Film

Die Überlebenden
von Andres Veiel
DE 1996 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
08.11.1996

Diskussion
Podium: Andres Veiel, Lutz Reidemeier (Kamera)
Moderation: Susa Katz, Didi Danquart
Protokoll: Liane Schüller

Protokoll

Ein überraschender Diskussionsandrang nach einem überraschenden Zuschauerstrom. Die Wetten hatten dagegen gesprochen, „so früh am Morgen!“

Das Interesse richtete sich hurtig auf die Frage, warum einer der drei „nicht-überlebenden“ Protagonisten einen so breiten Raum innerhalb des Filmes eingeräumt bekommen habe, was die Motive dafür waren, daß es sich sozusagen um einen Film über die Figur des Thilo handle mit der Konsequenz, daß die beiden anderen (Rudi, Tilman) eigentümlich „fern“ blieben. Ein Gefühl von „Sich-Davonmachen“ habe sich eingestellt.

Der Regisseur wunderte sich über diesen Eindruck, sei es doch- ganz im Gegenteil – so gewesen, daß Tilman den Schwerpunkt gebildet, ihn am meisten „emotional“ beschäftigt habe. Die Fassungslosigkeit über den Umstand, daß sich „jemand einfach so aus dem leben schleiche“ habe ihn auf die Suche nach dem „Schlüssel“ geschickt, welcher die Tür zu der Erkenntnis öffne, warum Tilman sich getötet habe. Eine AURA DER EINSAMKEIT sollte transportiert werden, eine bewußte Reduktion. Zu guter Letzt sei er allein geblieben mit der Frage nach dem „Warum“ und beabsichtige auch, den Zuschauer damit allein zu lassen: ERFAHRUNG DER LEERSTELLE.

Der Film vermittle seiner Ansicht nach ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte über die Erfahrung des Fremden, der nach Möhring komme und ausgegrenzt werde (Rudi). „Erinnerung ist für mich Rekonstruktion“. Das Setzen von Bildern sei seine Interpretation, Annäherung, zurück blieben Fragmente, als habe man einen „Stein in einen Spiegel“ geworfen, formuliert Andres Veiel wie ein Märchenerzähler (was Bilder von „Schneeköniginnen“ evoziert, Bilder der Kälte) und prompt formuliert ein Diskussionsteilnehmer, das „Setzen der Bilder“ habe ihn „kalt“ gelassen, sei für ihn rein formal. Die „Nachkarrung“ der Bilder störe. Auf einer schwächeren Eben gäben sie einen Kommentar ab zu dem, was bereits anschaulich gesagt worden sei. Beispiel: Der Bauer erzählt, wie die „tragische Figur“ Rudi gleich einem „nassen Sack“ an der Reckstange hinge. Danach komme eine Einstellung der Reckstange. Das erinnere an „Explosiv“-Berichterstattung, spricht der Diskussionsteilnehmer, was den Regisseur böse werden läßt, denn er habe schließlich eine Nähe zu den Protagonisten und verbitte sich den Vergleich mit „Explosiv“.

Diese „Nähe“ sei auch spürbar, kommt aus der Runde, sie gehe jedoch durch die Rekonstruktion verloren, man spüre sie nur noch, sobald Menschen und Landschaften in Ruhe gezeigt würden, ansonsten erlebe man einen Verlust des Autors. .

Er habe sich um ein „Wechselbad von Nähe und Distanz“ bemüht, um einen „Wechselprozeß(?) des Erinnerns“. Diese Erfahrung habe er in die Form einzubringen gesucht, erzählte Veiel und weiter, auf die Frage nach dem Wissen um eine potentielle Verbindung der drei Suizide, daß er gern mehr gewußt hätte über die Hintergründe. Er habe sich auf eine Vielzahl von Mutmaßungen stützen müssen. Thilo bspw. habe er zwar gut gekannt, aber dieser habe die Eigentümlichkeit gehabt „Ministerfreundschaften“ zu pflegen (=jeder Freund ist zuständig für eine bestimmte „Sparte)“. Veiel habe dabei die Bereiche „POLITIK, ANARCHIE UND FRAUEN“ abgedeckt – empörtes?, höhnisches? Schmunzeln im Publikum – . Aus diesem Grunde seien ihm einige Zusammenhänge im leben Thilos verschlossen geblieben. Gleiches gelte für Rudi. Sei dieser nun „schwul“ gewesen, habe dieser nun „Aids“ gehabt? Was bliebe, sei die Ratlosigkeit, Eindeutigkeit nicht möglich. „Mehr an Verkettung kann ich nicht liefern“, sprach Veiel und verwies dankbar auf Reineckes Formulierung der „Dramaturgie der Enttäuschung“.

Auf Urs Grafs Einwurf, der Film wirke da stark, wo Räume blieben für die Phantasien des Zuschauers, erzählte Lutz Reidemeier, das Filmteam habe sich so intensiv mit den drei Protagonisten befaßt, daß es „eben auch zu den Orten ging“ (wie der Wendeltreppe, der Garage). Mit der Kamera sei er sozusagen in die Rolle eines Schauspielers geschlüpft. Man habe lange untereinander diskutiert, ob man selber in einer Situation, die eine Selbsttötung möglich macht, gewesen sein müsse, um NACHZUSTELLEN; NACHZULEBEN. „Ausschließlichkeit der Blicke“.

Bilder sind ephemer, das Rennen, Gänge, Herumirren. Gleichzeitig erzeugten die Bilder Stimmungen, so Didi Danquart, worauf der Regisseur erläuterte, er wisse, welche Atmosphäre, Stimmung, Farbtemperatur er haben wolle und vermittle dies dem Kameramann

Eine Qualität des Films sei, so aus dem Publikum, daß er das gängige Muster: Frage zu Beginn Antwort am Ende permutiere, dies sei dramaturgisch schön, indem der Film verdeutliche, „wir haben keine Antwort und können auch keine liefern“. Auch wie er anhand kleiner Mosaiksteine die Typologie einer ganze Generation erzähle, sei bemerkenswert.

Abschließend betonte Didi Danquart die „Eleganz“ der Übersetzung des Schwäbischen ins Englische (Untertitel) – nicht ins Hochdeutsche – und interessierte sich dafür, warum der Bauer eine so starke Figur geworden sei, so breiten Raum bekommen habe. Worauf Veiel zurückgab, dieser Bauer sei derjenige der „Überlebenden“ gewesen, der am meisten „zu sagen gehabt“, „gut beobachtet“ und noch immer „Nähe“ habe. Schließlich habe auch seine „pointierte Redeweise“ bestochen.

Und schloß mit der schönen, bezeichnenden Frage: „Ist nicht auch hinter seiner Selbstherrlichkeit eine Erschütterbarkeit?“