Film

Père Aristide – Letzte Chance für Haiti
von Georg Stefan Troller
DE 1991 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 15
16.11.1991

Diskussion
Podium: Georg Stefan Troller, Elfie Kreiter (Schnitt), Carl F. Hutterer (Kamera)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Eva Hohenberger

Protokoll

Vorspann

ACHTUNG! Dies ist kein Stenogram, oder, wie Troller sagt, mit der Kunst zur Kunst oder die schöne Landschaft kriegt man auch nicht mit der Totalen.

Arbeits-Ehen oder: geplant, gedreht, geschnitten

Aufgrund einer französischen Zeitungsmeldung auf Pater Aristide aufmerksam geworden, möchte Troller über ihn eine „Personenbeschreibung“ machen. Verkaufbar ist aber nur der Wahlkampf. Dennoch wird Pater Aristide angerufen, gibt schnell sein Einverständnis für einen Film, doch „nur schwierige Leute sind es wert, daß man mit ihnen dreht“. Schwierig wird es dann doch, denn der bedrohte Pater versteckt sich und ist nicht zu erreichen. Er soll jetzt in einem Film über die Spannung der Wahlen mitspielen. Troller interessiert besonders der tiefe Graben zwischen dem Volk und der bestochenen Armee und der Polizei. Mit Hutterer (Arthur??) in vertrauter Gesellschaft, hat Troller eine „ungeheure Sicherheit“. Obschon filmtechnisch interessiert und auch gerne beim Drehen mitmischend (nur Kontakte machen wie Scholl-Latour ist nicht sein Bier), hält er sich diesmal hinter Hutterer. Der kriegt Gefahrenzulage und manchmal auch gesagt: „Vorsicht“. Das bleibt im Film, auch wenn der Tonmann wütend wird. Wenn Sie (Troller) dauernd reinquatschen, soll er gesagt haben, brauche ich keinen Ton aufnehmen. Natürlich hat er weiter Ton aufgenommen. Hutterer und Troller besprechen sich manchmal beim Drehen. Wichtig sind Trollers Rückzugsmeldungen, weil die Optik Hutterer auf Distanz hält. Troller dagegen sieht alles direkt und kann die Gefahren vorausberechnen. Hutterer entdeckt die grauenhaften Dinge, die er filmt, so richtig erst am Schneidetisch. Dort muß sich Elfie Kreiter, weil es ja ein Dokumentarfilm ist, nicht nur mit dem mitgebrachten Material abfinden, sie muß auch Trollers Ideen ausführen. In einem anderen Film beispielsweise soll sie einen Priester, der in die Soutane schlüpft, in sechs Einstellungen montieren. Mit Wischblenden soll sich der Mann nämlich schwuppsdiwupps in einen Priester verwandeln. Aber Troller kann sich auf Kreiter verlassen; selbst wenn die Bilder nicht so geworden sind wie geplant, „Elfie kriegts schon hin“. Elfie Kreiter ist ein astrologischer Zwilling, deshalb kann sie mit Troller arbeiten und mit Grabe. Vielleicht wohnen zwei Seelen in ihrer Brust, aber Troller bewundert Grabe und wünscht ganz im Geheimen, so zu drehen wie er. Mit Troller arbeitet Kreiter seit 18, mit Grabe seit 25 Jahren.

P.S.: LETZTE CHANCE FOR HAITI ist nicht auf FiIm verfügbar. Er wurde auf Film (Umkehrmaterial gedreht („diese Art von Filmen geht auf EB nicht“, Hutterer) und auf MAZ überspielt und farbkorrigiert. Die blauen Schlechtwettteraufnahmen sind nicht öffentlichkeitsfähig.

Was ist Dokumentarfilm? oder: Film ist Film und Schnaps ist Schnaps

Film ist eine zweidimensionale Wiedergabe einer dreidimensionalen Wirklichkeit in der Zeit.. Da die Zeit 30 bis 45 Minuten dauert, muß eine eigene Filmzeit geschaffen werden. Auch eine eigene Filmrealität. Die orientiert sich an der Literatur und ·am Theater. Von Shakespeare lernen! Zeige nicht das Ding, zeige, wie es auf Menschen wirkt! Beginne mit einem „tnarrati ve hook“ und achte immer auf die Dramaturgie. Spannungsbögen und Höhepunkte nicht vergessen, denn gute Filmemacher haben Formgefühl. Filme werden am Schneidetisch gebaut. Da wird geteilt, was zu lang ist, und die Chronologie der realen Ereignisse wird gebrochen. Beispiel: das Interview mit Aristide fand vor den Wahlen statt, mußte aber ans Ende des Films. Das Militär wurde nur einmal gefilmt, kommt aber an zwei Stellen im Film vor. Trotz solcher Verfahren hat der Dokumentarfilm mit der abgefilmten Welt zu tun, mal mehr. mal weniger. Er ist eine eigene Realität, die jedoch zur abgebildeten Realität zurückkommt. Wie gesagt, die schöne Landschaft kriegt man auch nicht mit der Totalen. In bestimmten Verfahren aber die Essenz des Dokumentarischen festmachen zu wollen, ist intolerant, und die angeblich nur beobachtende Kamera ist eine Lüge. Auch aus dem Kommentar soll man keine Weltanschauung machen (frei nach Troller).

Fragen und Antworten zum Kommentar

Der lakonische und teilweise ironische Text des Konmentars ist ein Stilmittel mit Wirkung, aber wäre es nicht sinnvoller, auf die Ironie zu verzichten, um die Tragik der Situation deutlich werden zu lassen? Nein, weil der Kommentar das Bild ‚nicht verstärken‘ soll. „Bei einem guten Bild brauche ich keinen guten Korrmentar“ (Troller). Ist der Kommentar lakonisch, ist das Bild gut. Einige Prinzipien der Verbindung von Kommentar und Bild: der Kommentar· soll auf Totalen und unbewegte Einstellungen gesprochen sein. Bis auf eine halbe Sekunde genau wird er an einer bestimmten Stelle platziert.

Würden Sie irgendetwas verbessern, müßten Sie diesen Film noch einmal machen? – Ja; ich weiß ja um die Schwachstellen; das Publikum gottseidank nicht.

Obwohl ich eigentlich gegen Kommentare bin, hat mir der Ihre gefallen. Er hat durch sein genaues timing dramatische Qualität und dient nicht nur als Krücke. Wie machen Sie Ihren nächsten Film? – Ich bin auch gegen Kommentar, habe aber keine dogmatische Haltung dazu. Der nächste Film über Handke hat keinen Kommentar.

Trollers Meinungen über Haiti

Die USA haben Aristide indirekt unterstützt durch billiges Benzin, Fotokopierer und Wahlurnen. Die USA haben den Putsch nicht verursacht, sie haben Aristide nach Venezuela gebracht. Auch Lafontant hat den Putsch nicht verursacht, er wurde ermordet. Ein Boykott nützt gar nichts. Für 20 Dollar tragen die Leute Transparente gegen Aristide herum. Die Situation ist hoffnungslos.

Kritische Stimmen

Wenn man sich die Menschen in dem Film anschaue, so ein Zuschauer, und feststelle, es handelt sich um Massen oder politische Repräsentanten, und wenn man dann die Produktion erzählt bekommt, verstärkt sich der Eindruck, der Film habe einen „Touristenblick“. Ein anderer Zuschauer fragte, welche Bild von den Haitianern der Film vermittle. Eigentlich sähe man nur eine -ständig sich in Bewegung befindliche Masse, aufgeregt und skandierend. Zusammen mit dem Kommentar ergäbe sich eine Distanz zu diesem Volk. Da der Film, entgegnete Troller, eben keine „Personenbeschreibung“ werden konnte, habe er die Form des Tagebuchs gefunden. Touristen, ja, Touristen seien wir doch alle, aber in den ersten zwei Wochen sähe man mehr als in den folgenden zwei Monaten. Das Volk sei so wie im Film geschildert: hochpolitisiert und zersplittert und nicht fähig zur Demokratie. Und dann sind da noch die Produktionsbedingungen des Fernsehens, auf ein Jahr verplante Sendetermine und höchstens 45 Minuten Zeit.

Abspann

Auch in Duisburg, vermutet Troller, herrscht das Prinzip der Aktualität. Jedenfalls habe er auch schon bessere Filme gemacht, sei aber nie eingeladen worden…

 Carl F. Hutterer, Elfi Kreiter, Georg Stefan Troller, Werner Ružička v.l. © Ekko von Schwichow
Carl F. Hutterer, Elfi Kreiter, Georg Stefan Troller, Werner Ružička v.l. © Ekko von Schwichow