Film

A Tickle in the Heart
von Stefan Schwietert
DE/CH 1996 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
04.11.1996

Diskussion
Podium: Stefan Schwietert, Thomas Kufus (Buch)
Moderation: Susa Katz, Didi Danquart
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Zu später Stunde, am ersten Abend der Duisburger Filmwoche gewährte ‚A tickle in the heart“ klangvolle Einblicke in ein „Wartezimmer Gottes“ (Julie Epstein, portraitierter Klezmer-Musiker). Die elegante Montage des Films, das artifizielle Schwarz-Weiß in Verbindung mit einem historisch und moralisch hochaufgeladenen Thema – der jüdischen Klezmer-Musik – luden zu einer streitfreudigen Diskussion geradezu ein und so griff das Duisburger Auditorium teilweise tief in die Kiste des kritischen Inventars.

Doch bevor man sich auf die Wiesengründe der Kritik begab, reichte Stelen Schwietert Hintergründe zum Filmprojekt nach: Der Besuch eines Klezmer-Konzerts in New York führte über junge Musiker auf die Spur der Epsteins und eröffnete von da aus immer tiefere Einblicke in eine Mischung aus Musik, jüdischer Kultur und american way of life. Diese Mischung habe dann auch die Entscheidung vorgegeben, kein klassisches Künstlerportrait der Epsteinbrüder zu zeichnen. Das dokumentarische Interesse der Autoren sei zunächst auf Mißtrauen und Unverständnis bei den Epsteins gestoßen, welche den finanziellen .Ertrag des Projekts in Zweifel stellten, und denen darüberhinaus ein historisches Interesse von europäischen Nicht-Juden an einer jüdischen Kultur durchaus unverständlich blieb.

Das merkantile Mißtrauen ließ sich, wenn schon nicht überwinden, so doch in einer Situation des besseren Kennenlernens mindern; die Differenz von Geschichte und einem merkwürdigen, a-historischen Bewußtsein blieb jedoch bestehen. Der Einbruch des Geschichtlichen, im Medium der Musik künstlerisch immer mitthematisiert, wurde in der filmischen Erzählung erst in der Reise an den Herkunftsort dramaturgisch sichtbar, blieb aber auch dort merkwürdig indifferent. Das Bedürfnis des Auditoriums nach einer genaueren Situierung im historischen Raum äußerte sich in Fragen nach Vertreibung der Eitern, möglichen Pogromen, usw. – Fragen, deren gewohnte Beantwortung nach Auskunft der Autoren die Epsteins selbst – und somit mittelbar dann der Film – schuldig blieben. Orts- und Straßennamen, die Hausnummer des elterlichen Hauses , dieses Wenige, Unbedeutende hatten die Epsteins dem Vergessen entrungen ·die Tatsache, daß diese abstrakten Orte und Namen mittlerweile polnisch besiedelt sind, daß eine Mauer gefallen ist usw. entzog sich aber dem Bewußtsein der Protagonisten.

Sicherlich nicht nur für Duisburger Augen ungewöhnliche Bilder: Die quasi letzten authentischen Träger einer jüdischen Kultur reisen an die Orte des Ursprungs und der Vernichtung und wirken doch wie „Don Quijotes“ (Stefan Schwietert), die sich ihrer eigenen Funktion nicht bewußt sind, die von gerade der Kultur, die sie repräsentieren, nichts wissen. Daß der Film dennoch in der Begegnung mit der Geschichte – und hier v.a. im Medium der Musik – einen kostbaren Moment der Erinnerung festhält, befand Werner Ruzicka. Doch die ‚full-circle‘-Philosophie der Epsteins, deren Leben in der Renaissance der Klezmer-Musik zu ihren Ursprüngen zurückgekommen ist, habe dann auch den Film (immer) wieder ins aktuelle, amerikanische ‚Ghetto‘ Florida zurückführen müssen – so Schwietert auf die Frage, warum der Film nicht in den Sequenzen der Europareise sein Ende gefunden habe. Ein solches Ende hätte darüberhinaus sentimentalisch eine nur vordergründige Versöhnung mit der Geschichte suggeriert. Doch der Verdacht, die Reise in die Geschichte stehe als filmische Argumentation einer historischen im Wege, hielt sich in weiten Teilen des Auditoriums: Obschon Brüche in den Persönlichkeiten und ihrem Umgang mit der historischen Identität im Film ausgemacht werden können, verschneide der Film in seiner eleganten Montage die Möglichkeit zu weiterer Reflexion. Auch in der Entscheidung, Schwarz – Weiß zu drehen, mochte Constantin Wulff nur eine nostalgische Oberflächlichkeit erkennen, welche die Brüche innerhalb der Geschichte nicht deutlich genug hervortreten lasse. Schwietert hingegen betonte den Gewinn an Abstraktion durch Schwarz -Weiß, die Möglichkeit, verschiedene (räumliche) Ebenen miteinander zu verbinden und dem Klischee vom Rosa – Flamingo – Bild „Florida“ zu entkommen.

Dem Vorwurf der Glätte begegneten Schwietert und Kufus mit dem Verweis auf eben jenes amerikanische Lebenskonzept der Epsteins, welches von Geschichte relativ unberührt geblieben und dann quasi auch zum Konzept des Films geworden sei. Die Unmöglichkeit einer (europäischen) Betrachtung, dieser Erzählung keinen Subtext des Holocaustes zu unterlegen, erzeugte im Auditorium das Unbehagen über ein dokumentiertes Bewußtsein, das nicht alterslos, aber a-historisch zu sein scheint.

Leben – Hobby – Musik, das ist die programmtische Formel von Film und Protagonisten gleichermaßen, deren Geschlossenheit in den Augen vieler Diskussionsteilnehmer nur in wenigen Momenten des Films aufbricht, über die Anlaß und Zeit zur Reflektion aber im Medium der Filmmusik gegeben wird – so jedenfalls die Autoren. Entgegen der Behauptung aus dem Auditorium, daß noch Auschwitz eine so merkantil wirkende Reanimierung jüdischer Musik eigentlich nur Müll sein kann, sah eine Zuschauerin die kollektive Erinnerung in der Klezmer-Musik über die geschichtsresistenten Protagonisten hinaus bewahrt.

Die Präsentation der Musik und ihre Funktion im Kontext der Bilder, lud zu weiteren Reflexionen ein: Werner Ruzicka bedauerte, niemals ein Musikstück gänzlich gehört zu haben und er mochte mangelnde Körperlichkeit der Musik aus. Didi Danquart vermißte eine Verbindung von Schnitt und Musik, doch verwies Schwietert auf die dramaturgische und thematische Verschachtelung von Musik und Handlung; nicht zu· 1etzt durch die Arbeit des Cutters, der ansonsten Filmmusik komponiere, habe der Film eine sehr musikalische Gestaltung erfahren. Daß ein ausgeprägter Gestaltungswille die Produktion geleitet hat, vermochte niemand an diesem Abend in Duisburg zu leugnen. Doch der Verdacht, daß diese Qualität gleichzeitig einen emfundenen Mangel an Brüchigkeit mit sich bringt, hielt sich hartnäckig bei weiten Teilen des Auditoriums, auch wenn wirklich Musik im Film war…