Protokoll
Die methodische Heransgehensweise des Filmemachers an sein Subjekt – eine Art von second-Hand-Oral-History („Erzähl doch nochmal diese Geschichte“) – führte zu Irritation im Publikum. Wurde dieses Vorgehen bei offensichtlichen Szenen, wenn dieser Satz also wörtlich fiel, noch als „elementares Problem“ des Dokumentarfilms verstanden, das hier im Gegensatz zu vielen anderen Filmen nicht weg- bzw. rausgeschnitten wurde, führte es in anderen Szenen zu „fast peinlichen“ Situationen: Wenn Lothar Schuster in den Szenen im. Treppenhaus und auf dem Dach, wo sich die erste Unterkunft Walter Reuters in Mexiko nach seiner Flucht befand, „so tue als ob“, als sei es das erste Mal, daß er diese Geschichte von Reuter erzählt bekomme, ist das eine „unehrliche und gespielte Haltung des Filmemachers“ gegenüber seinem Subjekt.
Diese dem Filmemacher scheinbar nicht bewußte Vermischung von inszenierten und dokumentarischen Sequenzen findet ihren „ärgerlichen Höhepunkt“ in Interviewteilen, wo Schuster sein Gegenüber regelrecht korrigiert, wenn dieser sich verspricht bzw. falsch-erinnert (Filmkongress statt Tanzkongress). Oberhaupt traue der Filmemacher seinen Bildern nicht, wurde kritisiert: Da sehe man dem Fotografen Reuter bei der Arbeit zu, wie dieser auf dem Boden liegend hochkonzentriert Fotos einer webenden Indiofrau mache und der darüberliegende Kommentar dann von „intimer Arbeitsweise“ und „Meditation“ spricht. Die „getragene Sprachhaltun der fast „lehrfilmhaften“ Kommentarstimme mache den Film manchmal „unerträglich“, zumal die Übersetzungen an manchen Stellen nicht synchron waren, also der Kommentar Bilder erklärte, die schon nicht mehr zu sehen waren (Figuren auf dem handgewebten Stoff). Die Frage, warum Schuster bei diesem sehr persönlichen Film denn nicht selbst gesprochen habe, beantwortete er mit dem zu großen Risiko, weil er nunmal kein professioneller Sprecher sei. Er beharrte auch auf der Notwendigkeit, der durch den Kommentar eingefügten Informationen, die sich durch alleiniges Beobachten nicht vermitteln ließen (etwa beim abendlichen Basketballspiel, wo das Zusammenkommen mexikanischer und amerikanischer Kultur nur durch den Kommentar verständlich werde).
Kritisiert wurde der Rhythmus des Films, etwa wenn räumliche und zeitliche Sprünge durch anonym-nichtssagende Straßen- und Stadtaufnahmen überbrückt wurden, zu denen dann Orte bzw. Jahreszahlen zu hören waren.
Allgemein gelobt wurde das Interview mit der älteren Schauspielerin, in der die Exil-Erfahrung in wenigen Minuten ‚äußerst intensiv erfahrbar gemacht wurde. Schuster erklärte, diese Szene wirke deshalb so emotional, weil die Schauspielerin bisher kaum über ihre Erlebnisse gesprochen habe (im Gegensatz also zur ansonsten in diesem Film angewendeten Second-Hand-Oral-History).
Das Zusammentreffen Reuters mit seinen Kollegen und Freunden kritisierten mehrere Zuschauer als eine Art von Personenkult („wie beim Begräbnis“), während andere – wie auch Schuster selbst – dies als ganz normale mexikanische Verhaltensweise verteidigten, über die Kulturfremde sich verständlicherweise wundern würden.
Didi Danquarts Bemerkung, daß Filmemacher und Subjekt in ihrer Art sehr ähnlich seien, die sich in einer bestimmten Schüchternheit äußere und die bestimmte Grenzen einfach akzeptiere, etwa Reuters Weigerung über Vorfälle im Spanischen Bürgerkrieg zu reden, wurde von Dietrich Leder als positives Merkmal dieses Filmes gewertet: „Es gibt einen Hang in linken Biografien zur Eindeutigkeit, der heutzutage allerdings schon ein bißchen mehr Komplexität zugemutet werden. Linke verlangen einen Reichtum und eine Detailgenauigkeit im Leben anderer Menschen, die sie selbst nur ganz selten aufbringen: zu oft schon wurden Menschen in solchen Filmen heroisiert.“
Klaus Kreimeier warf kurz vor Schluß der Diskussion die Frage nach dem eigentlichen Interesse des Filmemachers auf, das sich doch verschieben müsste, wenn dieser selbst feststellt, daß die porträtrierte Person eine Schutzwand aufbaue, die nicht zu überwinden sei. Wenn jemand wie Walter Reuter Frieden mit sich selbst (und seinen damaligen Fehlern) gefunden hat, sei daß akzeptabel, aber erkenntnismäßig für den Zuschauer unbefriedigend. Nicht die fehlenden Fakten (etwa die lange Zeit totgeschwiegenen kommunistischen Greueltaten in Spanien), sondern die Lebensgeschichte von Reuter, eines Linken, verberge sich vor uns in diesem Film. Kreimeiers Frage, ob das mit der Unsicherheit des Filmemachers gegenüber seiner eigenen Vergangenheit etwas zu tun habe, beantwortete Schuster ausweichend, daß jemand wie Reuter, der der alten Generation angehöre, sein Innenleben nie öffentlich darlegen würde. Schuster ist die Grenze des Dokumentarfilms bei bei dieser Arbeit „schmerzlich klargeworden“ und ist mit seinem Ergebnis zufrieden.