Film

Chorprobe
von Dieter Bongartz
DE 1988 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
09.11.1988

Diskussion
Podium: Dieter Bongartz
Moderation: Bärbel Schröder
Protokoll: Anne Schiwek

Protokoll

Dieter Bongartz habe sich während der Vorstellung gewundert, daß so wenige Zuschauer lachen würden. Bärbel Schröder eröffnete daraufhin die Diskussion mit der Frage, was der Regisseur selbst an dem Film komisch finde.

Dieter Bongartz entgegnete, er könne sich vorstellen, daß unfreiwillige Komik durch das nahe Herangehen der Kamera an die Sänger entstehen könne, grundsätzlich sei der Film aber ernst gemeint. Bärbel Schröder führte aus, ihr sei das Lachen eher im Hals steckengeblieben. Die Filmemacher würden einzelne Sänger aus dem Schutz der Gruppe herausholen, ihnen „nahe auf die Pelle rücken“ (Münder, Augen), damit die Schamgrenze überschreiten und so eine fast fellineske Wirkung erzeugen.

Ein Zuschauer hielt dem entgegen, er habe überhaupt keine Beklemmung oder Peinlichkeit empfunden. Menschen zu zeigen, die sich am Gesang erfreuen – das sei wohl die Absicht der Autoren gewesen. Seiner Meinung nach sei der Film „schön“.

Dieter Bongartz kam noch einmal auf den Vorwurf der Obszönität zu sprechen. Die Berechtigung, Großaufnahmen von Mündern zu zeigen, hätten die Autoren miteinander diskutiert. Eine ältere Musiklehrerin habe zu ihm gesagt, so etwas mache man einfach nicht. Er könne die Großaufnahmen aber nicht als obszön empfinden. Grundsätzlich aber soll der Film abgesetzt werden von dem üblichen Adventssingen nach der Tagesschau im Fernsehen, in dem die Chöre immer nur als Ganzes gezeigt werden. Er dagegen habe einzelne Sänger herausrücken wollen.

Die Großaufnahmen der Münder seien gerechtfertigt – so ein Zuschauer – schließlich sei das Thema des Films doch Musik und Erotik. Gerade damit habe er Schwierigkeiten gehabt, wandte ein anderer Zuschauer ein. Die Oberleitung zum Aspekt Erotik erfolge zu gewaltsam, der weitere Verlauf des Films trage das Thema auch nicht mehr. Die Interviewten (besonders die korpulente blonde Frau) hätten ganz offensichtlich ein eigenes Verständnis von Erotik. Könne es nicht sein, daß der Aspekt Erotik von den Autoren aufgesetzt sei? Dieter Bongartz: Das „Weihnachtsoratorium“ sei möglicherweise für eine Abhandlung des Themas ‚Erotik‘ nicht geeignet. Als Kunstausdruck sei der Zustand des Glücks – und das verkörpere das Oratorium nun einmal zur Weihnachtszeit – der langweiligere, während der Zustand des Leidens -, damit spielte er auf die Passionen J.S.Bachs an – sicherlich geeigneter wären. Die Autoren wären in ihren Dreharbeiten aber terminlich an die Weihnachtszeit gebunden. 

Ein Zuschauer empfand den Regisseur die Kamera neben dem Dirigenten als eine zweite Autorität am Drehort und erklärte sich so die vorsichtigen Antworten der Interviewten. Zur Vorgehensweise erläuterte der Regisseur, er und Wolfram Seeger hätten Wert auf sog. „vertrauensbildende Maßnahmen“ gelegt, wie z.B. die offene Vorstellung des Filmprojektes, eine kontinuierliche Anwesenheit während der Proben. Ihre Arbeit hätten sie insgesamt nach einem fest strukturierten Konzept abgewickelt, wie auch von Beginn an der Verzicht auf den Kommentar festgestanden hätte. 

Zwei Zuschauer wollten wissen, wie die Auswahl der Interviewten zu erklären und warum die Wahl gerade auf den Essener Bachchor gefallen sei. Einmal habe er die vier Chorstimmen repräsentieren wollen – so der Autor – ihm sei es aber auch um konträre Persönlichkeiten des Chores gegangen. Für den Essener Bachchor hätten formale Kriterien den Ausschlag gegeben. Der Film sei für das Landesstudio Dortmund (Landesspiegel) produziert worden; die Redaktion habe sich für einen der lokalen Chöre entschieden. Er persönlich habe Wert auf einen engagiert arbeitenden Chor gelegt („… keinen der singt, um hinterher trinken zu können“). 

Ein anderer Zuschauer empfand den Film ambivalent. Einerseits gebe er die Ruhe und Konzentration der Chorarbeit wieder und ziehe den Zuschauer so in Bann. Andererseits habe er aber Probleme mit dem Fragestil des Autors. Dieser habe ein vorgefaßtes Bild mit dem Interviewten gehabt und versucht, ihn diesem Bild anzupassen. Außerdem hätte er gerne einmal den Chor als Ganzes gesehen – zumindest im Schlußbild – denn das qualifiziere den Chor schließlich. 

Dieter Bongartz erwiderte, er habe den „Frust“ in den Schlußbildern bewußt einkalkuliert: darin läge auch eine Aufforderung, die Konzerte solcher Chöre zu besuchen. Der Vorwurf zu seiner suggestiven Fragetechnik sei ihm bekannt, er könne sie aber nicht ändern. Die Menschen in der Totale habe er aus technischen Gründen nicht gezeigt. Das Gesicht mache schließlich, auch im Sinne einer Konzentration, das Wesentliche an ihm aus.

Ein Zuschauer hob noch einmal begeistert hervor, wie wohltuend sich der Film von den üblichen Chor-Darbietungen des Fernsehens unterscheide; diese seien entweder zu diffamierende oder zu distanzlos. Die ernsthafte Beschäftigung der Sänger mit dem Werk und auch ihr physisches „Rauscherleben“ seien deutlich geworden.

An den Aspekt des Lächerlichen knüpfte noch einmal ein Zuschauer an; das solistische Singen einzelner Chormitglieder sei fast ins Lächerliche umgekippt. Und Dieter Bongartz fügte hinzu: Ihm sei während des Drehs aufgefallen, wie falsch manche Chormitglieder sängen. Aber Bach sei für einen Laienchor kein einfaches Vorhaben. Man könne wirklich sagen, das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile. 

Zum Ton erklärte der Regisseur, den Chor hätten sie mit mehreren Mikros aufgenommen, Einzelstimmen mit der Angel herausgefischt und der Dirigent habe einen Sender gehabt. Die vorliegende Fassung sei aber eine schlechte Fernsehkopie; im Original seien die Stimmen deutlicher voneinander getrennt zu hören.