subjektivität der Reden erschwert? Warum war die Reflexion der Interviewten über ihre Sprachwahl für den Film wichtig? Nein, Vorgaben bezüglich der Sprache habe es nicht gegeben, vielmehr sei die Zweisprachigkeit als Beleg des „Ausdrucks doppelter Beheimatung“ überaus wichtig. Und: Der Fragenkatalog sei erst im Prozeß der Vorgespräche entstanden – so der Autor.

Daß Humer die Interviewten nicht nur als Zeitzeugen präsentiert, sondern darüber hinaus die Geschichte dieser Vertreibung auch in ihrer akustischen und visuellen Dimension erzählt, indem er auf „authentisches” Radio- und Bildmaterial zurückgreift, wurde allenthalben gelobt. Auch Eva Hohenberger fand die Tondokumentationen „sehr schön“, die „Bebilderung“ des Films hingegen unterzog sie einer Kritik: Zu „wortwörtlich“ seien die Erzählungen der Emigranten mit Bildern unterlegt, „redundant“ erschien ihr diese Technik. Didi Danquart lobte die sehr genaue Arbeit mit einzelnen Bildern (so z.B. das Photo der Sitzbank mit dem Hinweis „Nur für Arier“). und doch ließen die „stills“ im zweiten Teil des Films die Interviews gleichsam zu Photographien werden. Auch sei nicht immer klar, ob der Einsatz von z.T. sehr bekannten Photodokumenten noch das Grauen herstellen könne, oder ob dieser Bildeinsatz nur als filmischer Hinweis funktioniere und im „oberflächlichen“ Festhalten der Orte des Grauens nur Hilflosigkeit wiedergebe. lars Henrik Goss sah durchaus eine differenzierte Behandlung des photographischen Materials im Film verwirklicht, unterstellte aber, daß durch den Einsatz der sehr bekannten Photos eine sentimentale Perspektive von außen an das Material gelegt werde. Humer stellte daraufhin noch einmal die verschiedenen Möglichkeiten des Einsatzes von Bildern in seinem Film vor: Das einen (historischen) Zustand belegende Photo aus dem Archiv, das Photo als Beleg der eigenen Geschichte, und solche Bilder, die ins eigene leben integriert seien (in EMIGRATION, N.Y. z.B. das Mauthausen-Bild). Die Archivbilder dienten einer „Erinnerungskultur“; ihre Stellung in Bezug auf die Interviews könne zwar z.T. losgelöst wirken, im Film aber hätten die Bilder einerseits die Funktion eines Beleges, andererseits dienten sie einer Konfrontation von Bildern und Menschen. Der Film, so Humer, sei eine „Bildstiftung” in Form eines Dialoges, der, so Hans-Dieter Grabe; besonders für Osterreich als Vergangenheitsbewältigung eminent wichtig sei.

Noch einmal – zum Ende des Gesprächs – versuchten Martin Schaub und andere Redner des Auditoriums die (Un-)Möglichkeiten des Einsatzes von Bildern über den Schrecken der NS-Zeit zu thematisieren. Nach 30, 40 Jahren sei der Einsatz „authentischer“ Bilder ein ganz anderer geworden, Photos verwiesen mittlerweile auf andere Photos oder Filme – schnell könne der Einsatz bekannter Bilder, die wie Zitate wirken, redundant erscheinen. Von daher komme der Formfrage im Film eine immer stärkere Bedeutung zu. Die Konstruiertheit der Bilder deutlich zu machen sei eine Strategie, dahinter zurückzugehen, eine andere.

Die verhaltene und konstruktive Kritik an Eugen Humers Dokumentation vermochte allerdings die vornehmlich beeindruckte Stimmung, das Gefühl von „Einbezogenheit und Betroffenheit“ (Werner Ruzicka) nicht zu mindern.