Protokoll
Die Frage nach dem Text führte ins Zentrum der Arbeitsweise von Irene Dische. Denn abgesehen von Dantes Einleitung „In die Hölle“, die der Vater in italienischer und polnischer Sprache für sich rezitiert, sind die Briefe der Mutter von der Filmemacherin selbst verfaßt. Der Film ist für sie eine Fortsetzung ihrer schriftstellerischen Arbeiten. Sie hat bereits mehrere Erzählungen über die Angst ihres Vaters vorm Sterben und seiner Liebe zur Mutter geschrieben. Die Motivation, über den eigenen Vater einen Film zu drehen, war daher in der Diskussion nebenrangig. Irene Dische wollte in ihrem Film eine Geschichte erzählen; sie habe sich bemüht, eine Form zu finden, weshalb zum einen die reale Erscheinung des Vaters reduziert wurde, zum anderen die Mutter, die so nur in ihrer Vorstellung existiert, von ihr eingeführt wurde.
Die Differenz zwischen Kunstfigur und realem Vater war daraufhin Gegenstand des Gesprächs. Irene Dische schilderte ihren Vater als einen alten, senilen Mann, der selbst die Filmaufnahmen nicht zur Kenntnis genommen habe. Er lebe in einer Welt vor 40 Jahren, glaube, daß seine Mutter noch lebe, und selbst sie habe er mit seiner Schwester des öfteren verwechselt. Kontakt zu anderen Mensch nehme er nicht mehr auf, obwohl er fremde Leute in seine Wohnung bitte oder nachts in die nahegelegene Notaufnahme der Uniklinik gehe, um unter Menschen zu sein. Die Adressenliste, die der Film zeigt, ist insofern Ausdruck seiner Kontakte. Auch seine Spaziergänge durch New York und seine Besuch vom MacDonald – Restaurant gehören zu seinem realen Alltag. Die Wanderungen durch die Stadt sind im Film nur gedehnt, um den Text darüberlegen zu können.
Diese Melange aus dokumentierter Realität und filmischer Erzählung provozierte die Frage nach Auswahl und Verfahrensweise. Angela Hardt, für die der Film Ausdruck von Grausamkeit und Zärtlichkeit ist, er hielt aber keine Antwort. obwohl die Filmemacherin vorab ihre Arbeitsweise provozierend als legitim ausgegeben hatte. Die Person Zacharias Di sehe sein Charme war zu einnehmend, und trotz aller Zerstörtheit durch das Alter erschien er im Film zu lebendig, um als Kunstfigur angesprochen zu werden. Selbst in der wieder gegebenen, gestörten Art des Erzählens wurde seine frühere Virtuosität des Erzählens erkannt.
Erst über Schnitt und Länge des Films konnte die artifizielle Form des Films angesprochen werden. Meir Sussmann, der Cutter des Films, hatte ihn ohne Kenntnisse der deutschen Sprache in Anlehnung an die Stimme von Zacharias Dische geschnitten mit der Auflage, aus dem 10 stündigen gedrehten Material einen 90 Minuten Film zu montieren. Die Vorgabe der Länge irritierte die Gesprächsteilnehmer und wurde von Irene Dische launig mit dem Alter von 90 Jahren ihres Vaters begründet.
Die Bilder der Details aus der Wohnung ihres Vaters oder über New York seien allesamt während des einmaligen Drehs entstanden. Die Filmemacherin war von Anfang an auf stille Bilder, Bilder von Details aus gewesen, die nicht geplant, parallel zu den Interviewaufnahmen gedreht wurden. Der Film sollte beim Schnitt entstehen. Erst im Verlauf der Montage wurde die Stimme der Mutter als Prinzip eingeführt. Die Notwendigkeit hierfür, sowie die Musik „Hexenjagd“ aus Humperdincks „Hänsel und Gretel“ ergab sich aus der Arbeit mit dem Vater. Jutta Lampes Stimme für die Mutter war nach einem anderen Versuch mit einer galizisch geprägten Stimme, die aber zu sentimental war und den Vater erdrückte, gewählt worden.
Der Einwand von Lutz Mommertz, daß hier ein Starfilm geschaffen worden sei, der mit dem Senilen arbeite, um dem Film Drive zu geben, wurde von mehreren Zuschauern aufgegriffen. Es wurde bemängelt, daß der Vater nicht herausgefordert werde. Der Film mache einen Kniefall vor seiner Figur. Und es wurde vermutet, daß die Filmemacherin auf die Herausforderung der Intelligenz und des kosmischen Denkens von Zacharias Disehe nicht reagiert habe. Verlangt wurde, an Stellen, wo Zacharias Dische über Neger und Proletarier abfällig spreche, nachzuhaken und ihn nach seinen Erfahrungen zur Emigration aus NS-Deutschland zu befragen. Auch die Rolle des Wissenschaftlers, die von ihm als eines einsam Arbeitenden beschrieben wird, und seine Kritik am modernen Wissenschaftsbetrieb als technologischem, hatte neugierig gemacht. Zumal der Film dem Zuschauer seinen Protagonist en als Dialogpartner anbietet.
Daß der Zuschauer sich vom Vater angesprochen fühlt, sei Absicht gewesen. Nur ein Gespräch, eine Auseinandersetzung mit dem Vater entspräche nicht seiner Person, war die Begründung für die Form des Films. Der Vater würde zum einen über die Emigration selbst nicht nachdenken; zum anderen wäre ein Dialog eine künstliche Situation, da der Vater immer alleine ist und mit sich alleine spreche, weil er andere nicht mehr wahrnimmt. Dennoch hätten die Zuschauer sich gewünscht, im Film sein weitschweifiges Denken und etwas von seinem jüdischen Weltbürgertum, wie Werner Ruzicka formulierte, präziser zu erfahren. Immer wieder wurde Irene Dische um Erklärungen gebeten, weshalb sie den Vater nicht weitergehend befragt habe, einen Dialog mit ihm geführt habe. In ihrer Reaktion auf diese Kritik wurde deutlich, daß durch die Intimität der Familie für sie diese Begrenzung nicht vorgegeben war. Andererseits wurde ihr Hinweis auf die artistische Form des Films als unzureichende Abwehr dieses Anliegens von den Diskutanten empfunden.