Film

Letzter Abschied UdSSR
von Alexander Rodnyansky
DE/UK 1994 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
11.11.1994

Diskussion
Podium: Alexander Rodnyansky, Claudia Tronnier (Redaktion)
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Peter Rehberg

Protokoll

Goodbye hieß der Abschied von Alexander Rodyansky vor zwei Jahren in Duisburg; heute ist es ein letzter. Vielleicht ein letztes Wort, fragte Klaus Kreimeier.

Im Blick, der das 20. Jahrhundert retrospektiv durchläuft, fängt sich eine Traurigkeit. Unwillkürlich werden im Abschied Bilder aufgerufen, die das imaginäre Museum 20. Jahrhunderts bereithält. Der Autorfilmer gibt sich einer Arbeit hin, bei der versteckte Filmaufnahmen des Großvaters unterm Bett hervorkommen – das sind die Orte des Unbewußten – oder russische Kinofilme der 20er Jahre erinnert werden. Dabei tritt die Katastrophe ins Licht.

Unendlicher Krieg, unendliche Schreie.

Seine Sammlung wünscht sich Rodnyansky später eingelagert im Bildarchiv, das das 20. Jahrhundert technisch produziert hat.

Sammeln, Archivieren, Aufheben: dahin zielt sein Ehrgeiz.

Auch wenn der erste, zweite Weltkrieg und die Gegenwart als Stationen genannt werden können, geht es nicht um eine lineare Geschichtsschreibung; der Krieg hört nicht auf. Mit einem kühnen historischen Bogen wird ein Zeitraum eröffnet, der sich über ästhetische Bezüge vermittelt, ein Überlicht strahlt aus vergangenen Filmaufnahmen in die Gegenwort einer Gefängniszelle hinein. Diese Feinheiten wurden versammelt goutiert.

Die Topographie dieses Zeitraumes entfaltet sich zwischen Ukraine, Weißrußland, Rußland und Deutschland. ln dieser Zone hat eine Konstellation statt, die unter eurozentristischem Blick das Ende des 20. Jahrhunderts bedeutet: Der Zusammenbruch der UdSSR, der Abzug der sowjetischen Armee und die Wiedervereinigung Deutschlands.

Mit diesen Koordinaten stellt sich die Frage nach der Schuld.

Eine Frau besucht ihren Vater im Gefängnis, der zum Tode verurteilt worden ist, weil er während des 2. Weltkrieges an einem Judenmassaker beteiligt war.

Der alte Mann weint immerzu.

Eine andere kämpft für die Errichtung eines jüdischen Mahnmals, das es nicht geben wird. Der Mann wird hingerichtet, die andere Frau wandert noch Israel aus.

Die Schuld verschwindet in einem schwarzen Loch, so heißt es einmal im Film. Rodnyansky nennt seine Figuren alle „Opfer“. Claudia Tronnier sah auch Täter. Vielleicht zirkuliert die Schuld, ohne sich als Opfer/Täter-logik festzuschreiben.

Symptomatisch für ein Ende der Geschichte ist wie die schwierige Frage der Schuld auch die der Hoffnung. Die Protestgeste der Perestroika ist in ein paar Jahren schon zur Langeweile gelähmt. Ende der Achtziger Jahre konnten die Panzer in den Straßen Moskaus paradoxerweise noch ein Symbol der Hoffnung sein; die gesellschaftliche Veränderung zeigte sich im Gebrauch der staatlachen Macht gegen das Volk.

Das war 40 Jahre lang nicht zu sehen gewesen.

Jetzt findet sich im Verfall von Staatlichkeit kein Widerstand mehr. Man kann es auch so sagen: Die Überlebenschancen stehen fifty-fifty, im andauernden Bürgerkriegszustand genauso wie im Raum der  giftigen Landschaft von Tschernobyl, wohin ein deutscher Besatzungssoldat heimkehrt. Hier darf man nicht leben.

Die Ruinen des Imperiums.

Ruinös· ruinesk, flüstert Dietrich Leder.

Was bleibt in dieser Zerfallsweit?

Einem fällt ein: die Schlechtigkeit des Menschen. Naja. ·

Vielleicht, in ein paar Jahren wird eine Trilogie geschlossen, meint Rodnyansky. Mit der neuen Generation in Rußland. Kein letztes Wort, also.