Film

Palaver – Palaver
von Alexander J Seiler
DE/CH 1990 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
16.11.1990

Diskussion
Podium: Alexander J. Seiler
Moderation: Christa Blümlinger, Didi Danquart
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

Produktionsnotizen

Bei der Idee zu seinem Film seien, so der Regisseur, drei Momente zusammengekommen.

Erstens sei er seit längerem ‚in der Sache engagiert‘. Aufgewachsen in einem Klima der ‚geistigen Landesverteidigung‘ habe er den Militärdienst damals als ’notwendiges Übel‘ gesehen, sei dann jedoch nach 14 Monaten bei der Armee nicht mehr fähig gewesen, eine Uniform zu tragen. Nach einem Zwischenspiel beim Zivilschutz habe er sich schließlich zur ‚kompletten Verweigerung‘ entschlossen und dafür 10 Tage Haft abgesessen.

Zweitens verbinde ihn mit Max Frisch eine lange Freundschaft. Dieser habe ihm irgendwann das Manuskript seines Buches zur Lektüre gegeben.

Drittens habe 3 Monate vor der Volksabstimmung Benno Besson am Theater das Stück in zwei verschiedenen Fassungen (deutsch und französisch) inszeniert.

Daß sich bei der Produktion soviele Sendeanstalten einmütig zusammenfunden hätten, habe auch ihn überrascht, hänge aber wohl mit der Beteiligung Max Frisch•, bzw. dessen Reputation zusammen. Für die Schweiz komme wohl noch hinzu, daß man gerade in der damaligen Situation den Film schlecht habe ablehnen können.

‚Landschaften‘

Didi Danquart löste mit seiner Beobachtung, Seiler habe vorwiegend lange Brennweiten benutzt, einige Verwunderung aus, initiierte aber auf diesem Umweg doch eine Diskussion um die Funktion der •Landschaft(en) in diesem Film. Seiler dazu: Er habe sich bewußt auf die öffentlichen Diskussionen und Veranstaltungen im Vorfeld der Abstimmung beschränkt. Aber gerade weil er beispielsweise keine Interviews geführt habe. seien ihm die Gesichter der Menschen wichtig gewesen. Darum sei er oft nah herangegangen und habe geradezu Gesichtslandschaften inszeniert. Karl Saurer bemerkte, daß im Gegensatz zu diesen prägnanten Physiognomien die Natur in vielen Panoramaschwenks doch geradezu idyllisch in Szene gesetzt sei. Gerade so, als habe man hier die letzten unzerstörten Landstriche der Schweiz ins Bild bringen wollen. Das sei sicherlich, so Seiler, auch eine ‚Liebeserklärung an die Schweiz‘ von Kameramann Rob Gnant. Dramaturgisch habe er aber auch Ruhepunkte gegen das Palaver setzen wollen. Desweiteren berge diese Idylle auch eine Dialektik, wo die Unberührtheit gleichzeitig etwas ’schaufensterhaft Totes‘ habe und Ahistorizität versinnbildliche. Darüberhinaus sei das ‚Territorium‘ auch noch das, worum es bei der 1Landesverteidigung1 schließlich gehe.

Inszenierungen

Für Christa Blümlinger resultierte die Spannung des Films auch aus der Differenz zwischen Theaterproben und der rituellen Performamanz von Politikern und Militärs. Seiler stimmte dem zu und fügte an, daß hier der Unterschied zwischen politischer und künstlerischer Meinungsbildung deutlich werde. Während sich diesbezüglich in der Politik im Laufe der Kampagne kaum etwas bewegt habe, gewinne man bei den Proben-Szenen Einblick in das ‚Wesen des künstlerischen Prozesse.‘ Ein Prozeß, der hier durch die Zweisprachigkeit noch zusätzlich an Intensität gewinne.

‚Wir sind halt ein Volk von Uhrmachern‘

Einige Teilnehmer zeigten sich verwundert, daß es im Film, der doch eine Kontroverse nachzeichne, die von einiger gesellschaftlicher Brisanz gewesen sei, so gesittet zugehe. Da habe es doch sicherlich auch scharfe Debatten, Provokationen und Zusammenstöße gegeben. Im Film sei davon nichts zu sehen. Seiler wies den Verdacht, er habe hier irgendetwas geglättet,zurück. Diese ‚ordentliche‘ Form der Auseinandersetzungen habe ihn selbst ein wenig verwundert, aber ‚Skandale‘ habe es nicht gegeben. In seiner Rolle als Chronist habe er dann natürlich keine Provokationen ‚künstlich‘ in seinen Film einbauen wollen. Das sei nunmal die Form, in der man in der Schweiz-politische Kontroversen austrage. Man habe es schließlich mit einem ‚Volk von Uhrmachern‘ zu tun.

Ein Zuschauer gab zu bedenken, daß diese Harmonie im Film möglicherweise auch daraus resultiere, daß Seiler die Verflechtung von Militär, Ökonomie und Politik in der Schweiz, die doch im Buch von Max Frisch eine zentrale Rolle einnehme, gar nicht thematisiert habe. Ob ihm das ein ‚zu heißes Eisen‘ gewesen sei? Seiler entgegnete. daß hier von ‚heißem Eisen nicht die Rede sein könne, da diese Zusammenhänge in der Schweiz allgemein bekannt seien. Nur hätten sie während der Debatten im Vorfeld der Volksabstimmung keine Rolle gespielt und seien darum auch nicht im Film zur Sprache gekommen.

(Was heißt hier) ‚Naivität‘?!

Ein Teilnehmer monierte die bruchlose Sympathie, die der Film der Initiative ‚Schweiz ohne Armee‘ entgegenbringe. Der Film, wie die Bewegung selbst, offenbarten doch eine gewisse Naivität, wo man sich auf das Phänomen ‚Armee‘ beschränke, ohne die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen dieses Problems einzubeziehen. Da fehle die radikale Perspektive. Seiler bestritt die Notwendigkeit dieser umfassenderen Analyse keineswegs. Im Programm der Initiative sei diese auch enthalten, nur sei sie in der öffentlichen Auseinandersetzung nicht zum Tragen gekommen. Anfangs habe es auch bei-ihm selbst und bei Max Frisch große Vorbehalte gegen diese Bewegung gegeben. Aber der Begriff der Naivität sei doch höchst ambivalent, wo er nicht nur ‚Blauäugigkeit‘, sonder auch das Gegenteil von Abgebrühtheit und Zynismus meine. Ohne diese Naivität sei jede politische Initiative letztlich undenkbar. Und dieser ‚Naivität‘ der Bewegung sei es zu danken, daß in der Schweiz, wo der politische Diskurs lange Zeit überhaupt nicht stattgefunden habe~ wieder etwas in Bewegung geraten sei. Es sei nun einfach ein Stück denkbarer, daß es irgendwann einmal eine Schweiz ohne Armee geben könne. Beim Frauenwahlrecht habe es ja auch seine Zeit und mehrere Anläufe gebraucht.