Protokoll
Da von den Zuschauern direkt zum Film keine Anmerkungen geäußert wurden, fragte Angela Hardt nach, wie sich der Kontakt zu den Zigeunern ergeben habe. Reiner Holzemer erläuterte, daß sich das Filmprojekt über einen Filmauftrag des Stadtarchivs Nürnberg ergeben habe. Für das Archiv erstellten sie ein Band über die Ansiedlung von Sinti in städtischen Häusern. Aus diesem Kontakt mit den Sinti kam es zu dem Film „Verfolgt und Vergessen“. Der Zentralrat der Sinti und Roma organisierte zu der Zeit seine erste Fahrt nach Auschwitz vor einer anstehenden Anhörung im Bundestag zur Situation der Roma und Sinti in der Bundesrepublik. Sie sind mitgefahren und haben im wesentlichen während der zwei Tage in Auschwitz das Video gedreht. Die dreitägige Anfahrt benützten sie vor allem für Gespräche mit den Teilnehmern der Fahrt. Aufgrund dieses Kontakts hatten sie sich erstmals mit der Verfolgung der Zigeuner in der NS-Zeit auseinandergesetzt und begonnen, in Archiven zu recherchieren. Direkte Reaktionen auf den Film, etwa im Sinne, daß dem Antrag der Frau Franz auf Wiedergutmachung entsprochen worden wäre, habe es nicht gegeben. Einen eventuellen Einfluß auf aktuelle Vorgänge sprachen sie dem Film von Lea Ros „Lustig ist das Zigeunerleben“, einer SFB-Produktion über dieselbe Reise nach Auschwitz, zu, da dieser einen Tag vor der Bundestagsdebatte ausgestrahlt worden war.
Nach diesen Ausführungen wurde am Film kritisiert, daß er eine Fortführung auf die heutige Situation der Sinti nicht erbringen würde. Begründet wurde von den Filmemachern die Begrenzung auf die NS-Verfolgung der Sinti und Roma mit der Arbeitsweise. Sie hätten ohne Kommentar auskommen wollen und sich daher auf die Äußerungen der Interviewten, die ja durchaus aktuelle Vorkommnisse einschließen würden, begrenzt. Sicherlich gäbe es noch viele Geschichten zu erzählen. Eine weitere Einschränkung der Filmarbeit wurde in den Erzählungen zur Aufnahmesituation offensichtlich. Jürgen Staiger schilderte ihr beklommenes Erleben der feiernden Sinti abends im Hotel, die tags im Lager von Auschwitz trauernd die Stätte der Vernichtung durchschritten hatten. Diese Schilderung einer fremden Verhaltensweise, einer anderen Kultur, wurde Thema der Diskussion.
Angela Hardt versuchte, mit dem Hinweis auf die eingegrenzte Wahrnehmung der Türken als Entrechtete die Augen zu öffnen für eine Betrachtungsweise, die die Fülle des Lebens umfaßt. Für dieselbe Haltung plädierte Barbara Keifenheim mit ihrer Formulierung: ‚im Bild des anderen den anderen nicht festlegen‘. Mit dem Erklärungsversuch für das befremdende Verhalten der Sinti, daß etliche den Besuch von Auschwitz als Befreiung erlebt haben, bezog sich Jürgen Staiger wieder auf ihren Film. Unabhängig von den Äußerungen der anderen Diskutanten begründete er die Ausklammerung des Auftretens der bundesrepublikanischen Sinti im polnischen Krakau als Touristen mit seinem Respekt vor ihrer Geschichte.
Werner Ruzicka wollte aber in der Richtung weiterreden, die unsere Wahrnehmungs- und Darstellungsweise des anderen angeht. Und er gab zu bedenken, ob nicht der sprachliche Ausdruck, statt Zigeuner Sinti und Roma zu sagen, eine Aufgeklärtheit vortäuscht, die unter der Oberfläche die alten Vorurteile unerledigt läßt. Diesen intellektuellen Ausführungen setzte Jürgen Staiger konkretistisch die Forderung des Zentralrats der Sinti und Roma entgegen, sie nicht Zigeuner zu nennen, der sie im Film gefolgt seien. Diese Einlassung war auch Dietrich Leder zu knapp. Dem folkloristischen Bild der Zigeuner, das auch heute noch vermarktet werde, könne man durch einen anderen Sprachgebrauch nicht entgehen, sondern verweigere sich vielleicht dadurch nur, dem Vorurteil nachzugehen. Am Film bzw. am Filmtext kritisierte er den Ausdruck „Pseudowissenschaft“ für die rassehygienische Forschung; denn methodisch handle es sich durchaus um Wissenschaft, sei sie auch obskur. Und mit solch einem Ausdruck entzieht man die Wissenschaft der Kritik. Doch diese Kritik am Film war quasi nur eine Parenthese in der Diskussion um die Darstellung und Sichtweise anderer Kulturen und Traditionen. In dieser Auseinandersetzung nahm Rainer Komers den Standpunkt ein, daß es keine festgeschriebene Kultur gebe, weil alle Kulturen in einem ständigen Fluß und einem permanenten Austausch mit anderen seien. In bezug auf den Film beschrieb er nochmals die Notwendigkeit, filmische Aufklärungsarbeit zu leisten. Bis vor wenigen Jahre habe in Duisburg in der katholischen Zigeunerseelsorge eine Frau gearbeitet, die analog zur nazistischen Betrachtung der Zigeuner als ‚Kinder‘ mit diesen verfahren sei und erst über gezielte öffentliche Intervention ihrer Position enthoben wurde.
Den Vorwurf, daß die Filmemacher Trauerarbeit erbringen wollten und daher ihr Blick begrenzt sei und dem Zuschauer ein vorsortiertes Bild der Sinti anbiete, eben das Mixtum aus Trauer und Freude an den Schluß des Films drängten, akzeptierte Reiner Holzemer nicht. Er betonte erbost, daß sie einen Film über die NS-Verfolgung der Sinti und Roma erstellt hätten und keinen über ihre Kultur:
Angela Hardt formulierte daraufhin vermittelnd das Diskussionsergebnis. Es sei klar geworden, daß man – auch filmisch – daran arbeiten müsse, dieses Verhältnis von Vorurteil über andere, die anderen und uns anzugehen.