Film

Schuld und Gedächtnis
von Egon Humer
AT 1992 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 16
1992

Diskussion
Podium: Egon Humer
Moderation: Didi Danquart, Werner Ružička
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Die Diskussion über SCHULD UND GEDÄCHTNIS konzentrierte sich wesentlich auf Aspekte möglicher Wirkungen dieses Films, erörtert anhand der Frage (oder Forderung) nach einer erkennbaren Position des Autors, fernerhin am Umgang mit historischen Bildern.

Die Auseinandersetzung begann mit dem Kommentar eines Zuschauers, ihn habe der Film schockiert, denn es genüge nicht, sich auf die bloße Dokumentation einer gewiß jedermann einsehbaren, abstrusen faschistischen Ideologie zu verlassen, deren Vertreter schlicht in ihrer „verqueren Logik“ zu Wort kommen zu lassen: Hier fehle eine klare Haltung. Der Kritik, SCHULD UND GEDÄCHTNIS könne insofern auch als NPD-Propaganda gelesen werden, schloß sich Theda Kluth an. Sie erinnerte an Roberto Ciullis Vortrag desselben Nachmittags: Ungestraft werde von den Protagonisten nationalsozialistisches Gedankengut weiträumig ausgebreitet; das in den Reden der Gesprächspartner offenbare Ideologie-Potential werde womöglich von bestimmten Gruppen „gierig aufgesogen“, der Film sei zum Aufbewahrungsort solcher Reden geworden, kommentierten auch andere Zuschauer.

Ähnliches schien sich einer der Gesprächspartner Humers in SCHULD UND GEDÄCHTNIS gedacht zu haben: „Vielleicht machen wir das Interview, das sehen dann meine Nazi-Freunde“ erklärte Dr. Ramsauer dem Regisseur. Dieser begründete seine Motivation nun unter Hinweis auf die Befragung einer „zweiten Öffentlichkeit“ (jener der – vielbeschworenen- Stammtische): Eine abstrakte Täterschaft habe sich während der Arbeit für ihn relativiert, er habe sich erst anhand historischer Bilder die in Begriffen wie ‚Progrom‘ verlorene Wirklichkeit vor Augen führen können – daher auch das Archivmaterial im Film.

Nachdem Humer die konkreten Entstehungszusammenhänge von SCHULD UND GEDÄCHTNIS erläutert hatte (das Projekt entwickelte sich aus dem über eine Auftragsproduktion zustandegekommenen Kontakt mit Dr. Ramsauer), stellte ein Zuschauer allerdings die Frage, ob man solchen Interviewpartnern überhaupt Zusagen der vom Regisseur geschilderten Art (ausreden lassen, keine Kommentierung) machen dürfe. Ein Unbehagen mit dieser Arbeitsweise „auf Abmachungsbasis“ formulierte auch Gerd Kroske, der Humer nach einer Selbsteinordnung zwischen den verschiedensten Projekten – darunter RUNNING WILD – fragte: Das Angebot zur Selbstinszenierung der Protagonisten in RUNNING WILD wirke unangenehm. Wolfgang Borgfeld nahm kritisch auf diesen, schon zu Beginn des Festivals gezeigten Film bezug: Auch dort habe die Haltung des Filmemachers gefehlt, habe man infolgedessen nur gelernt, was man schon wußte.

Humer unterstrich dagegen, er habe sich auf die Gesprächspartner einlassen und mit den transportierten Inhalten eine Diskussion in Gang bringen wollen (tatsächlich werde SCHULD UND GEDÄCHTNIS in der Presse ausführlich diskutiert). Auch anderweitig an ihn herangetragene Ansprüche, sich konkret zur Position der Befragten zu verhalten (gar „körperlich aktiv zu werden“) habe er anders nicht erfüllen wollen.

Im weiteren Gesprächsverlauf kam es nun allerdings zu einer mißverständlichen Gleichsetzung der eingeforderten Haltung des Autors mit einem „dogmatischen“ Ruf nach einem Kommentar im Film, gegen den sich Thomas Rothschild verwahrte. Rothschild differenzierte im weiteren potentielle Rezipientengruppen, von denen nur die Unentschiedenen hier interessierten: Der Beweis, daß ein Film wie SCHULD UND GEDÄCHTNIS tatsächlich propagandistisch wirken könne, sei noch nicht erbracht. Nachdem Theda Kluth daran erinnert hatte, daß bei Jugendlichen mit einer anderen Wahrnehmung von Filmen zu rechnen sei (eigene Erfahrung: der als pazifistisch verstandene Film DIE BRÜCKE wurde als „toller Kriegsfilm mit viel Action“ aufgefaßt). vermutete eine Lehrerin, SCHULD UND GEDÄCHTNIS sei für Kinder wohl zu langweilig. Dem hielt Egon Humer entgegen, daß sein für den Einsatz in Schulen angekaufter Film dort in einer kürzeren Fassung, von zusätzlichem Material und Diskussionen begleitet vorgeführt werden solle.

Gegen die (so allerdings nirgendwo erhobene) Forderung nach einem Kommentar im Film wandte sich auch Irina Knochenhauer: Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Dokumentarfilms verlange auch die Abkehr von konventionellen Mitteln der Zuschauerbelehrung, sie halte es für eine Qualität von SCHULD UND GEDÄCHTNIS, daß mehrere Ebenen möglichen Verständnisses angelegt seien, dem Publikum eine eigene Position abverlangt werde. Ob denn die Angst vor Mißverständnissen, der das Bedürfnis nach Kommentierung entspringe, so groß sei, wollte Andrei Ujica wissen, ob nur „Tendenzdiskurse“ für möglich gelten sollten: „Werden diese Ungeheuerlichkeiten nicht von fast jedem auch als Ungeheuerlichkeiten verstanden?“ Irina Knochenhauer schloß ihre Bemerkungen mit einer deutlichen Ablehnung der Methode, „als Opfer Filme über Täter zu machen“ (Beispiel: Lea Rosh). Damit begebe man sich auf die Ebene der Täter.

Den Opfern des Nationalsozialismus, den Opfern der Protagonisten von SCHULD UND GEDÄCHTNIS also, galt dagegen der Redebeitrag Angelika Fingers: Einsatz und Auswahl der Archivbilder seien spekulativ, die Würde der Toten angetastet, die der Täter indes gewahrt worden. Das „knappe und heftige“ Vorzeigen von Leichenbergen unterscheide sich, indem es emotionalisierend eingeschoben werde, nicht mehr von vergleichbaren Bildern in fiktiven Kriegsfilmen. Dieser Kritik schloß sich Didi Danquart folgendermaßen an: Die Verwendung nationalsozialistischer Bilder von Zigeunern wirke im Redezusammenhang der angeblichen Asozialität dieser Zigeuner affirmativ; als Gegenbeweis zur Behauptung der Täter, das historische Material sei fingiert, die Massenvernichtung der Juden habe nicht stattgefunden, genüge die bloße Rezitation dieses Materials nicht. Eine solche „Nichtbearbeitung“ der Bilder sei problematisch. An dieser Stelle hätte sich eine genauere Analyse der Verwendbarkeit solcher Bilder anschließen lassen, wie sie verschiedene Redebeiträge nurmehr andeuteten: Die Frage etwa, ob im zeitgenössischen Kontext einer in den Medien omnipräsenten Gewalt und deren daraus folgender Irrealisierung nicht ein anderer Umgang mit Schreckensbildern der NS-Zeit nötig wird, wurde nicht gestellt. Tatsächlich ist aber die Widerlegbarkeit der Behauptungen von der ‚Auschwitzlüge‘ durch die bloße Kontrastierung mit solchen Bildern zumindest anfechtbar. Nicht zufällig gestand eine Zuschauerin ihr Erschrecken über die eigene „Abgebrühtheit“ angesichts der Bilder ein (Egon Humer bekundete hier, es sei ihm ähnlich gegangen).

Werner Ružička erklärte, die Korrespondenz der Bilder zu den Äußerungen der Gesprächspartner (in „gnadenloser Länge“) müsse jeder selbst herstellen. Seine Wertschätzung von SCHULD UND GEDÄCHTNIS begründete er mit der gelungenen Auswahl der Befragten, deren heute noch beeindruckende rhetorische Kompetenzen Rückschlüsse auf ihre frühere Wirkung zulasse, Einblicke in ihre Verführungskraft eröffne. Ružička wandte sich in diesem Sinne gegen „Versuche im Reden, den Film wegzupädagogisieren“: Die Faszination dieser Rhetorik sei nicht durch Begriffe abzuwehren, Möglichkeiten der Gegenwehr ergäben sich nur aus der genauen Kenntnis des Feindes. Den habe man in SCHULD UND GEDÄCHTNIS gut kennengelernt. Rebecca Harms beschrieb darauf ihr „Gefühl der Lähmung“ seit Rostock: Die verschiedenen Diskussionen, Filme und Vorträge in Duisburg (wie auch ein jüngst im SPIEGEL erschienener Essay*) hätten ihr zunehmend deutlich gemacht, daß ein Nichtverhalten in der derzeitigen Situation jeden „in die Nähe der Biedermänner rücken“, derjenigen also, die den Brandstiftern Tür und Tor öffnen: „Ich werde mich jetzt verhalten können.“ In eine ähnliche Richtung zielte der Beitrag von Lothar Schuster, der es für unmöglich hielt, „theoretisch Wirkungszusammenhänge“ des Films herzustellen: SCHULD UND GEDÄCHTNIS illustriere Adornos Beschreibung (in: „Grenzen der Aufklärung“) des Antisemitismus als eines paranoiden Wahnsystems, an dem Argumente wie Dokumente abprallten. Rechtsradikale Jugendliche seien jedoch nicht mit den „alten Herren“ im Film gleichzusetzen, und so müsse man auch an andere Formen der Gegenwehr denken. Auch Adornos Aufsatz ende in einem „Aufruf zu Gegengewalt“.

* Ulrich Beck, „Biedermänner und Brandstifter“ SPIEGEL46/1992
„Nicht nur in Frischs Stück, auch in seiner Realinszenierung mit uns allen regiert das Gesetz der Fassungslosigkeit. Man murmelt dauernd vor sich hin: Das darf doch nicht wahr sein! Genau diese absolute Unglaubwürdigkeit der Wirklichkeit ist aber der Motor, der sie in Gang hält. (…) Die Dreistigkeit und Brutalität der Brandstifter, die sich noch nicht einmal verleugnen, nicht heimlich vorgehen, die ungeschminkte Tarnung der Wirklichkeit nehmen, (…) das alles raubt ihm die Sinne, läßt ihm nur eine Möglichkeit: Entweder ich bin verrückt, oder es ist nicht wahr, was ich sehe. So erzwingt die Wiedergewinnung der Fassung Schritt für Schritt die Verharmlosung, die Entschuldigung.“