Film

Beruf Neonazi
von Winfried Bonengel
DE 1993 | 83 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
11.11.1993

Diskussion
Podium: Winfried Bonengel, Johannes Feindt (Kamera)
Moderation: Werner Ružička, Klaus Kreimeier
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Von Anfang an verlagert sich die Diskussion ins Publikum, aus dem ein Kreuzfeuer von Stimmen dringt. Die zwischen Betroffenheit und zornigem Engagement schillernden Zuschauerreaktionen stehen in einem harschen Gegensatz zu der an Indolenz rührenden Gelassenheit des Regisseurs Winfried Bonengel Um eine Gleichmütigkeit handelt es sich, die wohl nur als Ausläufer der nivellierten Perspektivik seines Films verbucht werden kann. Möglicherweise zeigt sich da auch nur die Unfähigkeit, infolge einer mangelhaften Auseinandersetzung mit der brisanten Thematik seines eigenen Films, eine konzise Position einzunehmen und zu präzisieren.

Werner Ruzicka leitet die Diskussion mit der Frage nach der matriziellen Idee des Films ein, auf die er bis zum Ende keine klare Antwort erhalten soll. Winfried Bonengel klammert den politischen Aspekt des Films von vornherein aus und geht lediglich auf die Präsentation des Neonazis Ewald Althans ein. Er betont, er habe Althans ausschließlich in seiner „beruflichen“ Rolle, also in seiner neonazistischen Aktivität, porträtieren wollen, wohingegen private Umstände aus Althans• Leben, wie beispielsweise seine Homosexualität, keine Berücksichtigung erfahren hätten. Diese Grenzziehung lasse sich jedoch nicht, wie Bonengel hinzufügt, auf seine eigene Entscheidung zurückführen, sondern folge einem Diktat Althans‘. Für den Wunsch, einen unangetastenen privaten Bereich zu wahren, habe er allerdings vollstes Verständnis. Dieses filmische Visier, welches den Neonazi Althans als „Handwerker“ facettieren möchte, läßt als konzeptueller Minimalismus einer als Objektivität bezeichneten Kritiklosigkeit freien Lauf. Die Intention des Films, so Winfried Bonengel, konzentriere sich auf die Charakterisierung der Persönlichkeit Althans, von dem ein Charisma des zugleich tückischen und Psychopathischen, eine Faszination des Bösen ausgehe.

Auf Befürchtungen seitens des Publikums, ob denn der Protagonist des Films eine solche Darstellungsweise nicht im Hinblick auf bestimmte Zuschauerkreise zur Selbstinszenierung und Imagepflege mißbrauchen könne, geht der Regisseur nicht ein. Im ersten Teil der Diskussion kommt die Debattierung der provokanten Ausschwitz-Szene zum Tragen, und es stellt sich die Frage: Wie weit darf man gehen, oder besser, wie weit darf man kommentarlos gehen?

Bezüglich der Ausschwitz-Szene vermißt ein Diskussionsteilnehmer eine eindeutigere Explikation dessen, was Ausschwitz wirklich war. Die prekäre Situation wegsterbender Zeitzeugen wie auch die Degeneration des Konzentrationslagers zum Ausstellungsgelände im Zuge eines immer laxer werdenden historischen (Schuld-)Bewußtseins, bedeute den intensiven Bedarf eines filmischen Konzepts, das Klartext spricht. Angesichts dieser Situation sei die Entwicklung innovativer Darstellungsmethoden erforderlich, um die nationalsozialistische Problematik in einer den Erfordernissen der heutigen Zeit adäquaten Weise zu vermitteln. Der Regisseur kann hierauf nur mit dem ausweichenden Einwand reagieren, daß in der Intention seines Films eine wissenschaftliche Adaption des Themas Ausschwitz nicht vermerkt sei.

Eine Diskussionsteilnehmerin bilanziert ihren persönlichen Althans-Eindruck: imbezil, größenwohnsinnig und pubertär. Im gleichen Zug kritisiert sie die batmanhafte Szene, in der Althans, eine Nosferatu-Reminiszenz wachrufend, mit wehendem Mantel durch Straßenschluchten schreitet. Darauf hätte man doch wirklich verzichten können. Klaus Kreimeier interveniert mit der Bemerkung, daß die Massenwirkung bis zum Pathologischen verklemmter Typen historisch gesehen ja kein Einzelfall sei.

Winfried Bonengel unternimmt „den Versuch, sich gegen Publikumsstimmen, die eine kritischere Durchmusterung des Materials erwünscht hätten, mit dem Beweis eines Willens zum Zeigen zu rehabilitieren. Nach dem Fall der Mauer sei in Deutschland eine rechtsradikal virulente Anarchie ausgebrochen, die er hätte zeigen wollen und zwar auf seine – mimetische – Weise. Johann Feindt akzentuiert an dieser Stelle die Verantwortlichkeit von Medien und Filmemachern den neonazistischen Tendenzen gegenüber, welche katastrophische Ausmaße annehmen würden. Es handle sich um eine Problematik, welche Kompetenz und Zuständigkeitsbereich der teilweise ohnmächtigen Kommunen überschreite, und gerade deshalb müsse jene der Öffentlichkeit in flagranter Form zugänglich gemacht werden.

Erneut wenden sich die Diskussionsteilnehmer der Darstellungstechnik des Films zu, um sich in zwei Fronten zu spalten. Die eine Partei honoriert die aperspektivische Belichtung der Thematik. Die Schematisierung vorgestanzter Gut-Böse-Strukturen, die ia doch nur unzeitgemäße und oberflächliche Pädagogisierungen erzielen könne, werde auf diese Weise überwunden. Als realitätsnahe Logensondierung wird Bonengels Film aufgefaßt, der eine nüchterne Porträtierung, nicht aber verzerrte Dämonisierung des Neonazis Althans anvisiere. Wiewohl, so beschneidet der Zuschauer sein Lob, der Film an einigen Stellen Gefahr laufe, in eine prekäre Ästhetisierung Althans‘ Figur abzudriften. Die Spekulation derer, die die perspektivische Neutralität des Films favorisieren, geht in die Richtung, daß sich nur so ein komplexeres Verständnis der Persönlichkeitsstruktur Althans‘ durchpausen werde. ln genau dieser Weise argumentiert auch der Regisseur. Dagegen erhebt sich eine andere Zuschauerstimme: Wie solle eine solche Problematik im Profil erkannt werden – insbesondere von Zuschauern, die nicht tagtäglich in intellektuelles Cliquen zirkulieren –, wenn sie vom Film in keiner Weise analytisch profiliert werde? Dokumentarfilmkriterien objektiver Darstellung, so ein weiterer Einspruch, sollten nicht derartig vorbehaltlos auf Themen dieser Art angewendet werden.

Allgemein vermißt das Publikum die Gräte im Hals des Films. Zumindest der Standpunkt des Regisseurs müsse doch klar erkenntlich sein. Kommentar und Gegenargumente seien unabdinglich insbesondere bei Filmen dieser Art, bei denen die Tendenz, sich unreflektiert an das inhaltliche Substrat zu verlieren, fatale Folgen noch sich ziehen könne. Ein Zuschauer plädiert, daß man bei einigen Filmszenen, in erster Linie der in Auschwitz gedrehten, unbedingt hätte interferieren müssen, um den Film nicht selbst in ein diffuses Licht geraten zu lassen. Desweiteren kritisiert er die Reduzierung der Abbildung Althans‘ als einen Exponenten der neonazistischen Tendenz im allgemeinen auf eine rein pathologische Betrachtungsfolie. Die Zusammenstauchung der Problematik auf eine monomane Führerneurose sei äußerst blickverstellend.

Eine Zuschauerin schildert die Horrorvision einer Befürchtung. Der Film könne, anstatt etwa Betroffenheit unter den Zuschauern zu generieren, einen genau entgegengesetzten Effekt haben. Das Negativimage des kahlköpfigen, verpickelten, glasig dreinblickenden Skinheads könne aufpoliert werden zum Nazi-Yuppie als Epiphanie des Übergermanen: der arrivierte Skinhead als identifikable Größe …… Das klingt lustig, dabei war’s olles eher traurig, und traurig endete auch die Diskussion. Winfried Bonengel ging noch einmal auf einige biographische Details aus Althans‘ Leben ein. Eine unglückliche Liebe und die Ausbürgerung aus dem elterlichen Hause hätten ein Haßpotential freigesetzt, welches sich als antigesellschaftliche, neonazistische Agilität entlade. Diese wiederum im psychologischen Register verhaftete Schmalspurerklärung verbleibt wieder einmal an der Oberfläche. Ein Staubgemisch von Stimmen rauscht mit gemischten Gefühlen langsam aus dem Diskussionsraum.