Protokoll
Den Schwerpunkt der Diskussion um „Im Westen – alles nach Plan“, bildete die sofort aufgeworfene Frage nach der Spannung zwischen filmischer Thematik und Umsetzung, also der Diskrepanz zwischen dargestellter Armut und opulenter Darstellung.
So zitierte Werner Ruzicka Hartmut Bitomskis Ausspruch, man müsse, ‚um einen Film über Armut zu machens unwahrscheinlich reich sein‘. An die Autoren richtete er die Frage, ob sie je das Gefühl gehabt hätten. „Vor lauter Kraft des Wollens nicht mehr gehen zu können“.
Jede Lebensgeschichte habe ein Anrecht auf schöne Bilder, formulierte Hans-Peter Clahsen seinen Standpunkt. Die formal aufwendige Gestaltung, die von vielen Zuschauern so gelobte Kameraführung wurden von den Filmemachern als Resultat zweier Überlegungen erläutert: Zum einen gehe es thematisch weniger um den ‚Untergrund‘ der Bundesrepublik, um Bilder aus den Extremzonen, sondern um die „relevantere Armut in der Nachbarschaft“, die immerhin sechs Millionen Menschen betreffe. Armut ist mehr, ist anders als das inzwischen hinlänglich bekannte, trostlos-schwarzweiße Bild von der Gosse‘. So spielte auf der anderen Seite auch die medien-immanente Überlegung der Autoren eine Rolle in der Konzeption: Es gebe schließlich zu diesem Thema zahllose, schneller hergestellte Fernseh-Features, sagte Werner Morgenrath; man habe die auf dieser Ebene bereits vorhandenen Zuschauererwartungen nicht einfach glatt bedienen wollen.
In diesem Sinne beantwortete Michael Huse auch die Frage nach dem Einsatz der Musik, die von mehreren Zuschauern (besonders, da sie Interview-Töne teilweise überlagerte) als störend empfunden worden war: Die eigens für den Film komponierte Musik sei Teil einer Kino-Dramaturgie, die neben der Informationsvermittlung auch die sinnliche Erfahrbahrkeit im Auge habe.
Ähnlich wie die Filmmusik wurde auch der Kommentar kritisch aufgenommen: Er trage zu einer Vermischung der Beobachtung sozialer Bedingungen mit ideologisch gefärbter Haltung bei. wurde angemerkt, es fehle eine echte Analyse.
An dieser Stelle setzte eine Diskussion um das Verhältnis von Ästhetik und geleisteter Analyse ein, die durchaus kontrovers verlief.
Schöne Bilder seien nicht für angenehme Inhalte reserviert und führten hier auch keinesfalls zu einer unangebrachten Idealisierung, so Thomas Rothschild. Deutlich herausgearbeitet sei doch die empörende Ahnungslosigkeit der Politiker gegenüber einer von ihnen mitverantworteten Realität. Nach seiner Auffassung, knüpfte Clahsen an diese Feststellung an, gehe es vor allem um das notwendige Eingeständnis der Tatsache, daß die kapitalistische Massengesellschaft einfach nicht gerecht zu organisieren sei. Wenn der Film denn als Provokation funktioniere, so am ehesten in Richtung auf eine Herausforderung zu größerer Ehrlichkeit.
Die Ästhetik/Analyse-Problematik versuchte ein anderer Zuschauer in Hinblick auf die Haltung des Films zu konkretisieren: Wohl sei der Umgang mit den dargestellten Menschen äußerst ernsthaft und wecke Sympathie, ihn störe jedoch die Strukturierung des Materials (Schnitt und Einsatz der Musik). die eine ernsthafte Auseinandersetzung vermissen lasse. So seien Gespräche und Beobachtungen letztlich nur Spielmaterial für die Verifizierung einer These, und der Film reflektiere die Haltung ‚Reicher, die auf Arme schauen‘. Die Beliebigkeit der immer schnelleren Aufreihung von Fallbeispielen in der zweiten Hälfte des Films kritisierte auch Angela Haardt; dies werde vor allem dann problematisch, wenn der Zuschauer nicht mit den gesellschaftlichen Zusammenhängen vertraut sei.
Es gehe um das-verbindende der Armut in der Bundesrepublik, erwiderte Werner Morgenrath, daher die dramaturgische Entscheidung, sich nicht vertiefend auf ein Einzelschicksal zu konzentrieren. Der Film zeige jedoch mehr als das bekannte Faktum der Armut, beschreibe auch Widersprüchlichkeiten, wie z.B. im Fall der Familie. die sich trotz hoher Verschuldung noch um einen weiteren Kredit zwecks Autokauf bemüht.
Das permanente Schaffen von Wertmaßstäben und Wünschen, ergänzte Clahsen, sei ein wesentlicher Gedanke des Films. Wie auch im Kommentar gesagt, ist die „Ungerechte Verteilung von Wünschen“ das eigentliche Problem, das zur Definition der Armut herangezogen werden muß. In diesem Zusammenhang verwies Huse auf das im Mauer-Taumel des vergangenen Jahrs untergegangene und bis heute kaum beachtete ‚Armuts-Gutachten‘ des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, das andere als nur materiell orientierte Kriterien zur Beschreibung der Armut entwickle und beispielsweise kulturelle Aspekte oder das soziale Umfeld mitberücksichtige. Wenn man in diese Richtung denke, erweise sich der systembedingte Glaube an die Behebbarkeit der Armut durch die Sozialhilfe als absurd.
Im weiteren wurden die mögliche Wirkung des Films, die Wirkungsabsichten seiner Autoren diskutiert: Dem kritischen Einwand, „Im Westen – alles nach Plan“ eröffne keine echte Perspektive, sei in der Oberflächenbeschreibung verhaftet, hielt Clahsen entgegen, er persönlich glaube nicht an die Möglichkeit, das Verhalten durch Filme zu beeinflussen. Im bundesrepublikanischen Umgang mit der Armut gehe es äußerst planvoll zu, würden ständig systematische Erkenntnisse formuliert, ohne daß dies zur Entwicklung von Utopien führe. Angesichts dieser Situation gehe es um das Eingeständnis einer organisiert ungerechten Gesellschaftsform, um die bereits erwähnte Ehrlichkeit. Der Film, so meinte ein Zuschauer, provoziere allerdings zum Nachdenken über fragwürdige Begriffe und sei daher vielleicht doch geeignet, das Bewußtsein in dieser Hinsicht zu schärfen.
Abschließend und in einer Art Kreisschluß zur Ausgangsfrage nach der Opulenz der gestalterischen Mittel, gaben die Autoren Aufschluß über die Produktionskosten: „Im Westen – alles nach Plan“ wurde mit Hilfe verschiedener Förderungsgelder und Senderbeteiligungen hergestellt; die insgesamt benötigten 1,5 Mio.DM seien bis auf DM 300.000 aufgebracht worden. Trotz finanzieller Schwierigkeiten habe die Produktionsfirma jedoch jederzeit auf der Aufrechterhaltung des technischen und ästhetischen Niveaus bestanden. Zusätzlich zu einem so mutigen Produzenten, sagte Morgenrath, brauchen wir jetzt noch einen ebenso mutigen Verleih.